Ein Kriminalist hat die Leiche eines Geschäftsmannes zerstückelt. Der träumte davon, geschlachtet und verspeist zu werden. Nachdem das LG Dresden den Beamten wegen Mordes zu achteinhalb Jahren verurteilt hatte, gehen Staatsanwaltschaft und Verteidigung in Revision. Der BGH könnte klären, ob auch der Mörder lebenslang in Haft muss, der aus sexuellen Gründen jemanden tötet, der das selbst wollte.
Das Landgericht (LG) Dresden hat in der vergangenen Woche den 57-Jährigen Detlev G. wegen Mordes und Störung der Totenruhe zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt. Nun landet der Fall beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Staatsanwaltschaft und Verteidigung gehen nun nach Meldung der Deutschen Presse-Agentur in Revision.
Die Schwurgerichtskammer in Dresden befand nach 21 Verhandlungstagen, dass der Angeklagte den Geschäftsmann Wojciech S. aus Hannover getötet hat, bevor er dessen Leiche im November 2013 mit Säge und Messer zerstückelte. Das Opfer war nach den Worten der Vorsitzenden Richterin eine schwer gestörte Persönlichkeit. Der Chef einer Zeitarbeitsfirma träumte davon, getötet, geschlachtet und verspeist zu werden. Detlev G. hat ihm nach Überzeugung der Richter dabei nicht nur geholfen, sondern ihn auch selbst töten wollen.
Der Angeklagte hatte dies vehement bestritten und erklärt, der Mann aus Hannover, den er in einem "Kannibalen"-Forum im Internet kennengelernt hatte, habe sich selbst stranguliert.
Mit seinem Urteil blieb das LG deutlich unter der von der Staatsanwaltschaft geforderten Haftstrafe von zehneinhalb Jahren. Es bestätigte jedoch die Rechtsauffassung der Ankläger, dass die für einen Mord nach § 211 Strafgesetzbuch (StGB) geforderte lebenslange Freiheitsstrafe unverhältnismäßig gewesen wäre. Das Opfer habe getötet werden wollen, hieß es in der Begründung. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert.
Wer Mörder ist, kriegt lebenslang - fast immer
Damit gewinnt die Geschichte des verurteilten Hauptkommissars des Landeskriminalamts auch eine strafrechtliche Brisanz. Möglicherweise wird der BGH entscheiden müssen, ob in dem Dresdener Mordfall überhaupt von der lebenslangen Freiheitsstrafe abgewichen werden durfte.
§ 211 schreibt als zwingende Folge eines Mordes die lebenslange Freiheitsstrafe vor. Liegt bei einer vorsätzlichen Tötung also zusätzlich ein (ebenfalls vorsätzlich verwirklichtes) Mordmerkmal vor, gibt es keine Möglichkeit, zu einem minder schweren Fall zu kommen oder auf andere Weise die absolute Strafandrohung zu umgehen. Es gibt lediglich die Möglichkeit, die Vollstreckung eines Teils der Strafe auszusetzen, wenn das Tatgericht im Urteil keine besondere Schwere der Schuld festgestellt hat.
Der § 211 ist damit der einzige im StGB mit einer absoluten Strafandrohung. Jeder andere Tatbestand hat eine Bandbreite, die es erlaubt, den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen. Es liegt auf der Hand, dass diese mangelnde Flexibilität in manchen Fallkonstellationen als unverhältnismäßig empfunden wird. Das ergibt sich nicht zuletzt aus der Struktur der Tötungsdelikte, speziell der von Beginn an bis heute umstrittenen Merkmale, welche aus einem Totschlag einen Mord machen. Zwar müssen sie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) restriktiv ausgelegt werden, um verfassungsgemäß zu sein. Geht das Gericht aber davon aus, dass eines dieser subjektiven oder objektiven Merkmale erfüllt ist, muss es zwingend aus § 211 StGB verurteilen - und hat dann auch hinsichtlich des Strafmaßes keinen Spielraum.
