Etwas mehr Struktur: die Weltkonferenz der Verfassungsgerichtsbarkeit
Ausgehend von dem europäischoen Vorbild hat sich ab 2009 auch die Weltkonferenz der Verfassungsgerichtsbarkeit konstituiert. Sie hat 71 Mitglieder. Neben den europäischen Gerichten sind zum Beispiel auch die Verfassungsgerichte von Algerien, Südafrika, Südkorea und Usbekistan vertreten. Es fehlt allerdings der US-Supreme Court. Deutsch ist eine der sieben Arbeitssprachen der Weltkonferenz, weil die Idee der Verfassungsgerichtsbarkeit einst in Österreich und Deutschland entwickelt wurde.
Die Weltkonferenz wirkt etwas strukturierter als die europäische. So hat die Weltorganisation statt der trägen Präsidentenrunde ein Präsidium. Außerdem gibt es ein Sekretariat, das bei der Venedig-Kommission des Europarats angesiedelt ist, welche die Staaten in verfassungsrechtlichen Fragen berät.
Der Präsident der Venedig-Kommission, der Italiener Gianni Buquicchio, ist, obgleich selbst kein Verfassungsrichter, die treibende Kraft der Weltkonferenz. Der 3. Kongress der Weltkonferenz 2014 in Seoul war stark geprägt von Fensterreden und öffentlichkeitswirksamer Symbolik.
Wie wahrscheinlich ist eine Intervention?
Beide Organisationen haben noch keine gefestigte Identität und kein starkes Selbstbewusstsein. Deshalb ist in der Polen-Krise wohl keine Einflussnahme der organisierten Verfassungsgerichte zu erwarten. In beiden Organisationen befürchtet man, dass sie im Falle einer Politisierung schnell auseinanderfallen könnten.
Ein Präzedenzfall geschah im Jahr 2008, als das russische Verfassungsgericht von Moskau nach Sankt Petersburg umgesiedelt und auch durch eine teilweise Neubesetzung geschwächt wurde. Es gab zwar den Versuch, Protest seitens der europäischen Konferenz zu organisieren.
Doch die Beteiligten merkten bald, dass die Organisation für solche Interventionen nicht reif genug ist. So gibt es zum Beispiel noch keine definierten Mindeststandards für eine effiziente und unabhängige Verfassungsgerichtsbarkeit. Es ist auch schwierig, anspruchsvolle Standards zu definieren, wenn diesen dann zum Beispiel der französische Conseil Constitutionel nicht genügen würde. In der Folge wurde jede politische Intervention vermieden - zum Beispiel auch, als 2013 die Rechte des ungarischen Verfassungsgerichts von der dortigen Parlamentsmehrheit beschnitten wurden.
Wie sinnvoll wäre sie überhaupt?
Nun kann man natürlich ohnehin bezweifeln, ob eine Intervention anderer Verfassungsgerichte im polnischen Konflikt etwas bewirken würde. Wenn die herrschende Mehrheit Urteile des eigenen Verfassungsgerichts ignoriert und dann gezielt dessen Regularien verändert, würde es sie wohl auch nicht sehr beeindrucken, wenn mit einem Rausschmiss aus dem Club der Verfassungsgerichte gedroht würde. Druck von außen wirkt im oft fremdbestimmten Polen meist kontraproduktiv.
Andererseits gibt es bereits erstaunlich starke Proteste der jetzigen polnischen Opposition und von Teilen der unabhängigen Bevölkerung. Es ist nicht abwegig, dass die Einschätzung anderer Verfassungsgerichte für solche Proteste ein relevanter Maßstab sein könnte - jedenfalls eher als die Mahnungen ausländischer Politiker.
Und schließlich sollten die europäischen Verfassungsgerichte bedenken, dass ein Stillhalten in einem derartigen Konflikt auch einen Makel für ihr Standing in anderen Konflikten bedeuten könnte, etwa im institutionellen Ringen mit den europäischen Gerichten. Wer den Versuch der Gleichschaltung eines wichtigen Partnergerichts einfach geschehen lässt, schadet auch der Idee einer starken nationalen Verfassungsgerichtsbarkeit.
Christian Rath, Staatskonflikt in Polen: . In: Legal Tribune Online, 22.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17943 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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