Ruinieren Professoren, die in Blogs publizieren, ihren wissenschaftlichen Ruf? Oder verlieren Wissenschaftler, die sich der schnellen Diskussion im Internet verweigern, den Anschluss? Am Montagabend diskutierte in Berlin ein Panel aus Professoren und Journalisten über "Perspektiven der Wissenschaftskommunikation in der Rechtswissenschaft".
In Deutschland schreiben einige hundert Juristen eigene Blogs (auf der Plattform jurablogs.com sind derzeit 614 Blogs vertreten). Vor allem Anwälte nutzen ein Internet-Tagebuch zur Mandantenwerbung und -pflege oder zum Dampfablassen. Doch nur wenige juristische Blogs in Deutschland haben den Anspruch, die großen rechtswissenschaftlichen und verfassungspolitischen Fragen der Zeit zu diskutieren.
Einer, auf den das zutrifft, ist der Verfassungsblog, den der Journalist Max Steinbeis 2009 gegründet hat. Wie die meisten Blogs lebt auch er von Aktualität, in Form von schnellen Kommentaren zu neuen Urteilen aus Karlsruhe, Luxemburg und Straßburg. Darüber hinaus versucht er, eine rechtswissenschaftliche Debattenkultur im Internet zu entwickeln. Schon rund 130 Autoren haben sich mit Beiträgen am Verfassungsblog beteiligt.
Zu diesem Zweck hat sich Steinbeis mit dem Berliner Forschungsverbund "Recht im Kontext" zusammen getan. "Ich wollte eine Schnittstelle zwischen Rechtswissenschaft und Öffentlichkeit schaffen", berichtete er bei der Berliner Veranstaltung. Vor allem aber sollte eine aktuelle und doch niveauvolle öffentliche Diskussion unter Rechtswissenschaftlern angestoßen werden, die es bisher in Deutschland nur in den viel langsameren Fachzeitschriften gibt.
Dieses Projekt erforscht die Humboldt-Uni jetzt mit Mitteln aus der Exzellenz-Initiative wissenschaftlich. Hiermit wurden eine Ethnologin und eine Juristin betraut. Das Projekt leiten Rechtsprofessor Christoph Möllers und die Journalistin Alexandra Kemmerer. Die Berliner Veranstaltung war Auftakt dieses Forschungsprojekts.
Konflikt zwischen Aktualität und wissenschaftlicher Fundiertheit
"Manche Wissenschaftler halten Blogs für Fastfood", berichtete dort der Bielefelder Professor Franz Mayer aus seinem Umfeld. In Blogs, so das Vorurteil, werde Wissenschaft als schneller Genuss dargeboten, der aber einen schalen Geschmack hinterlasse. Mayer, der selbst häufig Blogbeiträge verfasst, wurde sogar vor Schäden für seine Reputation gewarnt.
Als echter Skeptiker entpuppte sich der Berliner Professor Martin Eifert. Bei neuen Fragestellungen könnten Blogs auf die Schnelle keine nachhaltigen Antworten geben, meinte er. "Hier bekommt die Öffentlichkeit nur besseren Zugriff auf Wissenschaftler, aber nicht auf richtige Wissenschaft."
Max Steinbeis verteidigte dagegen die Blog-Kultur: "Blogs sind etwas Vorläufiges, getrieben von der Aktualität, sie erreichen das Publikum, wenn es sich am meisten für ein Thema interessiert, Blogs sind subjektiv und produzieren Reaktionen, sie bringen so eine Debatte in Gang, deren Ergebnisse durchaus Forschung auslösen können."
Katja Gelinsky (einst FAZ, heute bei der Konrad-Adenauer-Stiftung) sprach von "Appetizern" (Appetitanregen) für die eigentliche wissenschaftliche Diskussion. "Blogs sind etwas Eigenständiges zwischen Journalismus und Wissenschaft", betonte Alexandra Kemmerer.
Vermutlich ist es eine Generationenfrage. Wer mit dem Internet aufgewachsen ist, wird auch eher im Rhythmus des Netzes publizieren und online diskutieren. Bald dürfte es normal sein, Blogs zu zitieren und eigene Blog-Beiträge im Veröffentlichungsverzeichnis anzugeben. Ein mit dem Verfassungsblog befreundetes Konkurrenz-Projekt, der seit rund einem Jahr existierende JuWissBlog, wird ausdrücklich von "jungen Wissenschaftlern" aus dem Öffentlichen Recht bestückt. Christoph Möllers sieht die rechtswissenschaftlichen Blogs auch als Ausdruck eines "Medienwandels" hin zur Dezentralisierung der Medienlandschaft.
Blogkultur in den USA bereits viel ausgeprägter
In den USA ist die Entwicklung aber schon viel weiter. Dort haben bereits viele Professoren ihren eigenen Blog. Katja Gelinsky, die lange in den USA gearbeitet hat, nannte Gründe für den Vorsprung der Amerikaner: "die größere Unbefangenheit gegenüber dem Internet, den Spieltrieb und die Respektlosigkeit der Amerikaner." Auch die Zuspitzung der rechtswissenschaftlichen Debatten zwischen liberalen und konservativen Juristen lege in den USA die zum Schlagabtausch gut geeignete Kommunikation in Blogs nahe.
Doch lösen rechtswissenschaftliche Blogs in Deutschland tatsächlich Debatten aus? "In der Theorie klingt das gut, in der Praxis habe ich so meine Zweifel", sagte etwa Franz Mayer, "ich selbst habe zum Beispiel noch nie einen Kommentar zu einem fremden Blog-Beitrag geschrieben". Er störe sich an dem oft rauhen Ton der Kommentare, der im Schutz der Anonymität die übliche Höflichkeit von Fachtagungen vermissen lasse. Alexandra Kemmerer hält dagegen: "Die Anonymität erlaubt auch Juristen die Teilnahme an der Diskussion, deren berufliche Stellung, etwa in einem Ministerium, ein Auftreten unter Klarnamen nicht zuließe".
Auch wenn eine weitgehende Verlagerung der rechtswissenschaftlichen Debatte ins Internet noch einige Jahre auf sich warten lassen wird, haben rechtswissenschaftliche Blogs schon heute für viele Nutzer einen praktischen Mehrwert. Journalistin Gelinsky schätzt die Möglichkeit, sich unkompliziert eine Orientierung in wichtigen Debatten zu verschaffen. Ministerielle Pressestellen bekommen über Blogs schneller fundierte Einschätzungen zu neuen Urteilen als von den Experten ihres Hauses. Und für Franz Mayer sind Blogs auch ein interessantes Element der Lehre: "Die Kürze der Texte erhöht auch die Zugänglichkeit für Studenten."
Je mehr ein Blog Debatten initiiert, Autoren anspricht und Texte gründlich redigiert, umso wertvoller wird er für seine Leser. Gleichzeitig wächst jedoch der Aufwand für den Betreiber, und am Ende ist der Unterschied zu einem redaktionell betreuten Online-Medium nicht mehr groß, bemerkte HU-Professor Martin Eifert.
Christian Rath, Rechtswissenschaftliche Blogs: . In: Legal Tribune Online, 29.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9916 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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