Wie der Kannibale von Rothenburg?
Detlef G. ist, so das LG Dresden, ein Mörder, weil er sein Opfer tötete, um seinen Geschlechtstrieb zu befriedigen und eine andere Straftat zu ermöglichen. Diese "andere Straftat", wegen derer G. ebenfalls verurteilt wurde, ist die Störung der Totenruhe, da er die Leiche seines Opfers mit Messer und Elektrosäge zerstückelte (und das Geschehen filmte).
Der Mordprozess vor dem LG Dresden erinnert an den als "Kannibale von Rothenburg" bekannt gewordenen Computertechniker, der einem anderen Mann mit dessen Einverständnis den Penis amputierte, ihn daraufhin tötete und schließlich den zerlegten Leichnam verzehrte.
Auch er wurde, nachdem der Fall gleich zweimal vor dem Bundesgerichtshof (BGH) und schließlich sogar vor dem BVerfG landete, wegen Mordes zur Befriedigung des Geschlechtstriebs sowie zur Ermöglichung einer anderen Straftat, verurteilt. Ob auch im Fall von Detlef G. bei der gebotenen restriktiven Auslegung ein hinreichender Zusammenhang zwischen dem Tötungsakt und der sexuellen Befriedigung besteht, dürfte vor dem BGH noch einmal eine Rolle spielen. Das Video von der Tötung und den sich anschließenden Ereignissen hatte der Beamte, anders als der "Kannibale von Rothenburg", der sich sexuell an diesem erregen wollte, bereits gelöscht. Es musste von den Ermittlern später rekonstruiert werden.
Die Verfassungsbeschwerde des "Kannibalen von Rothenburg" gegen die Urteile und insbesondere die lebenslange Freiheitsstrafe, welche das LG Frankfurt am Main wie auch der BGH verhängten, nahm das BVerfG nicht zur Entscheidung an (Beschl. v. 07.10.2008, AZ. 2 BvR 578/07).
2/2: Strafmilderung auch bei Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebs?
Die obersten deutschen Richter hielten mit dieser Entscheidung den Mordparagrafen auch insofern für grundsätzlich verfassungsgemäß, als er eine lebenslange Freiheitsstrafe für denjenigen vorsieht, der zur Befriedigung des Geschlechtstriebs oder deshalb tötet, weil er eine andere Straftat ermöglichen will. Für diese Mordmerkmale gibt es nach der bisherigen Rechtsprechung nicht die Möglichkeit, von der lebenslangen Freiheitsstrafe nach unten abzuweichen.
Eben das aber haben die Dresdner Richter im Fall von Detlef G. mit einer Verurteilung zu nur achteinhalb Jahren Haft getan. Sie bezogen sich dabei, wie es übrigens auch das LG Frankfurt a.M. im Fall des Kannibalen von Rothenburg in Erwägung gezogen, aber abgelehnt hatte, auf die vom BGH entwickelte sogenannte Rechtsfolgenlösung. Beim Mordmerkmal der Heimtücke haben die Bundesrichter bereits seit Längerem die Möglichkeit geschaffen, trotz Erfüllung des Mordtatbestands in ganz besonderen Ausnahmefällen nicht zu lebenslanger Freiheitsstrafe zu verurteilen.
In Einzelfällen, die kaum zu verallgemeinern sind, soll trotz Tatbestandserfüllung auf der Rechtsfolgenseite eine Milderung der Strafe möglich sein. Das entschied der BGH erstmals im sogenannten Haustyrannenfall. Auch bei der Tötung eines Erpressers, bei schweren vorangegangenen Provokationen durch das spätere Opfer oder in Situationen, die der Täter für ausweglos hielt, haben die Bundesrichter die ihres Erachtens erforderlichen konkreten "Entlastungsfaktoren" gesehen, welche die lebenslange Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheinen lassen. All diese Fälle betrafen aber das Mordmerkmal der Heimtücke, bei dem der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers ausnutzt.
