Zum Umgang der LMU mit Wissenschaftsplagiat: Ent­schuld­bare Übe­r­ein­stim­mungen

von Hermann Horstkotte

09.01.2018

Die Ludwig-Maximilians-Universität in München zieht weite Toleranzgrenzen für wissenschaftliches Fehlverhalten. Wieso, das hält die Kontrollkommission im konkreten Fall geheim. Hermann Horstkotte hat dafür kein Verständnis.

Der Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München, Martin E. Keck, muss nicht länger um sein Hochschullehrerexamen von 2004 fürchten. Auch bei erneuter Überprüfung der Habilitationsschrift konnte ihm "kein bewusstes oder grob fahrlässiges (Fehl-)Verhalten nachgewiesen werden". Das Verfahren wurde eingestellt. Das besagt eine Pressemitteilung der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München. Auch die Max-Planck-Gesellschaft, Deutschlands Nobelpreis-Schmiede und Kecks Arbeitgeber, freut sich, "dass es nun endlich Klarheit in der Sache gibt", wie die Sprecherin auf LTO-Anfrage mitteilte.

Getrübt wird dieser Eindruck allerdings durch eine Plagiats-Dokumentation auf der Internetplattform Vroniplag Wiki, die nahezu jede zweite Seite von Kecks Werk unangefochten brandmarkt. Die Auseinandersetzung damit sprengt den bislang gewohnten Rahmen akademischer Plagiatsfälle: Kritiker verbreiteten online eine Satire auf die angebliche Fehlentscheidung der LMU und den als "Strafmann" bezeichneten Präsidenten der "Max-Plag-Gesellschaft". Ob der in Wirklichkeit gemeinte Präsident Martin Stratmann dagegen strafrechtlich vorgeht? "Nein", lautet die knappe Antwort seiner Sprecherin.

Der derzeitige Erkenntnisstand ist offenbar ein kommunikatives Desaster, jedenfalls im Vergleich mit anderen Fällen: So hatte die Uni Bayreuth den mehr als achtzig Seiten starken Kommissionsbericht zum Plagiatsfall des früheren Bundesverteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg doch publik gemacht. Ebenso gelangte im Fall Annette Schavan die Stellungnahme des Dekans an den Senat ins Netz – womit die Hochschulleitung von vornherein rechnete, wie Beteiligte noch heute bestätigen. Aber warum anders die LMU?

Interessen vs. Interessen

Auf Nachfrage von LTO antwortet der Münchener Kommissionsvorsitzende, Rechtsprofessor Ansgar Ohly: Im Fall Guttenberg konnten die Bayreuther Gremien "bei ihrer Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsinteresse berücksichtigen, dass es sich um einen bekannten Politiker handelte." Klingt so, als ob es auf Druck und Erwartung der Medien ankomme.

Im Falle Keck sprechen aber laut Ohly die "Persönlichkeitsinteressen des Beschuldigten dagegen, alle Details der Geschehnisse vor rund 15 Jahren offenzulegen. Genau das müsste hier geschehen, denn die Entscheidung ist aufgrund der Einzelheiten des Falls gefallen." Diese"Details der Geschehnisse" sollen plagiatsverdächtige "textliche Übereinstimmungen" und "das Fehlen von Zitaten", wovon Ohly selber spricht, anscheinend verständlich und entschuldbar machen.

Allerdings ist der Beschuldigte spätestens durch seinen Plagiatsfall wie Guttenberg oder Schavan zur Person der Zeitgeschichte geworden. Zur angeblichen Geheimhaltungsbedürftigkeit hat Ohlys Fakultätskollege Volker Rieble schon in seinem Buch "Das Wissenschaftsplagiat" (2010) festgehalten: "Wie sich eine wissenschaftliche Arbeit als mögliches Plagiat zu einem potentiellem Original verhält, ist wissenschaftliche Kritik und steht unter dem Schutz von Art. 5 Grundgesetz." Das "Wissenschaftlerpersönlichkeitsrecht", also persönliche Empfindlichkeiten ums Ansehen und Amt, seien nachrangig.

