Nach vielen Juristen und Politikern fordern nun auch Kriminalbeamte die Legalisierung von Cannabis. Gunnar Duttge und Melanie Steuer finden das unverantwortlich. Sucht dürfe nicht einfach achselzuckend in Kauf genommen werden.
Die gesellschaftliche Debatte um den Ge- und Missbrauch von Cannabis wird bereits seit Jahrzehnten wenig konstruktiv geführt. Besonders in der medialen Öffentlichkeit dominieren – allen Bemühungen von Experten aus Medizin und Recht zum Trotz – nach wie vor interessengesteuerte und "postfaktische" Behauptungen.
So hat der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) jüngst noch einmal seine Forderung nach einer vollständigen Entkriminalisierung des Cannabisgebrauchs bekräftigt. Diese verdeutlicht das Ausmaß der gesellschaftspolitischen Tragödie: Einzig darauf abzustellen, dass Drogenbekämpfung extrem personalaufwendig und wenig zielführend sei, weist jedwede gesellschaftliche Verantwortung von sich und verschließt die Augen vor den Folgen. Zur eigenen Gewissensberuhigung wird die Ursache des Übels einfach ausgewechselt: Nun ist es nicht mehr die Sucht, sondern das Rechtssystem, das kriminelle Karrieren befördere, als ob eine Straftat ihren Verletzungscharakter verliert, sobald das Recht kapituliert. Wenn es der Kriminalpolizei wichtiger erscheint, sich selbst Arbeit vom Hals zu schaffen, dann hat diese Institution offenbar ihren gesamtgesellschaftlichen Auftrag vergessen.
Eine rationale Sach- und Rechtspolitik sollte niemals auf Schnellschüsse und Radikallösungen aus sein, sondern das bestehende Recht auf der Grundlage empirischer und interdisziplinärer Erkenntnisse behutsam fortentwickeln.
Wer volljährig ist, ist nicht unbedingt erwachsen
Was die Gesellschaft daher gerade bei solch sensiblen Themen benötigt, ist eine seriöse Aufklärung (auch über das noch Ungesicherte), eine konstruktive Debatte und einen seriösen Journalismus, der sich nicht als Akklamationsorgan für populistische Propaganda versteht. Dann wäre aber vor allem anderen eine intensive und detaillierte Auseinandersetzung mit der wachsenden Zahl von Studien und Publikationen, die die kognitiv-neurologischen wie sozial-kriminogenen Risiken eines dauerhaften Cannabiskonsums vor allem bei Jugendlichen aufzeigen, unverzichtbar. Diese zentrale Ausgangsfrage wird aber einfach übergangen und stattdessen das gewünschte Ergebnis zum Fixpunkt genommen, für den Argumente gesammelt werden.
Der BDK argumentiert, dass zu einem selbstbestimmten Leben auch die Freiheit jedes Bürgers gehöre, selbst darüber zu entscheiden, inwieweit er berauschende Mittel nimmt. Das blendet aber aus, dass zum einen die Volljährigkeit nicht garantiert, dass Bürger auch verantwortungsvoll handeln. Zum anderen müssten überhaupt erst einmal effektive Zugangshindernisse für Minderjährige geschaffen werden. Zu letzterem sprechen die weitverbreiteten Alkoholprobleme von Jugendlichen eine überdeutliche Sprache, zu ersterem die Gift-Notzentralen und Psychiatrien.
Im Übrigen ist die Reifeentwicklung eines Menschen auch mit Blick auf eine besondere Anfälligkeit des Gehirns für gesundheitliche Schäden keineswegs mit dem 18. Lebensjahr abgeschlossen. Aber auch in Bezug auf wirklich "Erwachsene" ist der Verweis auf deren Mündigkeit im Rahmen der Suchtproblematik eine hohle Floskel, die mit der realen Lebenswelt wenig gemein hat. Denn wenn trotz der an sich bekannten – aber offenbar allzu gerne verdrängten – Gesundheitsrisiken ein wachsender Teil der Bevölkerung von dem Lockruf Cannabis nicht lassen will, so spricht dies ganz gewiss nicht für einen aufgeklärten Umgang mit der Droge.
Lebenszerstörende Suchtkarrieren nicht einfach in Kauf nehmen
Das beliebte Argument der reinen Selbstgefährdung lässt sich schon angesichts der Folgewirkungen für die begrenzten Ressourcen der Krankenversorgung (vgl. § 12 SGB V: "Wirtschaftlichkeitsgebot") bezweifeln, von den Gefahren für die Sicherheit anderer Menschen - etwa im Straßenverkehr - ganz zu schweigen. Dass das Verbot von Cannabis "historisch betrachtet willkürlich erfolgt und weder intelligent noch zielführend sei", wie es der BDK schlussfolgert, kann angesichts jenes Anteils an Jugendlichen und Jungerwachsenen, die kein Cannabis konsumieren, nicht überzeugend behauptet werden; im internationalen Vergleich liegen die Konsumentenzahlen keineswegs im Spitzenfeld.
Zweifelsohne ist es vernünftig und wichtig, über Reformen des geltenden Betäubungsmittelrechts nachzudenken. Eine solche muss jedoch stets empirisch und wertbezogen begründet, d.h. der heutigen gesamtgesellschaftlichen Realität angemessen sein. Eine breite Legalisierung des Zugangs zu Cannabis wäre nach aktuellem Stand der Erkenntnisse aber unverantwortlich. Man sollte daher nicht nur die strafrechtlichen Sanktionen aufrechterhalten, sondern auch unbedingt verstärkt Präventionsarbeit leisten und besser über die Realität der Drogensucht aufklären.
Für eine effektive Prävention kann gerade die strafrechtliche Sanktionierung förderlich sein, denn nur so wird die Warnung vor dem Konsum überhaupt glaubwürdig; ein effektives Zusammenspiel von (Straf-)Recht und Haltung der Gesellschaft würde schließlich auch die Strafverfolgungsorgane entlasten – allerdings nicht, indem achselzuckend lebenszerstörende Suchtkarrieren in Kauf genommen werden. Denn die Gesundheit der Bürger und insbesondere der jungen Generation ist überragend wertvolles Gut, für das einzutreten unser aller Verantwortung ist.
Prof. Dr. Gunnar Duttge ist Geschäftsführender Direktor des Göttinger Zentrums für Medizinrecht sowie Direktor der Abteilung für strafrechtliches Medizin- und Biorecht der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen. Rechtsanwältin Melanie Steuer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin ebenda. Jüngst veröffentlichten beide anlässlich eines eigens ausgerichteten Expertenworkshops den Tagungsband "Verantwortungsvoller Umgang mit Cannabis - Medizinische, juristische und psychosoziale Perspektiven" (2017, Universitätsverlag Göttingen, 227 Seiten, ISBN 978-3-86395-328-7).
Zur Forderung des BDK nach Cannabis-Legalisierung: . In: Legal Tribune Online, 10.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27441 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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