Doch Anklage nach Loveparade-Katastrophe: Mit den Mit­teln des Straf­rechts

von Pia Lorenz

24.04.2017

2/2: Verteidiger: Mit den Mitteln des Strafrechts?

Prof. Dr. Björn Gercke, Verteidiger des Eventmanagers beim Veranstalter der Loveparade, hält nicht nur das Gutachten für "formal, inhaltlich und methodisch katastrophal". Das Problem geht aus seiner Sicht tiefer und berührt Grundlagen des deutschen Kausalitäts- und Strafrechtssystems. "Das  Verfahren ist faktisch nicht verhandelbar", das Strafrecht  sei für solche Großunglücke nicht gemacht, so der Kölner Fachanwalt für Strafrecht.  "Nach großen Katastrophen wie zum Beispiel dem Zugunglück in Eschede wird verhandelt, weil man es der Öffentlichkeit, den Opfern und den Hinterbliebenen schuldet. Urteile aber ergehen in aller Regel nicht, die Verfahren werden vielmehr gemäß 153 oder 153a der Strafprozessordnung nach langer Zeit eingestellt. Solche Unglücke sind zu komplex, um sie mit strafrechtlichen Kausalitätsregeln und der klassischen Conditio-sine-qua-non-Formel zu greifen."

Ähnlich äußerten sich andere Verteidiger in dem Verfahren. "Das Gutachten [...] mag allenfalls - wenn überhaupt - für einen Verdacht reichen, für eine Verurteilung aber sicher nicht", sagte Dr. Philip von der Meden in Hamburg. Eine Beweisfindung werde hochproblematisch, weil es auf dem Gebiet der Veranstaltungsplanung keine gesicherten Erkenntnisse gebe.

Auch sein Kollege Prof. Dr. Volker Römermann fragte: "Ist es nicht auch denkbar, dass eine Katastrophe eintritt, die viele Ursachen, aber keine strafrechtlich Schuldigen hat?" Für ihn sind die wahren Schuldigen – wenn es sie überhaupt gab –  gar nicht angeklagt. "In der Mitteilung des Gerichts heißt es, dass das Landgericht die alleinige Schuld von dritten Personen nicht festgestellt habe. Mit anderen Worten: Es könne sein, dass die hier Angeklagten ursächlich oder mit ursächlich für die Katastrophe seien. Warum die anderen möglicherweise Mitverantwortlichen nicht auf der Anklagebank sitzen sollen, bleibt weiterhin offen."

Die Angeklagten stehen fest

Es gab von Beginn an Kritik daran, dass weder Polizeibeamte noch der damalige Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland oder der Veranstalter Rainer Schaller angeklagt wurden. Stattdessen beschuldigt die Staatsanwaltschaft den damaligen Gesamtleiter des Veranstalters, dessen Produktionsleiter, den dortigen Verantwortlichen für die Sicherheit sowie den technischen Leiter des Projekts.

Bei der Stadt Duisburg macht die Anklage zum einen ein Dreier-Team des Bauamtes verantwortlich, das für die Prüfung der Anträge zuständig war und die Genehmigung für bauliche Maßnahmen wie etwa die Einzäunung erteilt haben soll, ohne dass die formellen und inhaltlichen Voraussetzungen dafür vorlagen. Die anderen drei Angeklagten sind der für das Prüfungsteam zuständige Abteilungsleiter, die Amtsleiterin sowie der damalige für Stadtentwicklung zuständige Beigeordnete, die das Baugenehmigungsverfahren nicht ordnungsgemäß beaufsichtigt haben sollen. Ändern wird sich daran nichts mehr, zumal zwischenzeitlich sämtliche Vorwürfe gegen andere  Verantwortliche verjährt sein dürften

Ein Mammut-Verfahren vor einem völlig neuen Senat

Opferanwälte begrüßten hingegen, dass es nun doch eine Entscheidung in der Sache geben wird. "Das kommt unerwartet, aber es ist sehr erfreulich", sagte Nebenklagevertreter Prof. Dr. Thomas Feltes von der Ruhr-Universität Bochum der Deutschen Presseagentur am Montag in Bochum. Er vertritt einen Vater, dessen Tochter bei dem Technofestival ums Leben kam. Für seinen Mandanten sei die erste Entscheidung der Duisburger Kammer gegen einen Prozess nicht nachvollziehbar gewesen. "Das war damals ein Schlag ins Gesicht der Opfer, nun herrscht Erleichterung bei ihnen."

