Eine Netflix-Doku machte den "Kinderzimmerdealer" berühmt. Dort erschien Maximilian Schmidt bis fast zum Schluss geläutert und resozialisiert. Doch laut Anklage soll er erneut einen Drogenshop aufgebaut haben. Jetzt begann der Prozess.
"In den viereinhalb Jahren würden andere studieren, sonst was machen, Studentenleben etcetera, führen – hier hört man nix. Früh aufstehen, abends schlafen gehen. Sehr, sehr, sehr langweilig". Mit diesen Worten fasst Maximilian Schmidt seinen Gefängnisaufenthalt in der Netflix-Dokumentation unter dem Titel "Shiny Flakes" zusammen.
Es sind Worte, die ein großes Bedauern über verlorene Zeit in Haft zum Ausdruck bringen. Doch nachdem es auch in der Doku zunächst nach einem Happy End für Schmidt aussieht – er posiert etwa mit Freundin vor dem Brandenburger Tor – kommt schon dort zum Schluss heraus, dass die Staatsanwaltschaft erneut gegen Schmidt ermittelt.
Nach der Anklage soll Schmidt sich die Langeweile im Gefängnis damit vertrieben haben, erneut einen Drogenshop im Internet aufzubauen, diesmal unter dem Namen "candylove". Schmidt war dadurch bekannt geworden, dass er mit 18 Jahren begann, aus seinem Kinderzimmer heraus das Internet-Portal "Shiny Flakes" zu schaffen und dort massenweisen mit Drogen zu handeln. Dabei versandte der von den Boulevardmedien getaufte "Kinderzimmerdealer" die Drogen auf dem Postwege, nutzte die Deutsche Post und DHL – in seinen Worten – als "Kuriere". Annähernd eine Tonne Drogen soll er insgesamt besessen, zwei Drittel davon auch verkauft haben. Nachdem die Polizei lange im Dunkeln tappte, gelang 2015 der Zugriff. Schmidt wurde als 20jähriger zu sieben Jahren Haft verurteilt.
Netflix-Doku macht Maximilian Schmidt berühmt
Während seiner Haft beginnt Netflix seine Geschichte zu verfilmen. Der Streaming-Dienst baute das gesamte Kinderzimmer vom Schmidt wieder auf und ließ Schmidt dort selbst nachspielen, wie er Deutschlands größten Drogenmarktplatz aufbaute. Selbst seine Verhaftung wurde inszeniert. Wortkarg gab sich Schmidt allein bei Fragen nach seiner Familie, nach dem Verbleib von drei Millionen Euro und – schließlich in Freiheit – zu seiner neuen Tätigkeit ("Autosachen").
In der Doku kommt Schmidt als symphatisch-intelligenter Junge von nebenan rüber. Immer wieder deutet sich aber auch eine Überheblichkeit an, vor allem gegenüber der Polizei. Ist ihm diese Überheblichkeit nun zum Verhängnis und er erneut straffällig geworden?
Das hat die 8. Strafkammer des Landgericht Leipzig zu klären. Schmidt steht seit Montag wieder vor Gericht. Gewohnt entspannt trat Schmidt dort auf. Doch dieses Mal nicht allein, sondern mit vier Mitangeklagten. Laut Anklage war er Kopf einer "Bande", die über den Online-Shop "candylove" Drogen ins In- und Ausland verkauft haben soll. Aufgrund seines Wissens und seiner finanziellen Möglichkeiten sei Schmidt in der Lage gewesen, eine solche Plattform aufzubauen und zu betreiben. G. soll die Logistik, wie z.B. Transport der Betäubungsmittel, übernommen haben. Ebenfalls als Haupttäter angeklagt ist Rechtsanwalt R. Er soll sich um rechtliche und organisatorische Angelegenheiten der Gruppe gekümmert haben. Zwei weitere Angeklagte sollen in die Abwicklung der Geschäfte eingebunden gewesen sein, sind wegen Beihilfe angeklagt.
Im Rahmen der Anklageschrift geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass die Gruppe ca. 20 Kilogramm unterschiedliche Betäubungsmittel und verschiedene Tabletten in über 400 Postsendungen im Zeitraum von April 2019 bis Januar 2021 an Abnehmer verschickt haben soll. Die Verkaufserlöse von angeblich 95.000 Euro sollen im Vergleich zu Zeiten von "Shiny Flakes" – dort ging es um mehrere Millionen Euro – gering gewesen sein. Doch der strafrechtliche Vorwurf lautet gleichwohl: Bandenmäßiger Handel mit Betäubungsmitteln. Nach § 30a Betäubungsmittelgesetz (BtMG) steht hierauf eine Mindeststrafe von fünf Jahren Haft.
Bande steht und fällt mit drei Personen
Ein besonderer Augenmerk ist auf die mutmaßliche Beteiligung des Rechtsanwalt R. gerichtet. Offenbar wurden dessen Gespräche mit seinem Mandanten und Mitangeklagten G. von der Polizei abgehört. Für dessen Verteidiger Andrej Klein ein klarer Verstoß gegen die Verwertungsregeln der Strafprozessordnung. Diese lasse das Abhören zwischen Mandanten und Rechtsanwalt nur zu, wenn der Anwalt bereits im Vorfeld als Beschuldigter geführt werde. Hier sei es aber so gewesen, dass erst durch das Abhören selbst der Verdacht auf R. gefallen sei, so Klein in der Verhandlung.
