AfD-Politiker Björn Höcke wurde wegen Verwendung der SA-Losung "Alles für Deutschland" verurteilt. Er habe sich gem. § 86a StGB strafbar gemacht, entschied das LG Halle. Christian Rath erläutert, was hier bestraft wird.
Die Verwendung von Propagandamitteln und von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ist in Deutschland strafbar. Die Propagandamittel (z.B. Flugblätter und Plakate) sind in § 86 Strafgesetzbuch (StGB) pönalisiert, die Kennzeichen in § 86a StGB.
Lange Zeit ging es dabei vor allem um die Kennzeichen von NS-Organisationen. § 86a StGB ist aber nicht darauf begrenzt, sondern betrifft auch die Kennzeichen anderer verbotener Organisationen, etwa der palästinensischen Terrorgruppe Hamas. Im Kontext der AfD sind aber weiterhin vor allem NS-Kennzeichen von Interesse.
Die Strafandrohung von § 86a StGB beträgt Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Tathandlung ist das Verbreiten oder öffentliche Verwenden von Kennzeichen unanfechtbar verbotener Organisationen.
Signets und Grußformen
Die Strafnorm erfasst natürlich die öffentliche Verwendung des Hakenkreuzes und die Verwendung spezifischer NS-Grußformen. Unter Strafandrohung verboten ist etwa der ausgestreckte Arm ("Hitler-Gruß"), die Grußformel "Heil Hitler" oder die Parole "Sieg Heil". Zudem erfasst die Strafnorm die NSDAP-Parteihymne, das sogenannte Horst-Wessel-Lied ("Die Fahne hoch! Die Reihen fest geschlossen"). Es gibt allerdings keine offizielle Liste der verbotenen NS-Kennzeichen.
Bei aktuell verbotenen Organisationen ist die Lage transparenter. So hat das Bundesinnenministerium in seinem Betätigungsverbot für die Hamas auch die nun verbotenen Kennzeichen der Organisation aufgelistet. Doch auch dort ist nicht alles eindeutig. So ist zum Beispiel umstritten, ob die Parole "From the River to the Sea" vom Innenministerium einfach zum Kennzeichen der Hamas erklärt werden durfte.
Bei NS-Organisationen entscheidet letztlich die Justiz, welche Signets und Parolen als Kennzeichen dieser Organisationen anzusehen sind und daher strafbar sind. Der Prozess kann zum Beispiel durch Strafanzeigen aus der Bevölkerung ausgelöst werden. Falls die Staatsanwaltschaft dann Anklage erhebt, entscheidet ein Strafgericht über die Strafbarkeit des Merkmals der "Verwendung" gem. § 86a StGB, notfalls bis hin zum Bundesgerichtshof.
Publik werden solche Urteile zum Beispiel durch die Strafrechtskommentare, aber auch durch Broschüren der Verfassungsschutzbehörden. Die von Björn Höcke verwendete SA-Lösung "Alles für Deutschland" war etwa im StGB-Kommentar von Thomas Fischer schon vor dem Hallenser Strafverfahren als strafbar aufgelistet. In einer Broschüre des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz fehlt sie jedoch.
Da von niemand erwartet wird, dass er vor jeder Äußerung umfassend recherchiert, kommt es in Zweifelsfällen natürlich auf den Vorsatz an. Wer nicht weiß, dass eine patriotische Allerweltsformel wie "Alles für Deutschland" als Kennzeichen der NS-Sturmabteilung (SA) gilt, macht sich nicht strafbar. Es fehlt der subjektive Tatbestand. Im Fall von Björn Höcke war die Vorsatzfrage deshalb der entscheidende Punkt. Das Landgericht Halle hat Höcke nicht geglaubt, dass er den Hintergrund der Parole nicht kannte, als er sie 2021 in einer Rede nutzte.
Abwandlungen von Kennzeichen
Natürlich lädt eine solche Rechtslage zu Versuchen ein, die Strafbarkeit zu umgehen und trotzdem zu provozieren. 1994 hat der Gesetzgeber daher in § 86a Abs. 2 die Strafbarkeit um Kennzeichen erweitert, die verbotenen Kennzeichen "zum Verwechseln ähnlich sind". Anlass war der von dem Neonazi Michael Kühnen genutzte Kühnen-Gruß mit ausgestrecktem Arm und drei abgespreizten Fingern.