Auch das Bundesverwaltungsgericht hat der Transparenz in wissenschaftlichen Berufungs- und Qualifikationsverfahren den Vorrang gegeben, erneut vor einem Jahr (Beschl. v. 10.01.2017, Az. 20 F 3.16 ). Ohly übergeht ferner ein Monitum des Düsseldorfer Dekans, der in seinem Schavan-Bericht betonte: "Alle Reaktionen, in denen berufliche Ehrbarkeit höher gewichtet wird als der wissenschaftliche Diskurs, tragen in die Hochschule ein wissenschaftsfremdes Element hinein", das Prüfungen in Verruf bringen. Klingt idealistisch, zu lebensfremd?

Im Endeffekt jedenfalls führt der Datenschutz für den möglichen Plagiator zum Täterschutz statt zum Opferschutz für den betrogenen Leser.

"Ich hab es nicht gewusst" darf nicht gelten

Kecks "Freispruch" begründet sich auf "nicht bewusstes oder grob fahrlässiges Fehlverhalten". Insoweit geht es um nichts anderes als die Frage einer mehr oder weniger mangelhaften Sorgfaltspflicht, also persönliches Verschulden. Damit aber gerät der Fall von vornherein "aufs falsche Gleis" und wird "sehr wertungsabhängig", meint Wolfgang Löwer, Professor für Öffentliches Recht und Wissenschaftsrecht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und langjähriger Sprecher des bundesweiten Ombudsgremiums für gute wissenschaftliche Praxis. Im Gespräch mit LTO sagt Löwer: Sei das Tatbestandsmerkmal der "vorwerfbaren Täuschung" gegeben, so sei eine Qualifikationsentscheidung zurückzunehmen.

Eine Täuschung liegt objektiv vor, wenn ein Autor sich heimlich etwas zuschreibt, was von anderen stammt. Wenn das nicht nur ein- oder zweimal passiert, sondern als Strickmuster der Arbeit erkennbar ist, ist nach Löwer nur noch zu fragen, ob die Täuschung des Lesers "mindestens bedingt vorsätzlich" begangen, also billigend in Kauf genommen wurde. "Hier sind bei Vorliegen des objektiven Tatbestandes nicht viele Ausreden möglich", so Löwer. Vor Gericht helfen Einlassungen wie "Ich hab´s nicht gewusst" längst nicht mehr, sowenig wie der Einwand "Das machen doch alle" oder "War doch so üblich".

Führen dagegen hochschulinterne Untersuchungen – wie an der LMU unter bemerkenswerter Berücksichtigung "aller Details der Geschehnisse" - zu einem anderen Ergebnis, das indes das Geheimnis der Uni bleiben soll, entsteht zumindest die Frage: Können auch schwarze Schafe zu Unschuldslämmern mutieren?

Denunzianten oder verdeckte Ermittler

Wie in anderen Fällen, bleiben die Hinweisgeber auf Kecks Habilitationsschrift anonym. Na und? Zu solch "vielfach kritisierter 'Denunziation' durch Plagiatsjäger" stellte der Düsseldorfer Dekan in der Causa Schavan klar, das doch jeder das Recht habe, sich ein Bild von Veröffentlichungen zu machen: "Die Motive sind dabei völlig gleichgültig, so dass auch die Identifizierung anonymer Plagiatsjäger keine Bedeutung hat."

Die Denkschrift der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur "Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis" ist etwas zurückhaltender: Auf anonyme Hinweise überhaupt einzugehen, sei eine Abwägungsfrage von Fall zu Fall. Wenn Whístleblower aus Angst vor persönlichen Nachteilen Anonymität für erforderlich halten, müsse das mit bedacht werden. Am Ende will aber der LMU-Ausschussvorsitzende Ohly "anonyme Informanten nicht über Entscheidungen informieren", sondern höchstens, wenn auch nur eingeschränkt, die Presse – die habe ein Recht darauf.

Zudem muss das Kommissionsvotum nicht das letzte Wort gewesen sein. Rechtsprofessor Klaus F. Gärditz, Inhaber des Lehrstuhls für öffentliches Recht an der Universität Bonn, zum Beispiel bemerkt grundsätzlich: "Wurde das Verfahren aufgrund einer unergiebigen Vorprüfung eingestellt,könnte es jederzeit wieder aufgenommen werden."

Zitiervorschlag

Hermann Horstkotte, Zum Umgang der LMU mit Wissenschaftsplagiat: . In: Legal Tribune Online, 09.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26361 (abgerufen am: 06.11.2024 )

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