Sind die Aufsichtsräte vieler deutscher Unternehmen fehlerhaft besetzt? Nach einer aktuellen Entscheidung des LG Frankfurt schon, erklärt André Zimmermann. Das Gericht hat überraschend die Arbeitnehmer ausländischer Tochtergesellschaften für die Unternehmensmitbestimmung im Inland mitgezählt. Und damit einem Juraprofessor Recht gegeben, der extra Aktionär wurde, um das feststellen zu lassen.
Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat setzt eine bestimmte Zahl regelmäßig beschäftigter Arbeitnehmer voraus. Nach dem Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) muss der Aufsichtsrat von Kapitalgesellschaften (z.B. AG, GmbH) zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern bestehen, wenn die Gesellschaft in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt.
Arbeiten in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer für das Unternehmen, muss das Kontrollgremium nach dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) zur Hälfte aus Arbeitnehmervertretern bestehen. In einem Konzern werden die Mitarbeiter der abhängigen Konzerngesellschaften der Muttergesellschaft zugerechnet, nach dem Drittelbeteiligungsgesetz nur, wenn zusätzlich ein Beherrschungsvertrag besteht oder die Tochtergesellschaft in das herrschende Unternehmen eingegliedert ist.
Bisher war es allgemein anerkannt – und gängige Unternehmenspraxis –, dass Arbeitnehmer ausländischer Tochtergesellschaften der inländischen Muttergesellschaft nicht zugerechnet, also bei den Schwellenwerten nicht mitgezählt werden. Nur die Belegschaft der Konzerngesellschaften wurde berücksichtigt, die ihren Sitz in Deutschland hatten. Begründet wurde das mit dem Territorialitätsprinzip, wonach das Hoheitsgebiet anderer Staaten nicht durch die deutsche Rechtsordnung beeinflusst werden könne. Damit hat überraschend das Landgericht Frankfurt gebrochen. Mit einer bislang - zu - wenig beachteten Entscheidung aus Februar (LG Frankfurt, Beschl. v. 16.02.2015, Az. 3-16 O 1/14) haben die Richter im Zentrum des Finanzwesens möglicherweise die Aufsichtsräte vieler deutscher Unternehmen für fehlerhaft besetzt erklärt.
Nur fürs Statusverfahren: Ein Jurist wird Aktionär
Die Antragsgegnerin ist herrschendes Unternehmen eines Konzerns, in dem zum 31. Dezember 2013 3.371 Arbeitnehmer beschäftigt waren, davon 1.624 Arbeitnehmer in Deutschland und 1.747 Beschäftigte überwiegend im EU-Ausland. Der Aufsichtsrat ist nach dem DrittelbG gebildet und besteht daher zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern.
Der Antragsteller, ein nicht unbekannter Arbeitsrechtsprofessor aus München, ist Aktionär. Er ist seit dem 20. März 2014 im Aktienregister der Gesellschaft eingetragen und verfügt über 100 Namensaktien der Gesellschaft. Am selben Tag ist die Antragsschrift beim Landgericht eingegangen. Man kann daher getrost davon ausgehen, dass der Antragsteller die Aktien gekauft hat, um dieses Statusverfahren einleiten zu können.
Er hat beantragt, festzustellen, dass der Aufsichtsrat fehlerhaft gebildet ist, da das DrittelbG durch den Ausschluss des aktiven und passiven Wahlrechts der Arbeitnehmer im europäischen Ausland gegen Europarecht verstoße. Das Gremium sei daher ausschließlich aus Vertretern der Anteilseigner oder hilfsweise nach den Vorschriften des MitbestG jeweils hälftig aus Repräsentanten der Anteilseigner und der Arbeitnehmer zusammenzusetzen.
Die von der Antragsgegnerin gerügte Antragsbefugnis für das Statusverfahren (§ 98 AktG) hält das Gericht für gegeben, auch wenn man unterstellt, dass der Jurist in erster Linie wissenschaftliche Zwecke verfolgt und die Aktien nur gekauft hat, um das Verfahren führen zu können. Als Aktionär sei er antragsbefugt (§ 98 Abs. 2 Nr. 3 AktG), so die Kammer. Seine Motive seien unerheblich.
André Zimmermann, LG Frankfurt zur Mitbestimmung im Aufsichtsrat: . In: Legal Tribune Online, 21.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15304 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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