2/2: OVG: Veröffentlichung als Gefahr für die Sicherheit
Die Humanistische Union beantragte bereits 2012 nach dem BremIFG Einsicht in alle 100 Fragen. Das Gesetz gewährt grundsätzlich einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen und Veröffentlichung der Informationen im Informationsfreiheitsregister. Dieser Anspruch kann aber unter anderem nach § 3 Nr. 2 BremIFG ausgeschlossen werden, wenn und soweit das Bekanntwerden die äußere oder die öffentliche Sicherheit gefährden kann. Auf diesen Ausschlussgrund stützte das OVG sein Urteil.
Das Gericht sah in dem Verstoß gegen das AufenthG durch Eingehen einer Scheinehe eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Die getrennte Befragung mit gleichlautenden Fragen sei ein geeignetes Mittel zur Gefahrenabwehr. Der Zweck der Befragung würde vereitelt, könnten die Betreffenden sich zielgerichtet auf sie vorbereiten. Wenn die Betroffenen alle Fragen des Fragenpools bekannt wären, könnten sie die Antworten aufeinander abstimmen und sich dadurch eine erhöhte Glaubwürdigkeit verleihen.
Eine Revision ließ das OVG nicht zu. Zwar kann diese Entscheidung mit der Beschwerde angefochten werden, weil das in Frage stehende Gesetz ein Landesgesetz ist, dürfte aber mangels Vorliegen der Revisionsgründe iSd § 137 Abs. 1 Nr. 1 Verwaltungsgerichtsordnung erfolglos bleiben. Es bliebe noch eine Verfassungsbeschwerde gegen die Nichtveröffentlichung der Scheinehefragen.
Reichweite der informationellen Selbstbestimmung
Das Bundesverfassungsgericht hat den Auskunftsanspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) zu einem Anspruch mit Verfassungsrang erhoben (u.a. Beschl. v. 20.06.2017, Az. 1 BvR 1978/13). Der Schutzbereich der Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) ist eröffnet, wenn der Gesetzgeber die grundsätzliche Zugänglichkeit von staatlichen Vorgängen festlegt. Mit Blick auf diesen grundrechtlichen Schutz ist fraglich, ob der Humanistischen Union die Einsicht in die Fragenkatalog verweigert werden durfte.
Bereits der Zweck der Verwendung des Fragenkataloges ist wohl nicht legitim. Menschen mit so intimen Fragen über ihr Eheleben zu konfrontieren, verstößt gegen deren Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Bremen jedenfalls für den Fall einer Befragung ohne konkretes Verdachtsmoment anerkannt (Beschl. v. 23.05.2012, Az. 4 V 320/12).
Zudem verstößt die Verwendung der Fragen gegen das Gleichbehandlungsgebot. Personen, die von im Ausländerrecht erfahrenen Anwälten vertreten werden, die einen Teil der Fragen oder das Fragemuster kennen, sind gegenüber anderen im Vorteil. Des Weiteren sind die verdeckten Fragen wenig geeignet, tatsächlich zu ermitteln, ob eine Scheinehe besteht. Menschen erleben das Zusammenleben in einer Ehe oder Partnerschaft oft unterschiedlich und nehmen gemeinsame Erlebnisse unterschiedlich wahr. Divergierende Antworten über gemeinsam Erlebtes werden deshalb auch Paare geben, die tatsächlich zusammen leben. Da zugleich die Behörde Absprachen im Vorfeld der Beantwortung fürchtet, entsteht die paradoxe Situation, dass viele übereinstimmende ebenso wie viele voneinander abweichende Antworten der Eheleute den Verdacht der Ausländerbehörde auf Nichtbestehen einer Ehe nähren können.
Dr. Kirsten Wiese ist gegenwärtig Professorin für Öffentliches Recht an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Bremen. Sie ist Mitglied in der Humanistischen Union e.V. und hat diese in der ersten Instanz vor dem VG Bremen in dem Scheinehe-Verfahren vertreten.
Kirsten Wiese, OVG zur Ermittlung von Scheinehen: . In: Legal Tribune Online, 13.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26009 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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