2/2: LG Frankfurt: Auch Arbeitnehmer ausländischer Tochtergesellschaften zählen
Entgegen der bislang herrschenden Auffassung und jahrelangen Praxis entschied das LG Frankfurt, dass sich die Muttergesellschaft auch die im Ausland bei ihren Tochtergesellschaften beschäftigten Arbeitnehmer zurechnen lasse müsse. Weil sie damit mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftige, sei der Aufsichtsrat falsch zusammengesetzt. Er sei nicht nur zu einem Drittel, sondern zur Hälfte mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen.
Weder aus dem Wortlaut des DrittelbG noch aus dem des MitbestG ergebe sich, dass die im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer von der Mitbestimmung ausgenommen würden. Vielmehr sei der allgemeine Konzernbegriff des § 18 Abs. 1 AktG maßgeblich. Dieser erfasse aber unstreitig auch ausländische Unternehmen. Zudem verstoße eine Ungleichbehandlung von im EU-Ausland ansässigen Unternehmen gegen das Diskriminierungsverbot aus Art 18 AEUV.
Der Beschluss überrascht. Zum einen, weil die Kammer mit der ganz herrschenden Auffassung in der Literatur und der bislang ergangenen Instanzrechtsprechung (darunter auch das Landgericht Frankfurt) bricht. Zum anderen widerspricht sie dem klaren Willen des Gesetzgebers. In den Gesetzesmaterialien heißt es unmissverständlich: "Im Ausland gelegene Tochtergesellschaften und deren Betriebe im Inland von unter das Gesetz fallenden Unternehmen zählen bei der Errechnung der maßgeblichen Arbeitnehmerzahl nicht mitzählen." (BT-Drs. 7/4845, S. 4)
Vom Mittelständler bis zum Konzern: was die Entscheidung bedeutet
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Nach Angaben eines Gerichtssprechers gegenüber LTO ist Beschwerde zum Oberlandesgericht Frankfurt bereits eingelegt und viel spricht dafür, dass am Ende der Bundesgerichtshof entscheiden wird. Möglicherweise wird auch der Europäische Gerichtshof in einem Vorabentscheidungsverfahren angerufen.
Die Entscheidung verunsichert vor allem Konzerne mit grenzüberschreitenden Strukturen und ihre Anteilseigner. Bislang war in Unternehmen mit weniger als 2.000 Mitarbeitern im Inland ein Aufsichtsrat nach den Regeln des MitbestG nicht zu bilden, unabhängig davon, wie viele Arbeitnehmer der Konzern in ausländischen Tochtergesellschaften beschäftigt. Entsprechendes galt für Unternehmen unterhalb der Schwelle von 500 Arbeitnehmern im Hinblick auf das DrittelbG.
Wenn der Beschluss Bestand hat, wird das zu einer erheblichen Ausweitung der Unternehmensmitbestimmung führen: Für viele mittelständische Unternehmen könnte eine Zurechnung der Arbeitnehmer ausländischer Tochtergesellschaften erstmals einen mitbestimmten Aufsichtsrat bedeuten. Erst die Berücksichtigung der Arbeitnehmer ausländischer Tochtergesellschaften wird dort zur Mitbestimmung führen.
Bei größeren Unternehmen kann die neue Zählweise des LG Frankfurt aus der der Drittelmitbestimmung nach dem DrittelbG künftig eine paritätische Mitbestimmung nach dem MitbestG machen. Selbst bei Unternehmen, die bereits dem MitbestG unterliegen, könnte eine Rechtskraft der Frankfurter Entscheidung Veränderungen mit sich bringen. Schließlich richtet sich die Größe des Aufsichtsrats nach der Zahl der zu berücksichtigenden Arbeitnehmer.
Völlig unklar sind auch die Folgen für die Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, die dann möglicherweise grenzüberschreitend stattfinden müsste. Das würde das ohnehin komplizierte Wahlverfahren aber noch fehleranfälliger machen.
Der Autor Dr. André Zimmermann, LL.M. ist Counsel und Fachanwalt für Arbeitsrecht im Frankfurter Büro von King & Wood Mallesons LLP.
André Zimmermann, LG Frankfurt zur Mitbestimmung im Aufsichtsrat: . In: Legal Tribune Online, 21.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15304 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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