Claudia Pechstein hat zwei Eisschnelllaufverbände in Millionenhöhe verklagt. Am Mittwoch beginnt der Prozess vor dem LG München I. Ihr Anwalt will "Sportrechtsgeschichte" schreiben, er zweifelt an der Rechtsstaatlichkeit des internationalen Sportgerichtshof. Jens Adolphsen hält das für aussichtslos, dennoch könnte der Olympiasiegerin am Ende Gerechtigkeit widerfahren.
Die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein gibt trotz zahlreicher Rückschläge im juristischen Kampf gegen ihre zweijährige Dopingsperre von 2009 bis 2011 nicht auf. Nun verklagt sie die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) und den Weltverband ISU vor dem Landgericht (LG) München I auf Zahlung von 3,5 Millionen Euro Schadensersatz und 400.000 Euro Schmerzensgeld (Az. 37 O 28331/12).
Bereits in der letzten Woche bereitete die Bundespolizistin das Verfahren auf einer Pressekonferenz in München medial vor – unter einem Banner der Gewerkschaft der Polizei mit der Aufschrift "Gerechtigkeit für Claudia Pechstein".
Zuständigkeit des LG München I ist fraglich
In der Schweiz waren ihre Versuche, die von der ISU verhängte Sperre aufheben zu lassen, vor dem internationalen Sportgerichtshof (CAS) und nachfolgend vor dem Schweizer Bundesgericht gescheitert. Ein Verfahren gegen die Schweiz ist noch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig, wo Pechstein eine Verletzung von Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention rügt (Az. 67474/10).
Nach den Entscheidungen in der Schweiz hatten sich die Hinweise verdichtet, dass Pechstein möglicherweise doch an einer Blutanomalie leidet, ihre erhöhten Blutwerte also nicht auf Doping beruhen – die Schweizer Urteile wären dann falsch, die Sperre zu Unrecht verhängt worden.
Es ist klar, dass das noch keine ausreichende Grundlage für Schadensersatz ist. Unklar ist aber, warum das LG München I für die Beurteilung dieser Fragen zuständig sein soll. Pechstein hat nämlich eine Schiedsvereinbarung abgeschlossen und außerdem hat die ISU ihren Sitz in der Schweiz.
Pechsteins Anwalt zweifelt an Rechtsstaatlichkeit des CAS
Seit etwa zehn Jahren hat sich die Schiedsgerichtsbarkeit im Sport flächendeckend global durchgesetzt. Ziel war es, eine einheitliche und abschließende Instanz für die Beurteilung von Rechtsstreitigkeiten zu schaffen, um die Gleichheit im Sport sicherzustellen.
Die Schiedsvereinbarungen sind regelmäßig so weit gefasst, dass sie auch Schadensersatzansprüche wegen unrechtmäßiger Dopingsperren umfassen. Zumindest aktuell statuiert die Satzung der ISU auch für Schadensersatzansprüche ausdrücklich die ausschließliche Zuständigkeit des CAS. Pechstein müsste sich also an diesen wenden.
Ihr Anwalt erklärte aber vergangene Woche, er halte den CAS nicht für ein echtes Schiedsgericht, weil er hinter der deutschen Rechtsstaatlichkeit zurückbleibe. Das steht in krassem Gegensatz zur allgemeinen Anerkennung des CAS durch Gerichte verschiedenster Länder, auch durch das LG München I.
Vor allem hat sich Pechstein selbst an den CAS gewandt, um die Aufhebung ihrer Sperre zu erreichen. Damals hat sie die mit der ISU geschlossene Schiedsvereinbarung nicht in Frage gestellt und bei Einleitung des Verfahrens in einer order of procedure erneut die Zuständigkeit des CAS freiwillig anerkannt. Dem Verfahren in München steht daher schon das Prozesshindernis der Schiedsvereinbarung entgegen.
Klage gegen deutschen Verband nur vorgeschoben
Käme das Gericht zu einer anderen Bewertung, müsste es für die Klagen gegen beide Verbände zuständig sein. Im Fall der DESG ist dies unproblematisch, weil diese ihren Sitz in München hat. Der Verband dient allerdings ganz offensichtlich nur als Vehikel, um auch eine Zuständigkeit des LG gegenüber der ISU zu begründen, die ihren Sitz in der Schweiz hat.
