Nordkorea hat Soldaten nach Russland entsandt. Möglicherweise sollen sie am russischen Krieg gegen die Ukraine teilnehmen. Simon Gauseweg beleuchtet, was das für das Völkerrecht bedeutet und ob Nordkorea dadurch Kriegspartei würde.
Etwa 3.000 Soldaten soll Nordkorea nach Russland verlegt haben; das Kontingent könnte auf bis zu 12.000 Soldaten anwachsen. Diejenigen Truppen, die sich bereits in Russland befinden, sollen derzeit auf Kampfeinsätze vorbereitet werden. Nicht nur die Geheimdienste Südkoreas und der Ukraine befürchten, dass diese Soldaten bald gegen die Ukraine ins Feld ziehen sollen. Neben NATO-Generalsekretär Mark Rutte und Vertretern der EU-Kommission spricht auch das Auswärtige Amt von einer Eskalation des Konflikts. Falls nordkoreanische Truppen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstützen sollten, wäre dies aus Sicht des Ministeriums ein Verstoß gegen das Völkerrecht.
Diese Einschätzung ist jedenfalls dann richtig, wenn die nordkoreanischen Soldaten unter eigener Flagge gegen die Ukraine ins Feld ziehen sollten. Allerdings könnte eine Beteiligung der nordkoreanischen Truppen auch weit inoffizieller aussehen: Laut Berichten des südkoreanischen National Intelligence Service soll Russland zur Verschleierung russische Uniformen und auch Papiere an die nordkoreanischen Kämpfer ausgeben. Das könnte dafür sorgen, dass die Truppen völkerrechtlich nicht mehr Nordkorea, sondern Russland zuzuordnen wären.
Beteiligung in eigenem Namen ist Beteiligung
Daran, dass die russische Aggression illegal ist, hat sich in den vergangenen Jahren nichts geändert. Jeder Staat, der den russischen Truppen eigene Truppen an die Seite stellt, verstößt damit ebenso gegen das in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegte Gewaltverbot wie Russland selbst. In der Folge dürfte die Ukraine als Selbstverteidigung auch gegen Nordkorea militärische Gewalt anwenden.
Das gälte auch dann, wenn die nordkoreanischen Unterstützungstruppen nie ukrainischen Boden betreten würden. Selbst wenn sie lediglich in den von der Ukraine gehaltenen russischen Gebiete in der Region Kursk kämpften, läge darin eine Beteiligung am internationalen bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Das ukrainische Selbstverteidigungsrecht macht an der Grenze nicht halt, sondern erlaubt es, den Aggressor Russland auch auf dessen Staatsgebiet zu bekämpfen. Obwohl Russland etwa die Region Kursk aus militärisch-operativer Sicht verteidigt, ist das aus rechtlicher Sicht nicht vom Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen gedeckt. Folglich kann sich Nordkorea auch nicht an einer solchen Verteidigung beteiligen. Stattdessen wäre auch die reine Verteidigung der Region Kursk völkerrechtlich als Teil des russischen Angriffskrieges zu betrachten und Nordkorea damit Konfliktpartei.
Militärzugehörigkeit begründet völkerrechtliche Zurechnung
Juristische kniffliger wird es, wenn Nordkoreas Truppen nicht im Namen Kim Jong Uns, sondern unter russischen Namen und im Namen Russlands ins Feld zögen. Die Argumentation, dass in den russischen Uniformen weiterhin nordkoreanische Soldaten steckten und Hoheitsabzeichen und Ausweise daher keine Rolle spielten, macht es sich jedenfalls zu einfach.
Es ist Teil der staatlichen Souveränität, darüber zu bestimmen, wer Angehöriger der eigenen Streitkräfte ist. Weder besteht ein völkerrechtliches Verbot, Ausländer in das eigene Militär aufzunehmen, noch eines gegen die Integration ganzer Verbände in die eigenen Strukturen. Eine Person, der der russische Staat eine russische Uniform, einen russischen Militärausweis und einen russischen Vorgesetzten gegeben hat, ist ein russischer Soldat – ganz gleich, in welcher Armee und unter welcher Nationalität sie zuvor militärisch ausgebildet wurde.
Aus dem gleichen Grund sind die Freiwilligen der Internationalen Legion der Territorialverteidigung der Ukraine reguläre Angehörige der ukrainischen Armee und keine Söldner oder sonstigen illegalen Kämpfer. Ihre Handlungen sind – qua Integration in die Streitkräfte – dem ukrainischen Staat und nicht ihren Herkunftsländern zuzurechnen.
Organleihe als Zurechnungsregel
Anders als die Angehörigen der ukrainischen Internationalen Legion bestehen die nordkoreanischen Truppen nicht aus Freiwilligen, die aus eigenem Antrieb für Russland kämpfen. Stattdessen dürfte sie auf Befehl handeln. Trotzdem muss ihre Beteiligung an den Feindseligkeiten nicht bedeuten, dass Nordkorea sich diesen Umstand zurechnen lassen muss. Sollten die entsendeten Soldaten tatsächlich umgekleidet und aus der nordkoreanischen Befehlskette herausgelöst und russischen Einheiten unterstellt werden, läge hierin wohl ein Fall der Organleihe. Völkerrechtlich verantwortlich wäre dann nicht der Entsendungsstaat, sondern der Staat, zu dessen Verfügung das Organ gestellt wurde.
