Eigentlich zwingt die Schuldenbremse Rheinland-Pfalz demnächst zum Sparen. Nach einem Urteil des VGH in Koblenz muss das Land den klammen Kommunen aber gleichzeitig mehr Geld zahlen. Joachim Wieland zeigt, dass das letztlich nur funktioniert, wenn der Bundesgesetzgeber entweder Steuern erhöht oder Sozialleistungen verringert.
Hochverschuldete Kommunen in Rheinland-Pfalz können Hoffnung schöpfen. Der Verfassungsgerichtshof (VGH) in Koblenz erklärte in dieser Woche die Vorschriften zum kommunalen Finanzausgleich für unvereinbar mit der Landesverfassung und gab dem Gesetzgeber auf, bis zum 1. Januar 2014 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen. Nach Auffassung der Verfassungsrichter verstoßen die Regeln zur Verteilung der Finanzmittel gegen die verfassungsrechtliche Selbstverwaltungs- und Finanzausstattungsgarantie, die das Land verpflichtet, den Kommunen eine angemessene Finanzausstattung zu sichern.
Dass die Kommunen gerichtlich für mehr Geld streiten, liegt an deren verheerender Finanzlage. Zwar steigen gerade die Einnahmen einiger Städte mit hoher Wirtschaftskraft. Dennoch belaufen sich die die kommunalen Kassenkredite, die Beträge also, um welche Gemeinden und Kreise in Deutschland ihre Konten überziehen, derzeit auf mehr als 44 Milliarden Euro. Hinzu kommen mehr als 80 Milliarden Euro langfristige Schulden. Hauptursache für diese Finanzkatastrophe, die kaum noch Raum für eine eigenständige Selbstverwaltung lässt, sind die hohen Sozialausgaben.
Die Gemeinden und Kreise haben kaum Einfluss darauf, wie diese ausgestaltet werden, weil sie im Wesentlichen durch Bundesgesetze geregelt sind. Über Jahrzehnte hinweg haben Bund und Länder den Sozialstaat zu Lasten der Kommunen ausgebaut. Der Bund hat in seinen Sozialgesetzen mit Zustimmung der Länder regelmäßig die Gemeinden und Kreise als Träger und damit als Finanziers der Leistungen bestimmt.
Von Altlasten erdrückt, bei Bund und Ländern nichts zu holen
Zwar wurde 2006 ein Aufgabenübertragungsverbot im Grundgesetz verankert. Es untersagt dem Bundesgesetzgeber, Aufgaben und deren Kosten unmittelbar auf die Kommunen zu übertragen. An den bestehenden Verpflichtungen hat dieses Verbot jedoch nichts geändert. Die Kommunen müssen die Sozialleistungen, die auf älteren Gesetzen beruhen, weiter aus eigenen Mitteln finanzieren, ohne einen Erstattungsanspruch gegen den Bund oder die Länder zu haben.
Der Bund kann sich dabei darauf berufen, dass die Finanzverfassung grundsätzlich keine Finanzleistungen aus der Bundeskasse an die Länder vorsieht. Und die Länder verweisen darauf, dass die Kostenlast der Kommunen nicht auf Landesgesetzen beruht, so dass die landesverfassungsrechtlichen Zahlungspflichten bei der Übertragung öffentlicher Aufgaben auf die Kommunen durch den Landesgesetzgeber nicht eingreifen. Das heißt: weder beim Bund, noch beim Land ist für die Gemeinden etwas zu holen.
Für die kommunalen Haushalte ist das verheerend. So sind die Sozialausgaben der Kommunen in Rheinland-Pfalz zwischen 1990 und dem Jahr 2010 um mehr als 220 Prozent auf fast 2,3 Milliarden Euro und damit dreimal so stark wie die kommunalen Einnahmen gestiegen. Die Kassenkredite haben sich allein von 2007 bis 2010 um 64 Prozent auf 5,4 Milliarden Euro erhöht und nähern sich inzwischen 6 Milliarden Euro.
Die Alternative: Steuern erhöhen oder Kosten senken
Das Landesverfassungsgericht hat in dieser Entwicklung zu Recht eine Verletzung der Landesverfassung gesehen. Das Gericht hat das Land vor allem auf seine Mitwirkungsmöglichkeiten im Bundesrat verwiesen, die ihm erlauben, auf die Bundesgesetzgebung Einfluss zu nehmen. Damit weisen die Koblenzer Richter das Argument des Landes zurück, dass für die kommunale Finanzmisere der Bundesgesetzgeber verantwortlich sei. Da Bund und Länder gemeinsam durch ihr Zusammenwirken in Bundestag und Bundesrat bei der Steuer- und Sozialgesetzgebung wesentliche Ursachen für die kommunalen Finanznöte gesetzt haben, können sie nun auch nur gemeinsam die Krise beenden.
Rheinland-Pfalz kommt durch das Urteil in eine schwierige Lage. Durch die Schuldenbremse wird es gezwungen, die strukturellen Defizite in seinem Haushalt bis 2019 zu beseitigen, also kräftig zu sparen. Das Land darf dann keine Kredite mehr aufnehmen, um den Haushalt auszugleichen. Gleichzeitig die Kommunen mit mehr Geld auszustatten, ist fast unmöglich. Es wird dem Land nichts anderes übrig bleiben, als auf Bundesebene für höhere Einnahmen des Staates aus Steuern und/oder für niedrigere Sozialausgaben zu sorgen.
Weil alle Flächenländer im Prinzip in der gleichen Zwangslage sind und andere Verfassungsgerichte dem Beispiel aus Rheinland-Pfalz folgen könnten, sollten sich unter den anderen Bundesländern auch Verbündete für dieses Vorhaben finden lassen. Die Finanzierung sozialstaatlicher Leistungen durch kommunale Kassenkredite könnte so bald der Vergangenheit angehören. Dazu hat der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz mit seinem Urteil einen wichtigen Beitrag geleistet.
Der Autor Prof. Dr. Joachim Wieland, LL.M., ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer.
Kommunaler Finanzausgleich gekippt: . In: Legal Tribune Online, 21.02.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5743 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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