Ist lebenslang unangemessen, wenn beide es wollten?
Auf andere Mordmerkmale hat der BGH diese Ausnahmeregelung bisher nicht angewandt, für die Merkmale des Mordes aus Habgier und zur Verdeckung einer anderen Straftat haben die Bundesrichter eine Reduktion der Freiheitsstrafe bereits abgelehnt. Nun werden sie darüber zu entscheiden haben, ob sie für den Kriminalbeamten in Betracht kommen kann, der, als er sein Opfer tötete und zerstückelte, wohl genau das tat, was sich dieses Opfer wünschte.
Bei Körperverletzungsdelikten lässt die Einwilligung des von der Tat Betroffenen die Rechtswidrigkeit zumeist sogar vollständig entfallen und führt damit zur Straflosigkeit. Die Grenze verläuft allerdings entlang des § 228 StGB, der dies für Fälle ausschließt, in denen "die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt". Für den besonders drastischen Fall einer Tötung auf Verlangen greift der § 216 StGB, der von vornherein keine Straffreiheit vorsieht, sehr wohl aber ein vermindertes Strafmaß (von sechs Monaten bis zu fünf Jahren), wenn der Täter "durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden" ist.*
Ob die BGH-Richter ihre bisherige Rechtsprechung auf Fälle der unwirksamen Einwilligung ausdehnen werden, ist völlig offen. Zwingend ist das keineswegs. Das BVerfG jedenfalls hat im Fall des Kannibalen von Rothenburg klargestellt, dass, wer tötet, um seinen Geschlechtstrieb zu befriedigen, sehr wohl besonders verwerflich handeln kann. Die Anwendung der Rechtsfolgenlösung auf das Mordmerkmal der Befriedigung des Geschlechtstriebs hielten die Verfassungsrichter weder allgemein noch im konkreten Einzelfall für erforderlich.
Aber die Bewertung, welche Sanktion im Einzelfall tat- und schuldangemessen ist, ist Sache des Tatgerichts, darauf weist auch das BVerfG fast gebetsmühlenartig immer wieder hin. Vielleicht wird der BGH die Auffassung der Dresdner Richter teilen, dass die Einwilligung von "Longpig", wie das Opfer sich in dem Chat-Room nannte, in dem die beiden Männer sich kennenlernten, eine lebenslange Freiheitsstrafe als nicht angemessen erscheinen lässt.
Es bleibt abzuwarten, auf welche Rüge die Verteidigung ihre ebenfalls angekündigte Revision stützen wird. Denkbar ist in Fällen dieser Art stets auch eine Strafbarkeit wegen Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), wenn tatsächlich der Wunsch des Opfers handlungsleitend gewesen wäre für den heute 57-jährigen Kriminalbeamten, der unter dem Namen "Caligula 31" auftrat.
Einmal mehr rückt der Dresdner Prozess die Schwächen einer Vorschrift in den Vordergrund, deren Reformbedarf nicht nur deshalb seit Jahrzehnten diskutiert wird, weil sie auf Nazizeiten zurück geht. Die Kritik hat inzwischen erste Früchte getragen, Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat bereits im Mai 2014 eine Expertengruppe eingesetzt. Im Laufe des Jahres 2015 soll sie Ergebnisse vorlegen.
Mit Materialien von dpa.
* Anm. d. Red.: Absatz leicht ergänzt, um klarzustellen, dass für die Fremdtötung auf Verlangen der § 216 und nicht § 228 StGB maßgeblich ist. Geändert am 9.4.2015, 11:04.
Pia Lorenz, Ausnahmsweise nicht lebenslang?: "Stückelmörder" bald vor dem BGH . In: Legal Tribune Online, 08.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15174/ (abgerufen am: 05.07.2024 )
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