Vor der Justiz sind alle Leute gleich, mahnte Friedrich der Große im Jahr 1779. Es ging um ein Berliner Urteil, das dem Preußenkönig nicht passte. Das Gericht gibt es bis heute. Um Gerechtigkeit ohne Ansehen der Person geht es immer noch.
Erstmals wird das Berliner Kammergericht im Jahr 1468 in einer Urkunde erwähnt. Während anderswo Gerichte damals noch im Freien tagten, wurde hier "in camera", also in Zimmern oder Kammern des Landesherren verhandelt. Der Name für Berlins höchstes Zivil- und Strafgericht hat sich bis heute gehalten. Nun begeht das älteste deutsche Gericht seinen 550. Jahrestag.
An diesem Donnerstag wird im Plenarsaal ein Buch zur wechselvollen Geschichte vorgestellt. In dem Werk mit fast 200 Seiten aus dem vbb (Verlag für Berlin-Brandenburg) können Interessierte auch einiges über spektakuläre Prozesse erfahren oder Fotos aus Gegenwart und Vergangenheit betrachten. In dem Buch des Autors Michael Bienert sind auch die Ursprünge des Gerichts beschrieben.
Geplant ist zudem ein Festakt im Jüdischen Museum am 9. Juni. In Zeiten, in denen der Rechtsstaat in Gefahr geraten könne, solle die Leistung des traditionsreichen Gerichts gewürdigt werden, hieß es. Experten werden zudem über die Herausforderungen für die deutsche Justiz diskutieren. Dazu werden Gäste aus dem In- und Ausland erwartet.
Pickel: "Es gibt keine einfachen Verfahren mehr"
Das Kammergericht, das seit 105 Jahren am Kleistpark angesiedelt ist, dient als Oberlandesgericht. Knapp 150 Richter entscheiden in zweiter Instanz über Berufungen, Beschwerden oder Revisionen.
Zum Gericht gehört auch ein Senat für Staatsschutzsachen wie Spionage und Terrorismus. Dafür wurde in den 90er Jahren ein Saal mit schusssicherer Glaskabine für Angeklagte eingerichtet. Zudem sitzt die Generalstaatsanwaltschaft im denkmalgeschützten Haus an der Elßholzstraße im Stadtteil Schöneberg.
Kammergerichts-Präsident Bernd Pickel sagt in dem Buch, das Bild vom Richter als Einzelkämpfer passe nicht mehr zur heutigen Komplexität vieler Prozesse. "Ich habe manchmal das Gefühl, es gibt keine einfachen Verfahren mehr." Er sehe auch mit Sorge, dass intelligente Jugendliche aus Familien mit ausländischen Wurzeln als Richter-Nachwuchs zu wenig erreicht würden.
Vier-Mächte-Abkommen wurde hier unterzeichnet
Erinnert wird in dem Geschichtsbuch auch an ein düsteres Kapitel. Im Plenarsaal das Gerichts tagte nach dem gescheiterten Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 der berüchtigte Volksgerichtshof der Nationalsozialisten unter Roland Freisler und verhängte Todesurteile gegen Widerständler. In der Bundesrepublik sei kein einziger dieser Richter rechtskräftig verurteilt worden, ist zu lesen. Heute sind auf einer Gedenktafel in dem großen Saal die Namen der Opfer eingraviert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam der Alliierte Kontrollrat für Deutschland in das Gebäude. 1971 wurde im Plenarsaal auch das Vier-Mächte-Abkommen unterzeichnet. Das für West-Berlin zuständige Kammergericht verhandelte damals an einem anderen Standort. Nach der Wiedervereinigung zog das Gericht dann an seinen angestammten Platz.
Bis heute hat sich Kammergericht zu einem modernen Gericht entwickelt, das zudem eine Vielzahl von Aufgaben, u.a. im Bereich der juristischen Aus- und Fortbildung, der Personalangelegenheiten der Richterschaft und des nichtrichterlichen Mitarbeitenden, der IT-Technik, der Haushaltsführung, der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und der notariellen Fachaufsicht erfüllt. Darüber hinaus spiegelt die Rechtsprechung des Kammergerichts die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft wider.
Einflussreiche Entscheidungen
In den Tätigkeitsberichten des Gerichts, die seit 2009 veröffentlicht werden, lässt sich anhand der Vielfalt der Entscheidungen – ob über Straftaten von Terroristen in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts, zur Bankenaffäre zu Beginn des neuen Jahrtausends, zur Mindestlohn-Verordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, zum Geschäftsmodell „Uber black“ eines Taxi-Konkurrenten, zu Downloads von MP3-Dateien, zu datenschutz- und urheberrechtlichen Fragen bei Facebook und Google bis hin zu der Frage, ob die biologische Mutter eines Kindes auch sein Vater sein kann - der große Einfluss des Kammergerichts erkennen.
Berlins Justizsenator Dirk Behrendt bemerkt gegenüber LTO deshalb auch mit einer gehörigen Portion Stolz: "Wenn ein Gericht von den Anfängen des Buchdrucks im 15. Jahrhundert, über die Zeit der Aufklärung, über die beiden Weltkriege und schließlich bis heute besteht und arbeitet, dann ist das beeindruckend. Das Gericht ist ein Teil der wechselvollen Geschichte Berlins und Deutschlands. Für mich als Justizsenator ist es etwas Besonderes, dieses traditionsreiche, älteste Gericht Deutschlands in Berlin zu haben."
Im Übrigen: Das Kammergericht haben schon viele gesehen, ohne es zu wissen. Es wird öfter für Filmproduktionen vermietet und taucht dann in Krimis wieder auf. Auch eine Szene aus "Der Vorleser" mit Kate Winslet wurde hier gedreht.
dpa/mgö/hs/LTO-Redaktion
Bewegte Geschichte: . In: Legal Tribune Online, 31.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28881 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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