Ein Vater missbrauchte seinen Sohn. Vor Gericht gab er an, schuldlos gehandelt zu haben, weil er unter Sexsomnia leide. Das LG Lübeck glaubte ihm nicht, unterschritt in seinem Urteil jedoch das im Regelfall vorgesehene Strafmaß.
Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern und sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen: So lautet der am Mittwoch verkündete Schuldspruch des Landgerichts (LG) Lübeck (Urt. v. 14.02.2024 - Az. 7a KLs 559 Js 20243/19 (1/23)). Das Gericht verurteilte damit einen Vater und ehemaligen Staatsanwalt, der sich 2019 selbst angezeigt und zugegeben hatte, seinen Sohn sexuell missbraucht zu haben. Im Prozess ging es deshalb nicht primär darum, ob der Mann die Tat wirklich begangen hat, sondern um die Frage, ob er Schuld daran trägt.
Der Angeklagte gab nämlich an, Sexsomnia zu haben – eine Schlafstörung, bei der Betroffene im Schlaf sexuelle Handlungen vornehmen. Dabei sind sie nicht bei Bewusstsein und können sich nach dem Aufwachen oft nicht mehr an ihre Handlungen erinnern. In einem solchen Zustand habe er sich befunden, als er seinen Sohn missbrauchte, verteidigte sich der Mann vor Gericht.
Das LG Lübeck glaubte dem Vater allerdings nicht und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, ausgesetzt zur Bewährung. "Wir gehen davon aus, dass die Tat als dysfunktionale Bewältigungsstrategie zu verstehen ist", sagte die Vorsitzende Richterin von Lukowicz laut dpa bei der Urteilsverkündung. Der Mann habe beruflich unter Druck gestanden, die Ehe sei am Ende gewesen. "Der gewaltsame Missbrauch des Sohnes gab ihm für einen Moment das Machtgefühl zurück." Es habe sich um eine spontane Tat in einer Situation besonderer Belastung gehandelt.
"Nur" eineinhalb Jahre – wie kommt das?
Die verhängte Strafe liegt unter dem Mindeststrafrahmen des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176c Strafgesetzbuch (StGB)) von zwei Jahren. Sie liegt auch unter dem bei der Vergewaltigung regelmäßig anzuwendenden Mindeststrafrahmen von ebenfalls zwei Jahren. Wie kommt das?
Gegenüber LTO erklärte der Gerichtspressesprecher, die 7. Kammer habe die im Vergleich dazu geringere Strafe in der Urteilsverkündung damit begründet, dass der vorliegende Fall eine Ausnahme von der Regelvermutung in § 177 Abs. 6 StGB darstelle. Demnach wird ein besonders schwerer Fall der sexuellen Nötigung mit mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe bestraft. Eine Vergewaltigung ist nach § 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 1 StGB in der Regel ein solcher besonders schwerer Fall. Wie der Gerichtssprecher weiter ausführte, liegt der Fall nach Auffassung des LG Lübeck hier aber anders: Zwar erfülle die Handlung des Vaters den Tatbestand der Vergewaltigung, sie stelle hier aber keinen besonders schwereren Fall der sexuellen Nötigung dar, so das Gericht. Daher sei eine Strafe unter zwei Jahren ausnahmsweise angemessen. Wie das Gericht diese Ausnahme konkret begründet, war bis zum Erscheinen dieses Artikels nicht in Erfahrung zu bringen. Insoweit bleiben die Entscheidungsgründe abzuwarten.
Was den Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern angeht, habe das Gericht nicht den derzeitigen § 176c StGB angewandt, so der Gerichtssprecher weiter. Die Norm ist erst 2021 – also nach der Tatbegehung im Jahr 2019 – eingeführt worden. Die frühere Rechtslage sah in § 176 StGB (Fassung von 27. Januar 2015 bis 12. März 2020) für sexuellen Missbrauch von Kindern den Strafrahmen einer Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und zehn Jahren vor. Für einen besonders schweren Fall lag die Mindeststrafe damals bei einem Jahr.
Dass es überhaupt zu einem Strafverfahren kam, liegt nur an einem erfolgreichen Klageerzwingungsverfahren. Die Staatsanwaltschaft Kiel und die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein hatten eine Verurteilung nicht für wahrscheinlich gehalten und daher keine Anklage gegen den ehemaligen Staatsanwalt erhoben. Letztlich erreichte die Mutter des Opfers vor dem Oberlandesgericht (OLG) Schleswig, dass die Staatsanwaltschaft dazu gezwungen wurde, Anklage gegen ihren mittlerweile Ex-Ehemann zu erheben.
Die Verteidiger des Vaters, Johann Schwenn und Dr. Yves Georg von der Kanzlei Schwenn Kruse Georg, haben gegenüber LTO bereits angekündigt, in Revision zu gehen.
mit Material von dpa
Entscheidung im Sexsomnia-Prozess: . In: Legal Tribune Online, 14.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53868 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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