Eine entsprechende Regelung findet sich im Art. 6 der Entwurfsartikel zur Staatenverantwortlichkeit der Völkerrechtskommission, der geltendes Gewohnheitsrecht wiedergibt. Ein Staat, der die Kontrolle über eigene Staatsorgane aufgibt und diese einem anderen Staat zu dessen Verfügung stellt, entzieht sich dadurch seiner völkerrechtlichen Verantwortlichkeit. Entgegen anderslautender Äußerungen unterscheidet das Völkerrecht insoweit nicht zwischen der Lieferung von Waffen und der Unterstellung von Personal, wenn der Empfangsstaat vollständig nach seinem Belieben darüber verfügen kann. Die Lieferung von Waffen allein macht einen Staat nicht zur Kriegspartei. Konsequenterweise bleibt auch ein Staat, der eigenes Personal vollständig aufgibt, selbst außerhalb des Konflikts.
Es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass Nordkorea am Konflikt völkerrechtlich unbeteiligt bleibt. Das setzt aber voraus, dass die nordkoreanischen Soldaten tatsächlich aus der nordkoreanischen Befehlshierarchie herausgelöst werden. Das darf schon aufgrund des beinahe religiösen Personenkults, der um Diktator Kim Jong Un betrieben wird, bezweifelt werden. Das ist aber letztlich eine tatsächliche, keine rechtliche Frage.
Nordkorea könnte unbeteiligt bleiben, keinesfalls aber neutral
Aber auch eine Unterstützung unterhalb der Schwelle eigener Gewaltanwendung kann gegen das Völkerrecht verstoßen.
Konkret verbietet das Neutralitätsrecht als Teilgebiet des Rechts des bewaffneten Konflikts allen Staaten, die nicht am Konflikt beteiligt sind, die Bevorteilung einer der beiden Seiten. Unter dem Begriff der "wohlmeinenden" (benevolent) oder "qualifizierten Neutralität" wird heute vertreten, dass demgegenüber das Opfer einer Aggression unterstützt werden darf. Eine Unterstützung des Aggressors ist jedoch weiterhin kein mit Neutralität zu vereinbarendes Verhalten.
Durch die Entsendung von Truppen zur Unterstützung des Angreifers Russland verstieße Nordkorea also jedenfalls gegen seine Pflichten aus dem Neutralitätsrecht. Als Rechtsfolge könnte die Ukraine einerseits Unterlassung verlangen und andererseits diesem Verlangen durch Gegenmaßnahmen und Sanktionen Nachdruck verleihen. Auch Bekämpfung der nordkoreanischen Truppen auf russischem Gebiet müsste Nordkorea dulden. Ob die Ukraine oder ihre Verbündeten aber außerhalb der Ukraine und Russlands militärisch gegen Nordkorea vorgehen dürften, erscheint eher fraglich. Aber einen Angriff auf Nordkorea dürfte wohl ohnehin weder die Ukraine noch sonst jemand beabsichtigen.
Folgeprobleme bei Kriegsgefangenenschaft
Folgeprobleme ergeben sich, wenn die von Nordkorea entsandten Soldaten in ukrainische Kriegsgefangenenschaft geraten sollten. Die Behandlung der Kriegsgefangenen ist im III. Genfer Abkommen von 1949 geregelt. Dessen Vorschriften richten sich vornehmlich an den Gewahrsamsstaat sowie die "Macht, von denen die Kriegsgefangenen abhängen", d.h. "ihre" Konfliktpartei. Daneben nehmen einige Vorschriften aber auch Bezug auf die "Heimat" der Kriegsgefangenen, also wohl den Staat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen.
Die Ukraine könnte argumentieren, dass das – trotz russischer Pässe – Nordkorea ist. Denn ein Staat (in diesem Fall dann Russland) kann von einem anderen Staat (in diesem Fall der Ukraine) nicht ohne Weiteres verlangen, jedwede Einbürgerung zu akzeptieren. Nach den 1955 vom Internationalen Gerichtshof (IGH) im Nottebohm-Fall entwickelten Kriterium ist ein Staat an die Passvergabe eines anderen Staates nur dann gebunden, wenn zwischen diesem und seinem (vermeintlichen) Staatsangehörigen eine "genuine Verbindung" (genuine link) besteht. Eine solche kann zwar prinzipiell durch den Dienst in den Streitkräften dieses Staates entstehen. In nicht wenigen Staaten der Welt führt ein Weg zur Staatsangehörigkeit durchs Militär. Aber mit der bloßen Aufnahme in die Armee die Pflicht anderer Staaten zu verlangen, die Staatsangehörigkeit zu akzeptieren, ist ein Zirkelschluss.
Der Ukraine, deren Bevölkerung in den besetzten Gebieten immer wieder dazu gezwungen wird, die russische Staatsangehörigkeit anzunehmen, könnte durchaus versucht sein, das Nottebohm-Kriterium eng auszulegen. Damit könnte sie gefangen genommene Nordkoreaner zwar als russische Kämpfer, nicht aber als russische Staatsangehörige anzusehen. Sie müssten weiterhin als Kriegsgefangene behandelt werden. Doch in Punkto Heimkehr entsendet sie Kim Jong Un in ein ungewisses Schicksal.
Der Autor Simon Gauseweg ist akademischer Mitarbeiter an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Völkerrecht, Europarecht und ausländisches Verfassungsrecht
Nordkoreanische Soldaten in Russland: . In: Legal Tribune Online, 24.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55708 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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