Helfen soll dabei der sogenannte Streitgenossenschaftsgerichtsstand. Einen solchen kennt zwar das deutsche Recht nicht, wohl aber das Lugano Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen LGVÜ. Vertragsstaaten sind unter anderen die Schweiz sowie die EU und mit letzterer auch Deutschland.
Art. 6 Nr. 1 LGVÜ regelt einen einheitlichen internationalen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft auf der Beklagtenseite. So ist es möglich, mehrere Beklagte am Sitz eines Streitgenossen zu verklagen. Erforderlich ist aber, dass zwischen den Klagen ein Zusammenhang besteht. Zwischen ihnen muss also eine so enge Beziehung bestehen, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass es in getrennten Verfahren zu widersprechenden Ergebnissen kommt.
DESG und Pechstein verstehen sich wohl gut
Im Verhältnis zwischen nationalem und internationalem Sportverband kann ein solcher Zusammenhang durchaus bestehen und zwar dann, wenn die Verbände satzungsrechtlich voneinander abhängig sind und bei der Umsetzung der Dopingsperre eng kooperiert haben. Allerdings bedarf es einer Missbrauchskontrolle: Der Streitgenossenschaftsgerichtsstand soll nicht dazu dienen, den ausländischen Beklagten vor ein fremdes Forum zu ziehen.
Bedenklich ist im Fall Pechstein, dass sich die Eisläuferin offenbar ganz gut mit der DESG versteht, jedenfalls wenn man der Berichterstattung glauben darf. So hat der Präsident der DESG eine Petition an die ISU "100 Stars kämpfen für Pechstein" unterzeichnet, obwohl seinem Verband die Insolvenz droht, wenn die Eisläuferin mit ihrer Klage Erfolg hat.
Es drängt sich daher der Verdacht auf, dass die DESG nur vorläufig als Anker benutzt wird, um die Zuständigkeit des LG München I auch für die Klage gegen die ISU zu begründen. Im Verfahren könnte Pechstein dann ihre Klage gegen die DESG zurücknehmen, ohne dass die internationale Zuständigkeit gegenüber der ISU entfallen würde.
Vergleich könnte Gerechtigkeit für Pechstein bringen
In der Sache stünde einem Erfolg in München die Rechtskraft der Schweizer Entscheidungen entgegen: Der Schiedsspruch des CAS, der die Rechtmäßigkeit der Sperre festgestellt hat, egal ob richtig oder falsch, ist rechtskräftig. Staatliche Gerichte müssen diese Rechtskraft nach dem New Yorker Übereinkommen von 1958 beachten.
In dem vergleichbaren Fall des US Basketballers Stanley Roberts hat das LG München I dies 2001 auch bereits so entschieden: Es bejahte die Bindungswirkung eines CAS-Schiedsspruchs mit der Folge, dass es die angegriffene Dopingsperre als rechtmäßig ansehen musste und der Schadensersatzklage nicht stattgeben konnte.
Pechstein strengte gegen den CAS-Schiedsspruch ein Revisionsverfahren an, das eine Art Wiederaufnahmeverfahren und keine Revision im Sinne der deutschen Zivilprozessordnung ist und vor dem Schweizer Bundesgericht stattfindet. Die Revision wurde 2010 zurückgewiesen, weil Pechstein keine neuen Beweismittel vorlegen konnte. Diese Entscheidung ist rechtskräftig und nach dem Lugano Übereinkommen ebenfalls von den deutschen Gerichten anzuerkennen.
Das LG München I wird zunächst ausloten, ob ein Vergleich zwischen den Parteien möglich ist. Der auch medial aufgebaute Druck von Pechstein lässt ahnen, dass es ihr wohl eher um einen Vergleich als um eine erfolgreiche Klage geht.
Und vielleicht ist genau das der richtige Weg. Abseits prozessualer Vorgaben könnten die Verbände die Athletin ohne Anerkennung einer Schadensersatzpflicht rehabilitieren, wenn belegbar ist, dass wirklich eine Blutanomalie vorlag, die Sperre durch die ISU und der sie bestätigende CAS-Schiedsspruch also falsch waren. Juristisch ist Pechstein nicht im Recht, ihr könnte so aber doch noch Gerechtigkeit widerfahren.
Der Autor Prof. Dr. Jens Adolphsen ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Nationales und Internationales Zivilverfahrensrecht und Sportrecht an der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Pechstein zweifelt an Rechtsstaatlichkeit des CAS: . In: Legal Tribune Online, 25.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9665 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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