Damit ist aber nicht jede Umgehungshandlung strafbar. Die bei Rechtsradikalen beliebten Zahlenkombinationen 18 und 88 sind zum Beispiel keine strafbaren Kennzeichen. Hier werden die Buchstaben A und H nach dem Stand im Alphabet in die Zahlen 1 und 8 übersetzt, sodass 18 für "Adolf Hitler" steht und 88 für "Heil Hitler". Mit der "88" wurde damit zwar ein neues Kennzeichen geschaffen, das aber kein von der NSDAP verwendetes Kennzeichen ist.
2005 entschied der Bundesgerichtshof, dass die Formel "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" kein gem. § 86a StGB strafbares Kennzeichen ist (Urt. v. 28.06.2005, Az.: 3 StR 60/05), weil es zu NS-Zeiten nie eine derartige oder ähnliche Parole gegeben hat. Die Vorinstanz hatte deshalb argumentiert, dass der heutige Slogan "Ruhm und Ehre" einer Parole der Hitlerjugend ("Blut und Ehre") metrisch und phonetisch stark ähnele. Der Bundesgerichtshof ließ dies aber nicht gelten, unter anderem weil Hitlerjugend und Waffen-SS zwei unterschiedliche Organisationen waren. Deshalb müsse die Parole aber nicht straflos sein, so der Bundesgerichtshof, infrage komme auch eine Strafbarkeit gem. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB (Fortsetzung der Bestrebungen ehemaliger NS-Organisationen) oder § 130 Abs. 4 StGB (Verherrlichung der NS-Gewalt und Willkürherrschaft).
Hakenkreuz und Antifa
Sinn von § 86a StGB ist es laut Rechtsprechung, die Kennzeichen verbotener Organisationen zu tabuisieren. Diese sollen im Alltag keine normale Rolle spielen. Es soll nicht der Eindruck entstehen, als seien die Organisationen gar nicht verboten. Es kommt daher nicht darauf an, dass der Benutzer mit dem Kennzeichen für die Organisation werben will. Auch der rein kommerzielle Gebrauch von Hakenkreuzen wird daher von § 86a StGB erfasst.
Ausnahmen sieht die Strafnorm in ihrem Abs. 3 vor. Die Darstellung solcher Kennzeichen ist nicht strafbar, wenn sie unter anderem der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Wissenschaft oder der Bildberichterstattung über geschichtliche Vorgänge dient.
Nicht ausdrücklich war von dieser Sozialadäquanzklausel war der Gebrauch von Hakenkreuzen in der Symbolik der Nazigegner erfasst. Dort gibt es aber unzählige Motive auf Aufklebern und T-Shirts, bei denen Hakenkreuze zerschlagen, zertreten oder in den Papierkorb geworfen werden. Unter Berufung auf die Tabuisierungsfunktion des § 86a StGB wurde 2006 ein Punk-Versandhändler vom Landgericht Stuttgart zu einer Geldstrafe verurteilt.
Der Bundesgerichtshof hob die Bestrafung 2007 aber wieder auf und stellte klar, dass die Verwendung von NS-Kennzeichen immer dann zulässig ist, "wenn die Darstellung eindeutig die Bekämpfung der NS-Ideologie zum Ausdruck bringt" (Urt. v. 15.03.2007, Az. 3 StR 486/06).
Schon 1972 hatte der Bundesgerichtshof die Verurteilung eines linken Demonstranten aufgehoben, der Polizisten den Hitlergruß gezeigt hatte (Urt. v. 18.10.1972, Az.: 3 StR 1/71). Dieser singuläre und kurze Protest gegen vermeintlich nazistische Methoden der Polizei könne noch nicht zu einer Gewöhnung der Öffentlichkeit an NS-Symbole führen, hieß es damals. Die Norm ermöglicht also durchaus einen Umgang mit Augenmaß.
NS-Kennzeichen und Parolen im Strafrecht: . In: Legal Tribune Online, 15.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54545 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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