Der Preis ist zu hoch: Klimaschäden und hohe gesellschaftliche Kosten
Ferner müssen Fragen nach Verhältnismäßigkeit und Vertrauensschutz wachsende Kenntnisse über den globalen Klimawandel und dahinterstehend das Grundrecht auf Leben und Gesundheit berücksichtigen.
Außerdem steht gerade die Braunkohle gesamtwirtschaftlich zunehmend in Frage, weil ihre gesellschaftlichen Gesamtkosten in puncto Klimaschäden, Grundwasser- und Landschafts-schäden höher sind als ihr wirtschaftlicher Nutzen. Das hat nicht zuletzt der EU-Subventionsbericht jüngst gezeigt. Auch für die Versorgungssicherheit ist Kohle zunehmend entbehrlich, da Deutschland schon heute weit mehr Strom erzeugt, als es verbraucht.
Schließlich ist in die Abwägung schutzmindernd einzubeziehen, dass die großen deutschen Energiekonzerne mit dem Staat vielfach historisch verflochten sind, der Gewinnung elektri-scher Energie durch die Verbrennung von Kohle jahrzehntelang gefördert hat. Das betrifft sowohl die Subventionen der Kohleverstromung wie Kohlepfennig und ermäßigte Förderabgaben als auch die indirekten Förderungen. Letztere bestehen darin, dass die Kohlenutzung hohe gesellschaftliche Kosten hinterlässt, die faktisch der Steuerzahler übernimmt. Beispiele sind die erwartbaren Schäden des von der Kohle forcierten Klimawandels, aber auch Folgen etwa von Braunkohletagebauen zum Beispiel für das Grundwasser, die Böden und die Ökosysteme.
Vom Wasserrecht sogar geboten: Quecksilbergrenzwerte
Diskutiert werden auch Quecksilbergrenzwerte für Kohlekraftwerke. Denn die Kohleverstro-mung gerät aufgrund ihrer hohen und technisch bisher nicht voll zu beseitigenden Quecksilberemissionen in Konflikt mit der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL).
Diese enthält ein strenges Verbesserungsgebot und Verschlechterungsverbot. Innerhalb bestimmter Zeithorizonte müssen Gewässer in diesem Sinne besser bewirtschaftet werden, zusätzlich sieht die Richtlinie spezifische Vorgaben und Grenzwerte für Stoffe vor, von denen ein besonders hohes Umweltrisiko ausgeht. Den Ausstoß solcher prioritär gefährlichen Stoffe, zu denen auch das Quecksilber gehört, müssen die Emittenten nach Art. 4 Abs. 1a bis zum Jahr 2015 "beenden oder schrittweise einzustellen".
Die Quecksilberbelastung in den Gewässern selbst, also unabhängig von der genannten Regelung für Emittenten wie Kohlekraftwerke, muss auch unter Berücksichtigung bereits vorhandener Verunreinigungen massiv verbessert werden. Nach der Vorgabe des Art. 16 Abs. 1, 2, 6 WRRL, der EU-Entscheidung Nr. 2455/2001/EG und der EU-Umweltqualitätsnormen-Tochterrichtlinie muss zum Jahr 2028 die Quecksilberbelastung auf null gebracht werden.
All diese Regelungen rechtfertigen nachträgliche Quecksilbergrenzwerte für Kohlekraftwerke nicht nur. Sie lassen sie angesichts der heutigen Gewässerbelastung sogar geboten erscheinen. Können Kohlekraftwerke unter Beachtung solcher Grenzwerte nicht betrieben werden, steht ihr weiterer Betrieb in Frage – und zwar umso mehr, je älter und emissionsintensiver das Kraftwerk ist.
Gegen die Pfadabhängigkeit: Keine neuen Genehmigungen mehr
Von vornherein rechtlich unproblematisch wäre es trotz des Eingriffs in die Berufsfreiheit, keine neuen Genehmigungen für Kohlekraftwerke mehr zu erlauben. Schon eine solche Regelung würde Pfadabhängigkeiten in Richtung Kohlenutzung beseitigen helfen, weil sie verhindern würde, dass immer neue Kraftwerke und Tagebaue entstehen und damit ein Sachzwang ("Pfad") in Richtung weiterer Kohlenutzung entsteht.
Zwar können durch den ETS Emissionen, die in deutschen Kohlekraftwerken wegfallen, zumindest teilweise in andere Sektoren oder andere Länder verschoben werden, statt einfach fortzufallen. Die Pfadabhängigkeit aber würden weniger Kohlekraftwerke dennoch beseitigen.
Eine Begrenzung oder auch Rückführung der Anzahl an deutschen Kohlekraftwerken wäre deshalb nicht etwa umweltpolitisch sinnlos und damit im Sinne des Verhältnismäßigkeits-grundsatzes ungeeignet für den Klimaschutz. Speziell der Weg über Quecksilbergrenzwerte erscheint sogar europarechtlich geboten.
Der Autor Prof. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M.A., ist Jurist, Philosoph und Soziologe an der Universität Rostock und Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin. Er ist politikberatend zu Nachhaltigkeitsfragen tätig und arbeitet vor allem in den Bereichen deutsches, europäisches und internationales Energie-, Klimaschutz-, Landnutzungs- und Verfassungsrecht sowie transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung.
Felix Ekardt, Klimaschutz-Pläne für Kohlekraftwerke: . In: Legal Tribune Online, 25.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13912 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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