Um von Putins Gas so schnell wie möglich unabhängig zu werden, setzt die Ampel auf den Bau von LNG-Anlagen im Eilverfahren. Auf Kosten von Umwelt- und Klimaschutz, kritisieren Umweltverbände. Verstößt das Gesetz auch gegen geltendes Recht?
Die Umweltverbände sind in heller Aufregung, seit der Entwurf des "Gesetzes zur Beschleunigung des Einsatzes verflüssigten Erdgases", das LNG-Beschleunigungsgesetz (LNGG), am Dienstag im Kabinett beschlossen wurde. Statt den angekündigten zwei sollen bis zu elf Terminals für Flüssiggas (LNG) in Deutschland gebaut und mit dem Gesetz durchgesetzt werden. Während es zunächst hieß, der Bund wolle mit der Unterstützung von LNG-Vorhaben zunächst nur in Wilhelmshaven und Brunsbüttel sowie unter Umständen auch in Stade möglichst rasch Alternativen zu russischem Pipeline-Erdgas schaffen, geht das am Donnerstag in erster Lesung im Bundestag debattierte Gesetz wesentlich weiter.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sprechen von einem verheerenden Regelwerk; Klima und Umwelt drohten durch das LNGG irreparable Schäden.
Die DUH präsentierte am Donnerstag nun auch eine rechtliche Bewertung, wonach die geplante Betriebserlaubnis für bis zu elf LNG-Terminals bis 2043 mit dem Pariser Abkommen, dem deutschen Klimaschutzgesetz (KSG) sowie dem Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und Art. 20a Grundgesetz unvereinbar sei.
Die Verbände sind verärgert, dass das LNGG pauschal Planrechtfertigung und Eilbedarf für bis zu elf LNG-Terminals festschreibe, obwohl das Bundeswirtschaftsministerium ursprünglich nur einen Eilbedarf für zwei Vorhaben festgestellt habe. "Dieses Gesetz gießt unsere Abhängigkeit von fossilem Gas bis weit in die 2040er Jahre in Zement. Die Abgeordneten des Bundestags dürfen dem nicht blind zustimmen", sagt DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. Außerdem seien die im LNGG gewährten pauschalen Ausnahmen von Umweltprüfungen nicht vereinbar mit Europarecht.
DUH: Ukraine-Krieg nur Vorwand
Dass die Anlagen bis Ende 2043 für den Import fossilen Gases genehmigt würden, ist laut DUH mit der für 2045 gesetzlich verankerten Klimaneutralität und dem Pariser Klimaabkommen nicht vereinbar. Die Projektliste, so der Vorwurf, entspringe den wirtschaftlichen Profitinteressen der deutschen Gasindustrie und habe mit einer vernünftigen Deckung des deutschen Energiebedarfes nichts mehr zu tun. "Hier wird der Krieg in der Ukraine als Vorwand benutzt, um Fakten in Beton und Stahl an der deutschen Küste zu schaffen, die uns und allen kommenden Generationen schaden."
Auch der BUND teilt diese Kritik: Mit dem LNGG drohe ein fossiler Lock-in in der fossilen Gasnutzung, der die Erreichung der Ziele des KSG unmöglich mache. Anders als die Begründung des Gesetzes nahelegt, hält dieses sich demnach nicht an die Vorgaben des BVerfG, "frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion zu formulieren, die Orientierung bieten und ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermitteln".
Ein wesentlicher Kritikpunkt: Nach dem neuen Gesetz soll die sonst übliche Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durch die Genehmigungsbehörden dann entfallen, "wenn eine beschleunigte Zulassung des konkreten Vorhabens geeignet ist, einen relevanten Beitrag zu leisten, um eine Krise der Gasversorgung zu bewältigen oder abzuwenden." Den Umweltverbänden ist das zu weitgehend: "Ein überragendes öffentliches Interesse kann nur für schwimmende stationäre LNG-Terminals behauptet werden, die im Winter 2022 einsatzbereit sind, also dann, wenn die Energiesicherheit akut bedroht ist. Landseitig stationäre Terminals sind grundsätzlich erst mittelfristig einsatzbereit und können deshalb keinen relevanten Beitrag zur Energiesicherheit leisten. Sie sollten demnach auch nicht Gegenstand des Gesetzes sein, fordert der BUND.
Laut DUH-Rechtsgutachten widerspricht der Verzicht auf eine ordnungsgemäße UVP außerdem EU-Recht: Konkret der EU-UVP-Richtlinie, wonach eine UVP nicht nur die unmittelbaren, sondern auch die mittelbaren, erheblichen Auswirkungen eines Vorhabens auf das Schutzgut des globalen Klimas identifizieren, beschreiben und bewerten müsse. Das Gutachten von Rechtsanwältin Dr. Cornelia Ziehm kommt zum Ergebnis, dass das LNGG für 18 LNG-Vorhaben eine UVP gesetzlich ausschließen würde.
Bundesumweltministerium wiegelt ab
Mit ihrer massiven Kritik stoßen die Umweltverbände aber selbst bei alten Verbündeten, den Grünen, auf taube Ohren. Nachdem der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck der Organisation nahegelegt hatte, auf rechtliche Schritte gegen den Bau der LNG-Terminals zu verzichten (vergeblich, die DUH legte zur Rettung der Schweinswale Widerspruch gegen den Bau des LNG-Terminals in Wilhelmshaven ein), ruhten die Hoffnungen der Verbände auf der grünen Umweltministerin Steffi Lemke. Diese müsse den "unkontrollierten Wildwuchs der LNG-Terminals stoppen", forderte Antje von Broock, Bundesgeschäftsführerin des BUND.
