2/2: Strafmilderung auch bei Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebs?
Die obersten deutschen Richter hielten mit dieser Entscheidung den Mordparagrafen auch insofern für grundsätzlich verfassungsgemäß, als er eine lebenslange Freiheitsstrafe für denjenigen vorsieht, der zur Befriedigung des Geschlechtstriebs oder deshalb tötet, weil er eine andere Straftat ermöglichen will. Für diese Mordmerkmale gibt es nach der bisherigen Rechtsprechung nicht die Möglichkeit, von der lebenslangen Freiheitsstrafe nach unten abzuweichen.
Eben das aber haben die Dresdner Richter im Fall von Detlef G. mit einer Verurteilung zu nur achteinhalb Jahren Haft getan. Sie bezogen sich dabei, wie es übrigens auch das LG Frankfurt a.M. im Fall des Kannibalen von Rothenburg in Erwägung gezogen, aber abgelehnt hatte, auf die vom BGH entwickelte sogenannte Rechtsfolgenlösung. Beim Mordmerkmal der Heimtücke haben die Bundesrichter bereits seit Längerem die Möglichkeit geschaffen, trotz Erfüllung des Mordtatbestands in ganz besonderen Ausnahmefällen nicht zu lebenslanger Freiheitsstrafe zu verurteilen.
In Einzelfällen, die kaum zu verallgemeinern sind, soll trotz Tatbestandserfüllung auf der Rechtsfolgenseite eine Milderung der Strafe möglich sein. Das entschied der BGH erstmals im sogenannten Haustyrannenfall. Auch bei der Tötung eines Erpressers, bei schweren vorangegangenen Provokationen durch das spätere Opfer oder in Situationen, die der Täter für ausweglos hielt, haben die Bundesrichter die ihres Erachtens erforderlichen konkreten "Entlastungsfaktoren" gesehen, welche die lebenslange Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheinen lassen. All diese Fälle betrafen aber das Mordmerkmal der Heimtücke, bei dem der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers ausnutzt.
Ist lebenslang unangemessen, wenn beide es wollten?
Auf andere Mordmerkmale hat der BGH diese Ausnahmeregelung bisher nicht angewandt, für die Merkmale des Mordes aus Habgier und zur Verdeckung einer anderen Straftat haben die Bundesrichter eine Reduktion der Freiheitsstrafe bereits abgelehnt. Nun werden sie darüber zu entscheiden haben, ob sie für den Kriminalbeamten in Betracht kommen kann, der, als er sein Opfer tötete und zerstückelte, wohl genau das tat, was sich dieses Opfer wünschte.
Bei Körperverletzungsdelikten lässt die Einwilligung des von der Tat Betroffenen die Rechtswidrigkeit zumeist sogar vollständig entfallen und führt damit zur Straflosigkeit. Die Grenze verläuft allerdings entlang des § 228 StGB, der dies für Fälle ausschließt, in denen "die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt". Für den besonders drastischen Fall einer Tötung auf Verlangen greift der § 216 StGB, der von vornherein keine Straffreiheit vorsieht, sehr wohl aber ein vermindertes Strafmaß (von sechs Monaten bis zu fünf Jahren), wenn der Täter "durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden" ist.*
Ob die BGH-Richter ihre bisherige Rechtsprechung auf Fälle der unwirksamen Einwilligung ausdehnen werden, ist völlig offen. Zwingend ist das keineswegs. Das BVerfG jedenfalls hat im Fall des Kannibalen von Rothenburg klargestellt, dass, wer tötet, um seinen Geschlechtstrieb zu befriedigen, sehr wohl besonders verwerflich handeln kann. Die Anwendung der Rechtsfolgenlösung auf das Mordmerkmal der Befriedigung des Geschlechtstriebs hielten die Verfassungsrichter weder allgemein noch im konkreten Einzelfall für erforderlich.
Aber die Bewertung, welche Sanktion im Einzelfall tat- und schuldangemessen ist, ist Sache des Tatgerichts, darauf weist auch das BVerfG fast gebetsmühlenartig immer wieder hin. Vielleicht wird der BGH die Auffassung der Dresdner Richter teilen, dass die Einwilligung von "Longpig", wie das Opfer sich in dem Chat-Room nannte, in dem die beiden Männer sich kennenlernten, eine lebenslange Freiheitsstrafe als nicht angemessen erscheinen lässt.
Es bleibt abzuwarten, auf welche Rüge die Verteidigung ihre ebenfalls angekündigte Revision stützen wird. Denkbar ist in Fällen dieser Art stets auch eine Strafbarkeit wegen Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), wenn tatsächlich der Wunsch des Opfers handlungsleitend gewesen wäre für den heute 57-jährigen Kriminalbeamten, der unter dem Namen "Caligula 31" auftrat.
Einmal mehr rückt der Dresdner Prozess die Schwächen einer Vorschrift in den Vordergrund, deren Reformbedarf nicht nur deshalb seit Jahrzehnten diskutiert wird, weil sie auf Nazizeiten zurück geht. Die Kritik hat inzwischen erste Früchte getragen, Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat bereits im Mai 2014 eine Expertengruppe eingesetzt. Im Laufe des Jahres 2015 soll sie Ergebnisse vorlegen.
Mit Materialien von dpa.
* Anm. d. Red.: Absatz leicht ergänzt, um klarzustellen, dass für die Fremdtötung auf Verlangen der § 216 und nicht § 228 StGB maßgeblich ist. Geändert am 9.4.2015, 11:04.
Pia Lorenz, Ausnahmsweise nicht lebenslang?: . In: Legal Tribune Online, 08.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15174 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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