Nicht genug Schutz für Prostituierte?: "Die Gefahren können uns nicht egal sein"

Interview von Maximilian Amos

01.07.2017

2/2: "Krankenversicherung weiterhin nicht sichergestellt"

LTO: Sehen Sie noch weitere Schutzlücken?

Thüsing: Die Liste ist lang. Ein  wichtiger Punkt ist, dass das Gesetz dahingehend hätte ergänzt werden sollen, dass den Betreibern eines Prostitutionsgewerbes die Pflicht auferlegt wird, zu Beginn der Beschäftigung der Prostituierten zu überprüfen, ob die Prostituierten im In- oder Ausland krankenversichert sind.

Ergibt die Überprüfung, dass die Prostituierten nicht krankenversichert sind, ist die Beschäftigung in dem betriebenen Prostitutionsgewerbe zu untersagen, es sei denn die Prostituierte unterliegt den Rechtsvorschriften eines anderen EU-Mitgliedstaates, nach denen sie keine Krankenversicherungspflicht haben muss. In einer Branche, in der durch die Vornahme sexueller Handlungen eine erhöhte Ansteckungsgefahr mit Krankheiten und eine erhöhte Gefahr von psychischen Erkrankungen besteht, ist die Sicherstellung der Versorgung noch entscheidender als für andere selbständige Tätigkeiten.

Eine solche Regelung würde zudem nicht nur den Betreibern eines Prostitutionsgewerbes die Pflicht auferlegen, zu überprüfen, ob die Prostituierten, die bei ihnen beschäftigt werden sollen, krankenversichert sind, sondern auch den Prostituierten selbst.  Die Mehrheit der Prostituierten ist ohnehin bereits anderweitig krankenversichert. Diese Pflicht wäre insbesondere für diejenigen von Relevanz gewesen, die weder in Deutschland noch im Ausland versicherungspflichtig sind.

"Schutz des ungeborenen Lebens, notfalls auch gegen den Geschützten"

LTO: Manchen geht das Gesetz aber schon viel zu weit. Der Verein Doña Carmen befürchtet schwere Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte, die Regelung schaffe ein System ständiger Kontrollen. Aus diesem Grund wurde bereits Verfassungsbeschwerde eingelegt. Für wie angreifbar halten Sie das Gesetz?

Thüsing: Ich habe bereits in der Ausschussanhörung gesagt, dass man, wenn man bestimmte Dinge nicht will, sagen kann ‚Ich habe rechtspolitisch eine andere Meinung“ – und dann muss man das diskutieren.

Die Annahme aber, dass unsere Verfassung tatsächlich ausschließen will, dass man zum Schutze legitimer, durch die Verfassung selbst geschützter Rechtsgüter Verfahren einführt, die die Selbstbestimmung in einem ausgewogenen Verhältnis sichern und die besonderen Gefährdungslagen reduzieren, halte ich für schlichtweg nicht nachvollziehbar.

Man sollte vielmehr auf der anderen Seite betonen – und das hat das Bundesverfassungsgericht in vielen Entscheidungen gesagt –, dass es eine Schutzpflicht des Staates zugunsten des Lebens, auch des ungeborenen Lebens gibt. Es gibt eine Schutzpflicht des Staates, die notfalls auch gegen den Geschützten durchgesetzt werden muss.

LTO: Wollen Sie auf die fehlenden Regelungen zum Schutz Schwangerer hinaus?

Thüsing: Absolut, zumindest diese hätte das Gesetz zwingend einführen müssen. Wir haben in der jüngeren Gesetzgebung verschiedene Situationen gehabt, in denen das intensiv diskutiert wurde. Diesen Schutz ernst zu nehmen oder eine ausgewogene Gestaltung im Hinblick auf Kontrolle und Regulierung zu finden, ist eine Frage der rechtspolitischen Sinnhaftigkeit. 

Eine Interessenabwägung zwischen dem Wohl des ungeborenen Kindes und der selbstbestimmten Erwerbstätigkeitfällt fällt eindeutig zugunsten der überragend wichtigen Rechtsgüter des Lebens und der Gesundheit – das heißt zugunsten von Art. 2 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz – aus.

LTO: Herr Prof. Thüsing, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Prof. Dr. Gregor Thüsing LL.M. (Harvard) ist Leiter des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit an der Universität Bonn und war Sachverständiger in der Anhörung zum Prostituiertenschutzgesetz.

Zitiervorschlag

Maximilian Amos, Nicht genug Schutz für Prostituierte?: . In: Legal Tribune Online, 01.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23339 (abgerufen am: 06.11.2024 )

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