Interview zur Angehörigen-Klage der MH 17-Opfer : "Die Ukraine hätte den Abschuss verhindern können"

Interview von Anne-Christine Herr

17.11.2014

2/2: "Ich will nicht Poroschenko verklagen"

LTO: Der Spiegel berichtete, Sie würden die Klage wegen "Totschlags durch Unterlassen in 298 Fällen" erheben und ziehen in Erwägung, abhängig von der Beweislage noch weitere Beteiligte wie Russland zu verklagen. Handelt es sich dabei um eine Rechtsfigur wie das Schutzgesetz des § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)  iVm § 212 Strafgesetzbuch (StGB) oder wieso spielt hier eine strafrechtliche Komponente eine Rolle? Welche Personen könnten denn dann persönlich belangt werden und wie würden Sie den Vorsatz bezüglich der Tötung der Passagiere begründen?

Giemulla: Nein, die Meldung der Zeitungen ist insoweit nicht korrekt. Diese zivilrechtliche Klage hat nichts mit dem Strafrecht, also der persönlichen Schuld, zu tun. Ich will nicht Poroschenko vor dem internationalen Strafgerichtshof belangen – klar, dann müsste er vorsätzlich gehandelt haben. Wobei man im Fall der MH17 eventuell sogar dolus eventualis annehmen könnte, zumindest aber grobe Fahrlässigkeit bezüglich der Tötung der Flugzeugpassagiere.

Zumindest war die Situation so kritisch, dass es auf der Hand gelegen hätte, den Luftraum zu sperren. Einige Fluggesellschaften sind auch von sich aus von der Flugroute über die Ukraine abgewichen, weil ihnen das zu heikel war. Beispielsweise hatte der britische Geheimdienst  den Fluggesellschaften geraden, das Gebiet zu umfliegen. Wenn der britische Geheimdienst das wusste, dann wohl der ukrainische erst recht!

Es gibt noch einen weiteren Grund, warum die Geltendmachung von Ansprüchen gegen persönlich Mitverantwortliche keine Relevanz hat: Ich denke nicht, dass sich jemals herausstellen wird, was wirklich passiert ist und wer wirklich Schuld war. Es wird allgemeine politische Äußerungen geben und dann werden die internationalen Sanktionen wieder aufgehoben werden.

"Aus Sicht der Luftfahrt ist geklärt, wer schuld ist"

LTO: Benötigen Sie für die Klage noch Beweise? Sind die Untersuchungen, die derzeit noch andauern, für Ihre Klage in irgendeiner Hinsicht relevant?

Giemulla: Die Flugunfall-Untersuchungen laufen nach Regularien ab, welche von der Internationalen Zivilluftfahrt beschlossen worden sind. Sie haben einen völlig anderen Zweck als den,  herauszufinden, welche politischen Verwerfungen in welchem Erdteil schuld waren. Es geht nur darum, zu eruieren ob das System Luftfahrt an irgendeiner Stelle versagt hat und was man in Zukunft besser machen könnte, damit das nicht mehr passiert.

Die Untersuchungen haben bisher zutage gebracht, dass MH17 definitiv von "fremden Objekten" zum Absturz gebracht worden ist. Das bestreitet ja auch keiner. Wer diese aber in die Luft gejagt hat, ist aus Sicht der Luftfahrt völlig egal – denn sie kann auch in Zukunft keine Rebellionen verhindern. Insoweit sind die Untersuchungen aus Sicht der Luftfahrt bereits abgeschlossen – und damit ist auch geklärt, wer schuld ist. Beweise muss ich daher nicht vorlegen. Die Ukraine wusste von der kritischen Situation und hat es unterlassen, zu handeln – das reicht aus, um sie luftsicherheitsrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.

"Damit sich etwas ändert: Die Klage soll sich in das internationale Konzept einfügen"

LTO: Warum haben Sie bis jetzt gewartet, um Klage zu erheben?

Giemulla: Ich wollte noch die Diskussionen der Arbeitsgruppe "Working group on conflict zones" bei der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation in Montreal abwarten, an der ich Ende Oktober teilgenommen habe. Dort wird derzeit darüber diskutiert, ob es möglich ist, Kriterien zu festzulegen, anhand derer man künftig definieren kann, wann der Punkt erreicht ist, dass ein Staat seinen Luftraum schließen muss.

Dabei muss jeder Staat, der in eine solche Situation gerät, zum Beispielklären: Um welche Rebellen geht es, wie gefährlich sind sie, wie sind sie ausgebildet, wie bewaffnet und welche politischen Verbindungen haben sie zu wem? Das ist naturgemäß kein leichtes Unterfangen. Abschließend sollen die Ergebnisse der Arbeitsgruppe in sogenannten State letters an alle Staaten versendet werden – mit der Aufforderung, den Luftraum zu schließen, wenn die Kriterien erfüllt sind.

In Montreal war man sehr interessiert an meiner Klage, genau wie ich an der dortigen Diskussion und dem Erkenntnisstand der Kollegen. Es ist für die Klage und alle Betroffenen wichtig, dass die Bemühungen sich in das internationale Konzept einfügen. Alle Betroffenen müssen an einem Strang ziehen, damit sich hier etwas ändert und solche Katastrophen wie die um die MH17 in Zukunft nach Möglichkeit verhindert werden.

LTO: Herr Professor Giemulla, vielen Dank für das Interview.

Der Autor Prof. Dr. iur. Elmar M. Giemulla ist Rechtsanwalt und Honorarprofessor für Luftfahrtrecht an der Technischen Universität Berlin.

Das Interview führte Anne-Christine Herr.

Zitiervorschlag

Anne-Christine Herr, Interview zur Angehörigen-Klage der MH 17-Opfer : . In: Legal Tribune Online, 17.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13825 (abgerufen am: 04.11.2024 )

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