Nicht genug Schutz für Prostituierte?: "Die Gefahren können uns nicht egal sein"

Interview von Maximilian Amos

01.07.2017

Am Samstag tritt das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft. Den einen geht es zu weit, andere hätten sich noch mehr Regulierung gewünscht. Notfalls auch gegen den Willen der Sexarbeiterinnen, meint Gregor Thüsing.

LTO: Herr Prof. Thüsing, Sie waren Sachverständiger in der Anhörung zum Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG). Sie haben den Entwurf mit sehr deutlichen Worten kritisiert und weitergehende Regelungen zum Schutz der Prostituierten gefordert, wie auch Teile der Union. Sind Sie inzwischen mit dem Gesetz versöhnt, das am Samstag in Kraft tritt?

Prof. Dr. Gregor Thüsing LL.M. (Harvard)

Prof. Dr. Gregor Thüsing: Nein, nicht wirklich. Die wesentlichen Defizite des Gesetzes bestehen noch heute. Es geht einfach nicht weit genug, wir müssen mehr für den Schutz von Prostituierten tun.

Dabei sind die Lücken erschreckend. So können beispielsweise die Ordnungsbehörden weiterhin nicht einschreiten, wenn z.B. Frauen sich auch noch im achten Monat der Schwangerschaft prostituieren müssen - das Kindeswohl bleibt außen vor.

Da die Mehrheit der Prostituierten als Selbständige gerade nicht dem Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) unterfällt, bedürfte es der expliziten Regelung eines vorübergehenden Beschäftigungsverbotes, Die gesundheitlichen Gefahren einer Prostitution während der Schwangerschaft – für die Frau wie für das Kind – sind offensichtlich. Das kann uns als Gesellschaft und das kann dem Gesetzgeber nicht egal sein.

"Sinnvoll: Zuverlässigkeitsprüfung, strafbewehrte Kondompflicht"

LTO: Wie beurteilen Sie denn die Neuerungen, die das Gesetz bringt?

Thüsing: Einige wesentliche und wichtige Neuerungen gibt es, und sie dienen unzweifelhaft dem Ziel einer besseren Rechtsstellung der weiblichen und männlichen Prostituierten.

Zukünftig soll jeder Betreiber einer Prostitutionsstätte ein Betriebskonzept vorlegen müssen, das einer Zuverlässigkeitsprüfung unterzogen wird. Damit sollen menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, ausbeuterische Geschäftskonzepte wie zum Beispiel Flatrate-Modelle und alle Modelle, die der sexuellen Selbstbestimmung der Prostituierten zuwiderlaufen, ausgeschlossen werden. Das ist gut so. Ebenso gut ist, dass das Gesetz für solche Praktiken ein Werbeverbot vorsieht.

Und wichtiger noch: Prostituierte in Deutschland müssen sich künftig alle zwei Jahre bei den Kommunen anmelden und jedes Jahr eine Gesundheitsberatung absolvieren. Mit einer Geldstrafe müssen künftig auch Freier rechnen, wenn sie gegen die Pflicht zur Benutzung eines Kondoms verstoßen. Dadurch sollen Prostituierte besser vor übertragbaren Krankheiten geschützt werden. Auch das ist ein Schritt in die richtige Richtung.

"Besser keine Anmeldung ohne Einsichtsfähigkeit"

LTO: Von denen sehen Sie aber weiterhin zu wenige?

Thüsing: Es bleiben tatsächlich viel zu viele Defizite. § 5 Abs. 2 des Gesetzes etwa hätte dahingehend ergänzt werden müssen, dass eine Anmeldebescheinigung dann nicht erteilt wird, wenn einer Prostituierten offensichtlich die zum eigenen Schutz erforderliche Einsicht fehlt. Die vielfältigen Gefahren, die im Umfeld der Prostitution auftreten können, – wie die gesundheitliche Gefährdung, aber auch die Ausbeutung der Prostituierten sowie der Menschenhandel – erfordern die Einsichtsfähigkeit der Prostituierten hinsichtlich der Tragweite ihrer Tätigkeit.

LTO: Eine solche Regelung sah der Referentenentwurf ja ursprünglich vor. Kritiker sehen darin aber eine Konterkarierung des eigentlichen Gesetzeszwecks, die Selbstbestimmung von Prostituieren zu stärken.

Thüsing: Die Kritiker liegen falsch. Die Prostitution sollte damit nicht durch "diskriminierendes Sonderrecht" abgestempelt werden – wie der Deutsche Juristinnenbund in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf bemängelt hat –, sondern die Rechte der Prostituierten sollen stärker geschützt werden. Eine Diskriminierung gegenüber anderen beruflichen Tätigkeiten wäre das zusätzliche Verlangen der Einsichtsfähigkeit nur dann, wenn es keinen sachlichen Grund für diese unterschiedliche Handhabung gäbe.

Einen solchen gibt es aber: Die Entscheidung zur Ausübung der Prostitution berührt die sexuelle Selbstbestimmung. Die Person, die sich zur Ausübung der Prostitution entschließt, entschließt sich, sich geschlechtlich hinzugeben. Dies kann zugleich auch die sexuelle Selbstbestimmung gefährden – und hat nun einmal eine andere Tragweite als die Entscheidung, einer Tätigkeit als Bankkauffrau nachzugehen.

Um jene Gefährdung der sexuellen Selbstbestimmung einzudämmen und den eigenen Schutz der sexuellen Selbstbestimmung der Prostituierten sicherzustellen, muss der Staat seiner Schutzpflicht nachkommen und entsprechende Rahmenbedingen für die Ausübung der Prostitution zu schaffen. Es würde kein Sonderrecht zweiter Klasse, keine Diskriminierung geschaffen und es wäre auch keine Diffamierung des Gewerbes. Es ist einfach der Wunsch, diese belastende Tätigkeit nur den Personen zuzumuten, die dazu bewusst "ja" gesagt haben und eben auch bewusst "ja" sagen konnten.

Zitiervorschlag

Maximilian Amos, Nicht genug Schutz für Prostituierte?: . In: Legal Tribune Online, 01.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23339 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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