Die neue nationalkonservative Regierung Polens greift die Position des dortigen Verfassungsgerichts an. Doch die Gemeinschaft der Verfassungsgerichte ist es nicht gewohnt, bedrängten Mitgliedern beizustehen, bedauert Christian Rath.
Manche sprechen schon von einem Staatsstreich. Die frisch gewählte Regierung der PiS-Partei ("Recht und Gerechtigkeit") versucht, als eine ihrer ersten Maßnahmen das Verfassungsgericht in Warschau auf Linie zu bringen. Es geht zum einen um die Neubesetzung von fünf der 15 Richterstellen. Der Sejm, das polnische Parlament, hatte vor der Parlamentswahl fünf neue Verfassungsrichter gewählt.
Die neue Mehrheit erkennt diese Richter aber nicht an und hat stattdessen fünf andere Verfassungsrichter gewählt. Das Verfassungsgericht selbst entschied in diesem Streit, dass drei der erstgewählten Richter verfassungskonform bestimmt wurden, doch die Mehrheit ignorierte das Urteil. Der ebenfalls zur PiS gehörende Präsident Duda verweigerte den legitimen Richtern die Vereidigung, während er den Eid der von der neuen Mehrheit gewählten Richter umgehend abnahm.
Zum anderen wurden Vorschläge bekannt, wonach das Prozessrecht des Verfassungsgerichts entscheidend geändert werden soll. Statt mit einfacher Mehrheit soll das Gericht künftig mit Zwei-Drittel-Mehrheit entscheiden. Außerdem sollen Entscheidungen des Gerichts künftig regelmäßig im Plenum statt in Dreier- oder Fünfer-Kammern getroffen werden. Und an Plenumsentscheidungen sollen künftig 13 (statt neun) der 15 Richter mitwirken müssen. All dies soll schon auf laufenden Verfahren angewandt werden und würde wohl dazu führen, dass das Verfassungsgericht in seiner Rolle als Kontrolleur von Regierungshandeln stark beschränkt wäre. Weitere Einschnitte sind bereits angekündigt.
Europa reagierte überwiegend mit ernster Sorge auf diese Entwicklung. Polen ist schon wegen seiner Größe ein wichtiger Staat in der EU - einflussreicher als zum Beispiel Ungarn. Wenn nun auch Polen in ein autoritäres Fahrwasser geriete, würde dies die Fähigkeit der EU zu gemeinsamen vernünftigen Lösungen entscheidend schwächen.
Aus der Sicht anderer Verfassungsgerichte ist aber besonders bedenklich, wie zielgerichtet und entschlossen die neue polnische Mehrheit ihre Verfassungskontrolleure angegriffen hat. Zwar hat schon die alte Mehrheit mit den Manipulationsversuchen begonnen. Doch was danach folgte
- insbesondere die Missachtung des Richterspruchs und die sofortige Veränderung des Prozessrechts -, stellt eine völlig neue Qualität dar. Wer in Europa autoritäre Ambitionen hat, wird genau beobachten, ob sich auf diese Weise ein Verfassungsgericht effizient domestizieren lässt.
Zumindest im Verein vereint: die europäische Konferenz der Verfassungsgerichte
Verfassungsgerichte in der gesamten Union, aber auch darüber hinaus, haben also auch ein eigenes Interesse daran, dass dieser Angriff auf eine unabhängige Verfassungsgerichtsbarkeit erfolglos bleibt. Doch können sie auch Einfluss nehmen? Zumindest sind sie im Verein vereint. So ist das polnische Verfassungsgericht gemeinsam mit den europäischen Schwestergerichten Mitglied in der "Europäischen Konferenz der Verfassungsgerichte" sowie der "Weltkonferenz der Verfassungsgerichtsbarkeit".
Auf der Homepage der Weltkonferenz wird durchaus der Eindruck erweckt, als könnten bedrängte Verfassungsgerichte hier mit Solidarität und Hilfe rechnen. So wird ihnen "moralische Unterstützung" im Konflikt mit anderen Staatsgewalten versprochen. Und gleich im nächsten Absatz wird Gerichten, welche die Prinzipien der Weltkonferenz offenkundig brechen, die Aussetzung ihrer Mitgliedschaft angedroht. Zuckerbrot und Peitsche, so wirkt es. Und bei der Europäischen Konferenz der Verfassungsgerichte kann die Mitgliedschaft laut Statut sogar ganz "verlustig gehen", wenn eine loyale und kooperative Zusammenarbeit nicht mehr zu erwarten ist.
Die ältere Organisation der beiden ist die europäische Konferenz der Verfassungsgerichte. Sie wurde 1972 gegründet. Anfangs waren nur die Verfassungsgerichte aus Deutschland, Österreich, Italien und Jugoslawien mit dabei. Zunächst wuchs die Gruppe langsam, doch in den 90-er Jahren kamen nach dem Zerfall des Ostblocks viele in Osteuropa neu gegründete Verfassungsgerichte hinzu. Heute hat die Konferenz 40 Mitglieder.
Ihre Hauptaktivität ist es, alle drei Jahre einen Kongress mit fast schon wissenschaftlichem Anspruch durchzuführen. Zuletzt traf man sich 2014 in Wien, um über das Verhältnis der nationalen Verfassungsgerichte zum Europäischen Gerichtshof und zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu diskutieren . Das entscheidende Organ der Europäischen Konferenz ist die "Präsidentenrunde", in der alle Gerichte vertreten sind. Sie tagt zwischen den Kongressen aber nur einmal.
Christian Rath, Staatskonflikt in Polen: . In: Legal Tribune Online, 22.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17943 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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