Nächste Folge im Wirtschaftskrimi: Hätte Daimler früher bekannt geben müssen, dass Ex-Vorstand Schrempp geht? Die dritte Verhandlung vor dem OLG Stuttgart könnte interessante Neuigkeiten bringen. Was bisher geschah. Von Thomas Gennert.
Am 17. Mai 2005 informierte der damalige Vorstandsvorsitzende der Daimler AG (damals noch unter DaimlerChrysler AG firmierend), Jürgen Schrempp, den damaligen Vorsitzenden des Aufsichtsrats der Gesellschaft, Hilmar Kopper, über seine Absicht, Ende 2005 von seinem Amt als Vorstandsvorsitzender zurückzutreten. In der Folgezeit teilte er dies auch weiteren Mitarbeitern der Gesellschaft, unter anderem seinem Nachfolger, Dieter Zetsche, sowie dem Vorsitzenden des Konzern- und Gesamtbetriebsrats mit.
Am Nachmittag des 27. Juli 2005 tagte dann der Präsidialausschuss des Aufsichtsrats. Man beschloss, dem Aufsichtsrat in seiner Sitzung am Folgetag vorzuschlagen, dem vorzeitigen Ausscheiden von Schrempp zuzustimmen. Am nächsten Morgen fasste der Aufsichtsrat den entsprechenden Beschluss. Nur wenige Minuten später veröffentlichte die Gesellschaft den Aufsichtsratsbeschluss und ließ mitteilen, dass ein Wechsel an der Vorstandsspitze des Automobil-Konzerns erfolgen werde. Nach Veröffentlichung der Mitteilung schoss der Kurs der Daimler-Aktie um fast 10 Prozent nach oben.
Ex-Aktionäre, die kurz zuvor ihre Aktien verkauft hatten, klagten nun gegen die Gesellschaft auf Schadensersatz. Ihrer Ansicht nach hätte das Unternehmen Schrempps Rücktrittsabsichten früher veröffentlichen müssen, so dass sie ebenfalls von dem Kurssprung profitiert hätten.
Pflicht zur unmittelbaren Veröffentlichung von den Emittenten betreffenden Insiderinformationen
Rechtliche Grundlage der geltend gemachten Schadensersatzansprüche ist § 37b Abs. 1 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG). Die Norm verpflichtet den Emittenten von an der Börse zugelassenen Finanzinstrumenten gegenüber Aktionären zum Schadensersatz, wenn er Insiderinformationen, die ihn unmittelbar betreffen, nicht unverzüglich veröffentlicht. Das gilt nur dann nicht, wenn er von der Pflicht zur Veröffentlichung befreit war oder nachweist, dass sein Unterlassen nicht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruhte.
Die Pflicht zur Veröffentlichung sog. "Ad-hoc-Mitteilungen", d.h. Insiderinformationen i.S.v. § 13 Abs. 1 WpHG, die den Emittenten unmittelbar betreffen, folgt wiederum aus § 15 Abs. 1 WpHG. Eine börsennotierte AG muss bestimmte Informationen veröffentlichen, wenn diese, wenn sie bekannt würden, geeignet wären, den Börsenpreis der Aktien erheblich zu beeinflussen, wenn also ein verständiger Anleger ihnen eine Relevanz für den Kurs der Aktie beimessen würde.
Warten darf der Emittent mit der Veröffentlichung der Information nur dann, wenn er hierfür ein berechtigtes Interesse hat, die Öffentlichkeit damit nicht irreführt und die Vertraulichkeit der Information gewährleisten kann (§ 15 Abs. 3 WpHG). Mit dieser Regelung will der Gesetzgeber verhindern, dass Informationen über Umstände ihren Weg in den Markt finden, deren Eintritt noch nicht ausreichend wahrscheinlich ist.
Von Anfang an besonders
Das Verfahren, das vor dem Landgericht (LG) Stuttgart begann, war von Anfang an besonders. So nutzten die Anleger das seinerzeit noch brandneue Prozessinstrument des sog. Musterverfahrens aus dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG). 2005 in Kraft getreten, ermöglicht das KapMuG, in einem vorab vor einem OLG durchzuführenden Musterverfahren gleichlautende Sach- und Rechtsfragen mit Bindungswirkung für alle Beteiligten durch einen Musterentscheid zu klären. Dies hat noch nichts mit den Sammelklagen (class actions) nach US-amerikanischem Vorbild zu tun, sondern soll den Verfahrensbeteiligten und der Justiz den Umgang mit massenhaften Klagen erleichtern.
Das OLG Stuttgart entschied in seinem Musterentscheid – dem bundesweit ersten dieser Art – im Februar 2007, dass eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation erst mit dem Beschluss des Aufsichtsrats am Morgen des 28. Mai 2005 entstanden sei; die Gesellschaft habe die Information also unverzüglich veröffentlicht. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob den Musterentscheid aber wegen "verfahrensfehlerhafter Feststellungen" im Februar 2008 auf und verwies die Sache erneut an das OLG Stuttgart zurück.
Der zweite Musterentscheid der schwäbischen Richter sprach sich im Frühjahr 2009 erneut gegen eine Schadensersatzpflicht von Daimler aus. Dies begründete der Senat damit, dass zwar eine an sich veröffentlichungspflichtige Insidertatsache bereits bei der Sitzung des Präsidialausschusses vorgelegen habe, die Gesellschaft aber ein berechtigtes Interesse gehabt habe, die Veröffentlichung bis zum nächsten Morgen aufzuschieben. Schließlich habe ja noch der Aufsichtsrat über Schrempps Wunsch entscheiden müssen. Auch bei zeitlich gestreckten Vorgängen komme es nicht darauf an, ob bereits "Zwischenschritte" auf dem Weg zum zukünftigen Ereignis den Kurs der Aktie hätten beeinflussen können.
OLG Stuttgart verhandelt erneut über Schrempps Ausstieg: . In: Legal Tribune Online, 03.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18338 (abgerufen am: 06.11.2024 )
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