Doch auch dieses grüne Haus steht bei den Vorhaben nicht auf Seiten der Verbände: "Wir stehen zu der Lösung für die Beschleunigung beim LNG-Terminal-Bau, die wir zusammen mit den Experten aus dem Wirtschafts- und aus dem Justizministerium gefunden haben. Eine Lösung, die hilft, dass wir im nächsten Winter nach Möglichkeit schon das erste Gas auf diesem Wege einspeisen können. Und eine Lösung, die Umwelt- und Naturschutz weiter berücksichtigt", heißt es in einer Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage von LTO.
Das Entfallen von UVP ist nach Auffassung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) zu verschmerzen: "Wenn keine durchgeführt wird, heißt das ja nicht, dass jetzt gar nicht mehr auf die Umwelt geschaut wird", sagt ein Ministeriumssprecher Lemkes. Eine Genehmigung dürfe weiterhin nur erteilt werden, wenn die Anlage sicher sei und die Umweltvorschriften eingehalten würden. Die Behörden müssten wissen, was die Anlage mache, welche Stoffe dort verflüssigt und umgepumpt würden und ob Naturschutzgebiete in der Nähe beeinträchtigt werden könnten. Aber: "Es wird ihnen aber in diesem Ausnahmefall mehr Flexibilität gegeben, wie sie das sicherstellen", relativiert ein Sprecher gegenüber LTO.
"Absoluter Ausnahmefall"
Mit Blick auf den Naturschutz hat das BMUV ebenfalls keine durchgreifenden Bedenken: "Im Wesentlichen", so der Sprecher, sei dieser gewährleistet. Dies gelte auch vor dem Hintergrund, dass es das LNGG erlaube, bestimmte Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, die nötig werden könnten, falls Anbindungsgasleitungen durch ein Stück Natur geführt werden müssen, nicht sofort mitplanen zu müssen, sondern sich in ein, zwei Jahren darum zu kümmern. "Damit wird die Kompensationsmaßnahme auch entsprechend später durchgeführt. Das ist natürlich ein gewisser Nachteil aus Naturschutzsicht, aber am Ende wohl gut zu erklären, weil erstmal alle Kapazität darauf gerichtet sein muss, diese LNG-Anlage ans Netz zu bekommen. Die Ausgleichs- und Ersatzpflicht bleibt aber erhalten."
Spürbar sind in der Antwort des Umweltministeriums allerdings auch die Bauchschmerzen des Ressorts, das nun einmal vordringlich den Interessen von Umwelt und Natur verpflichtet ist: Was die Einschnitte von Verfahrens- und Beteiligungsrechten anbelangt, ist die Rede vom "extremen Sonderfall" oder dem "absoluten Ausnahmefall". So sei zwar die im Gesetz vorgesehene Verkürzung der Öffentlichkeitsbeteiligung auf "nur noch zwei Wochen" aus Umweltsicht zwar "ein harter Einschnitt", der auf keinen Fall Schule machen dürfe und ein absoluter Ausnahmefall bleiben müsse. Wichtig sei, dass die LNG-Anlagen so gebaut werden, dass sie "wasserstoffready", also nach der ökologischen Transformation weiter nutzbar, sind.
Bezweifelt wird das von den Umweltverbänden: "Von Wasserstoff-Readiness ist im Gesetzestext selbst gar nicht die Rede – nur in der Begründung", so BUND-Energie-Experte Oliver Powalla. Die LNG-Terminals seien für den Weiterbetrieb mit Wasserstoff gar nicht ausgelegt.
Nur Umweltpolitikerin der FDP antwortet
Dass das umstrittene LNGG im Parlament noch in dem einen oder anderen Punkt im Sinne der Umweltverbände geändert wird, ist eher unwahrscheinlich. Das Gesetz soll bereits in der nächsten Sitzungswoche verabschiedet werden. Viel Zeit für fachliche Beratungen bleibt also nicht. Auf diese pochen offenbar aber auch die Umweltpolitiker der Ampel-Fraktion nicht. Eine Anfrage von LTO bei den umweltpolitischen Sprechern von SPD und Grünen zum LNGG bleibt unbeantwortet. Umweltrechtliche Bedenken im Kontext von Putins brutalem Angriffskrieg zu artikulieren, dürfte kaum zur eigenen Beliebtheit beitragen – außer natürlich bei den Umweltverbänden.
Offen für ein Statement auf die Anfrage von LTO zeigt sich – wenig überraschend- lediglich die FDP. Gegenüber LTO kritisiert die umweltpolitische Sprecherin der Fraktion, Judith Skudelny, dass das von der DUH vorgelegte Gutachten "aus einer Mücke einen Elefanten" mache.
"Wir befinden uns in einer absoluten Ausnahmesituation, in der Frauen vergewaltigt, die ukrainische Bevölkerung aus ihrer Heimat vertrieben und ein ganzes Land zerstört wird. Menschen sterben dort jeden Tag. Wir müssen alles daran setzen, Putins Angriffskrieg nicht weiter durch Importe von russischem Gas zu finanzieren".
Dauerhaft sei die FDP dafür, Genehmigungsverfahren in Deutschland zu beschleunigen – dann aber selbstverständlich auch unter angemessener Einbeziehung von Umweltaspekten. Im Fall des Ausnahmegesetzes LNGG hält die gelernte Rechtsanwältin aber auch in der Sache die Kritik der Umweltverbände vor dem Hintergrund der aktuellen Situation für überzogen. So werde die UVP zum Beispiel nur zum Zweck des Ersatzes russischen Erdgases und nur bis 2025 ausgesetzt.
LNG-Beschleunigungsgesetz: . In: Legal Tribune Online, 12.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48426 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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