Der Frage des Verwertungsverbots wird sich auch die Kammer intensiv widmen, versicherte heute der Vorsitzende Richter Rüdiger Harr. Die Frage ist nicht nur für den Angeklagten R. von großer Bedeutung, verliert er doch bei einer Verurteilung von über einem Jahr Freiheitsstrafe seine Zulassung. Fiele R. aus der Betrachtung heraus, wären nur noch Schmidt und G. Haupttäter. Eine "Bande" darf nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in diesem Fall aber nicht mehr angenommen werden. Der Strafrahmen würde sich mithin erheblich reduzieren, sofern es zu einer Verurteilung käme.
Anwalt von Shiny Flakes: "Keine Möglichkeit zur Besinnung und Resozialisierung in Haft"
Die Angeklagten ließen sich heute nicht zur Sache ein. In einem Erörterungstermin, der anschließend öffentlich protokolliert wurde, ging jedoch Schmidts Verteidiger Curth-Matthias Engel bereits in den Entschuldigungsmodus. Sein Mandant sei öffentlich bereits vorverurteilt, zudem habe Schmidt kaum eine Möglichkeit zur Besinnung und Resozialisierung in der Haft gehabt, da er ständig in nachgelagerten Fällen als Zeuge in Anklagen gegen seine Kunden auftreten musste. Damit sei eine kontinuierliche Sozialisierungsbetreuung in der Haft gar nicht möglich gewesen. Ist das Zugeben einer gescheiterten Resozialisierung bereits ein erster Schritt in Richtung Geständnis?
Im Erörterungstermin haben die Verfahrensbeteiligten auch die Möglichkeiten einer Verständigung vorsondiert. Verhandlungsmasse scheint vorhanden zu sein. So stellte etwa die Staatsanwaltschaft – zwischen den Zeilen – in Aussicht, nicht zwingend am bandenmäßigen Straftatbestand festhalten zu müssen. Sie gehe zwar weiterhin von diesem aus, doch sei eine Hauptverhandlung ja ein dynamisches Geschehen, die Beurteilung könne sich ändern – im Subtext: Gestehen die Angeklagten, könnte es im Rahmen einer Verständigung liegen, dass die Staatsanwaltschaft den Vorwurf des bandenmäßigen Handels fallenlässt. Auch der Vorsitzende Richter Harr versuchte, den Verteidigern der Angeklagten die Vorteile eines Geständnis schmackhaft zu machen.
So sei es durchaus denkbar, statt der angeklagten sechs Straftaten von Tateinheit auszugehen. Wenn nämlich ein Verkaufsvorrat immer wieder aufgefüllt und zu Lieferzwecken vorgehalten werde, könne es sich rechtlich um eine Tateinheit handeln, mit der Folge eines geringeren Strafrahmens für die Verurteilung. Zudem müsse – so der Hinweis an die wegen Beihilfe angeklagten – eine solche Verurteilung nicht zwingend mit einer Haftstrafe ohne Bewährung enden. Selbstredend betonte Harr, dass diese Bewertung von Einlassungen der Beteiligen und dem Gang der Hauptverhandlung und Beweisaufnahme abhängig sei. Doch auch dieser Hinweis zielte recht deutlich in Richtung einer Verschlankung des Prozesses, für den aktuell weitere 17 Verhandlungstage angesetzt sind.
Wer redet zuerst?
So machte der umsichtig agierende Harr, der mehrfach die Bedeutung der transparenten Verhandlung betonte, auch deutlich, dass es nun um die Frage gehen könne: "Wer redet zuerst?". Der Hintergrund ist klar: Im Falle eines Geständnisses fällt die Strafmilderung in der Regel höher aus, wenn der Angeklagte sich freiwillig äußert, als wenn dies unter dem Druck von Aussagen der anderen Angeklagten geschieht – er also ohnehin bereits überführt ist. Doch noch war kein Riss durch die Anklagebank ersichtlich. Unisono beharrten die Verteidiger darauf, dass die Kammer erst noch über die Zuständigkeitsrüge entscheiden solle, bevor Einlassungen der Angeklagten in Aussicht gestellt werden.
Hintergrund der Rüge: Ein Täter war zum mutmaßlichen Tatbeginn noch Heranwachsender. Damit stellt sich die Frage, ob Jugendstrafrecht angewendet und vor einer Jugendstrafkammer verhandelt werden muss. Nach der vom Senatsvorsitzenden zitierten Rechtsprechung des BGH kann die Strafverfolgung auf den Zeitpunkt des Handelns als Erwachsener beschränkt werden, sodass das Zuständigkeitsproblem entfiele. Dem setzten mehrere Verteidiger die sogenannte Wurzeltheorie entgegen, wonach Taten, die ihre Wurzeln im Jugendalter haben, einheitlich nach Jugendstrafrecht zu beurteilen seien. Der Vorsitzende Harr versprach auch hier eine weitere Befassung mit dem Thema.
Verteidiger und Mandanten nutzen Sitzungssaal für Konferenz
Zum Ende der Verhandlung blieben Anwälte und ihre Mandanten noch über eine Stunde sitzen und berieten im Sitzungssaal über eine gemeinsame Strategie. Auch dafür hatte der Vorsitzende Richter Verständnis, offenbar auch in der Hoffnung auf eine Verständigung zur effizienten Beendigung des Verfahrens. Eine solche sei zwar heute noch nicht in Reichweite gewesen, aber für die Zukunft nicht ausgeschlossen, so Harr in seiner Schlussbemerkung.
Maximilian Schmidt verließ am frühen Abend als vorerst freier Mann das Gericht. Das Landgericht sieht anders als die Staatsanwaltschaft keine Fluchtgefahr, auch weil sich Schmidt nicht schon frühzeitig absetzte, obwohl er die Möglichkeit dazu gehabt haben soll.
Die Hauptverhandlung wird am Donnerstag den 25. Januar fortgesetzt.
Verhandlungsbeginn vor dem Landgericht Leipzig: . In: Legal Tribune Online, 23.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50858 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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