2/2: Und nochmal über Karlsruhe und Luxemburg
Das Verfahren der hiergegen erneut eingelegten Rechtsbeschwerde zum BGH setzte dieser aus und legte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Rechtsfragen zum Richtlinienrecht vor, auf dem die nationalen Regeln zur Ad-hoc-Publizität beruhen.
Der Gerichtshof entschied am 28. Juni 2012, dass bei einem zeitlich gestreckten Vorgang, bei dem ein bestimmtes Ereignis herbeigeführt werden soll, nicht erst dieses Ereignis selbst "präzise Information" im Sinne des Richtlinienrechts sein kann. Für veröffentlichungspflichtig halten die Luxemburger Richter vielmehr auch schon Zwischenschritte, die die Weichen für die Verwirklichung des Ereignisses stellen.
Basierend hierauf hat der BGH den Musterentscheid des OLG im April 2013 erneut aufgehoben. Der II. Zivilsenat stellte fest, dass bereits das Gespräch zwischen Schrempp und dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Kopper am 17. Mai 2005 sowie alle weiteren Zwischenschritte danach als veröffentlichungspflichtige Informationen über einen bereits eingetretenen Umstand in Betracht kämen. Insoweit bedürfe es aber weiterer tatrichterlicher Feststellungen, ob diese Umstände Insiderinformationen im Sinn von § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG waren und Kursrelevanz aufwiesen.
Weiter müssten die Tatrichter feststellen, ob Mitte Mai 2005 jeweils eine eigenständige Insiderinformation über den in Zukunft eintretenden Umstand entstanden sei, dass der Aufsichtsrat dem Ausscheiden von Schrempp zum Jahresende zustimmen oder dass Schrempp zum Jahresende ausscheiden werde. Anders als zuvor erklärte der BGH dafür nun eine "hinreichende Wahrscheinlichkeit2 für ausreichend.
Zurück ins Schwabenland
Das OLG Stuttgart muss sich also nun zum dritten Mal mit der Sache befassen. Stellt es fest, dass schon früher als am 28. bzw. 27. Juli 2005 eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation vorlag, deren Veröffentlichung auch nicht aufgeschoben werden konnte, wird der Senat erstmals auch zur Verschuldensfrage Stellung nehmen müssen. Das OLG wird also klären müssen, ob das Unterlassen der Veröffentlichung auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruhte und wie der Schaden der Ex-Aktionäre zu ermitteln ist.
Zu Letzterem hat der BGH in seinem "IKB-Urteil" Ende 2011 entschieden, dass der geschädigte Anleger nach seiner Wahl sowohl Ersatz der Kursdifferenz, welche sich aus der unterlassenen Information beim Verkauf der Aktien ergeben hat (sog. "Kursdifferenzschaden"), als auch die vollständige Rückabwicklung der Wertpapier-Transkation (sog. "Transaktionsschaden") vom Emittenten verlangen kann.
Insbesondere die vom EuGH benannten Zwischenschritte auf dem Weg zu Schrempps Demission könnten neuen Schwung in den Fall bringen, über den das OLG Stuttgart ab Mittwoch zum dritten Mal verhandelt. Der Senat wird sich mit weiteren Facetten auf der tatsächlichen Ebene auseinandersetzen, möglicherweise bringt der Termin weitere Sachverhaltsdetails zutage, auf die es bisher nicht ankam. Es ist zu erwarten, dass auch der nächste Musterentscheid erneut beim BGH auf den Prüfstand muss, so dass es noch dauern kann, bis das LG Stuttgart in dieser Sache eine Entscheidung fällt. Wohlgemerkt: Es wird zunächst die erstinstanzliche sein.
Der Autor Dr. Thomas Gennert ist Rechtsanwalt im Düsseldorfer Büro von McDermott Will & Emery Rechtsanwälte und Steuerberater LLP und Mitglied der deutschen Praxisgruppe Arbeitsrecht. Zur Haftung für fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilungen verfasste er seine Dissertation.
OLG Stuttgart verhandelt erneut über Schrempps Ausstieg: . In: Legal Tribune Online, 03.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18338 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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