Den Opfern gehe es weniger um eine Strafe für einzelne Personen. Sie wollten, dass die Gerichte das Geschehen aufarbeiteten und dass die Schuldfrage geklärt werde. "Wenn dann das Verfahren so geführt wird wie beim Münchner NSU-Verfahren, dann kann die Kammer den Opfern gerecht werden", so Feltes. 

Stattfinden soll das Duisburger Mammut-Verfahren, so OLG-Sprecher Andreas Vitek am Montag in Düsseldorf, im Kongresszentrum der Messe Düsseldorf auf der Grundlage der bereits im Jahr 2014 mit der Messe geschlossenen Verträge. Wann es losgehen soll, ist allerdings unklar, sagte der Duisburger Gerichtssprecher Matthias Breidenstein. Die 6. Große Strafkammer müsse sich nun in den umfassenden Prozessstoff neu einarbeiten. "Angeklagte wie Nebenkläger haben ein Recht darauf, dass die Kammer gut vorbereitet ist."

Die Zeit drängt

Das wird allerdings nicht leicht. Während der Beschwerdesenat beim OLG eine Prognoseentscheidung zu treffen hat, müssen die Tatrichter entscheiden, ob es für eine Verurteilung der Angeklagten reichen wird. Der OLG-Senat hat für seine Entscheidung über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ein knappes Jahr gebraucht, das LG zuvor zwei Jahre, um über die Anklage der Staatsanwaltschaft zu entscheiden. Die ihrerseits hatte vier Jahre damit verbracht, das Material für die Anklage zu sammeln. Die 6. Strafkammer des LG Duisburg, die das Verfahren nun verhandeln soll, ist eigentlich erst seit März grundsätzlich zuständig für alle neu eingehenden Schwurgerichtssachen. Man darf vermuten, dass sich das nun erneut ändert und die Richter für die Sache freigestellt werden müssen – zumal sie sich neu einarbeiten müssen in ein Verfahren, das alle Dimensionen sprengt.

Die zehn Beschuldigten haben jeweils mehrere Verteidiger, hinzu kommen mehrere Dutzend Nebenkläger mit ihren Anwälten. Schon für die Lagerung der ausgewerteten Materialien wurde eine Messehalle in Düsseldorf angemietet. Die Anklage der Staatsanwaltschaft hat 556, der  Nichteröffnungsbeschluss des LG Duisburg 460 Seiten. Die Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft, welche die Generalstaatsanwaltschaft unterstützt hat, ist 750 Seiten lang, der am Montag bekannt gewordene Beschluss des OLG nach Angaben von Pressesprecher Andreas Viteck 231 Seiten. Das alles auf der Grundlage der sogenannten Hauptakte, die bereits vor einem Jahr, im April 2016, 47.000 Blatt in 99 Ordnern umfasste. Darüber hinaus warten mehr als 800 Ordner mit weiteren Unterlagen.

Die Zeit drängt. Sämtliche Vorwürfe würden im Jahr 2020 verjähren, die absolute Verjährung tritt nach Angaben von OLG-Gerichtssprecher 10 Jahre nach dem Tod des letzten Opfers der Katastrophe ein. Nur ein vorheriges Urteil könnte sie verhindern.

Mit Materialien von dpa

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, Doch Anklage nach Loveparade-Katastrophe: . In: Legal Tribune Online, 24.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22730 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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