Verbot im StGB gefordert: Aufruf zur Aus­lö­schung Israels straflos?

von Hasso Suliak

22.01.2024

Weil der Aufruf zur Vernichtung Israels derzeit nicht strafbar sei, regen der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Beck und Strafrechtsprofessorin Hoven eine neue Strafvorschrift an. Das BMJ indes sieht keine Strafbarkeitslücke.

Die Anhörung im Rechtsausschuss am vergangenen Montag im Deutschen Bundestag lief für die Unionsfraktion nicht allzu gut: Die Mehrheit der Sachverständigen stand dem Vorschlag von CDU/CSU, die Leugnung des Existenzrechts und den Aufruf zur Beseitigung des Staates Israel als neue Variante der Volksverhetzung in § 130 Strafgesetzbuch (StGB) unter Strafe zu stellen, kritisch gegenüber. Einige lehnten ihn gar in Bausch und Bogen ab. Die Strafverschärfung sei verfassungswidrig, verletze die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Grundgesetz (GG).

In der Tat dürfte die Leugnung des Existenzrechts Israels im Hinblick auf die Meinungsfreiheit dogmatisch anders zu beurteilen sein als z.B. die nach § 130 Abs. 3 strafbare "Leugnung des Holocausts". Denn nur im Kontext der NS-Herrschaft hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner berühmten Wunsiedel-Entscheidung im Jahr 2009 eine Ausnahme vor der eisernen Regel zugelassen, wonach das Grundrecht der Meinungsfreiheit nach Maßgabe des qualifizierten Gesetzesvorbehalts des Art. 5 Abs. 2 GG nur durch allgemeine Gesetze eingeschränkt werden dürfe.

Holocaust-Leugnung anders zu beurteilen

Diese Ausnahme sei jedoch "mit Blick auf die Singularität der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft nicht auf die Meinungsäußerungen, in denen das Existenzrecht Israels infrage bzw. in Abrede gestellt wird, übertragbar", meint die Leipziger Strafrechtslehrerin Prof. Dr. Elisa Hoven. Die von der Union vorgeschlagenen neuen Tatvarianten stellten außerdem keine allgemeinen Gesetze dar. Und im Übrigen sei die Frage, ob Israel einen Anspruch auf Existenz habe, "einer Wertung zugänglich" so Hoven.

Wie die Strafrechtsprofessorin argumentiert auch der Vertreter des Deutschen Anwaltvereins (DAV), Stefan Conen: "Bei der Leugnung des Holocaust geht es um die Leugnung einer Tatsache, während es beim Existenzrecht Israels um die Leugnung eines Rechts geht." Das Bestreiten eines Rechts als wertende Meinungsäußerung genieße nach der Rechtsprechung des BVerfG grundsätzlich intensiveren Schutz des Art. 5 GG als das wahrheitswidrige Bestreiten einer historischen Tatsache, so Conen.

Und selbst der von der CDU/CSU-Fraktion als Sachverständige benannte Augsburger Strafrechtslehrer Prof. Michael Kubiciel warnte in der Anhörung mit Blick auf die Rechtsprechung des BVerfG vor einem "nicht unerheblichen Prozessrisiko", der von dem Unionsvorschlag ausgehe. Wollte man dieses ausschalten, so Kubiciel, müsste eine offenere Formulierung gewählt werden, etwa indem auch das Existenzrecht von Staaten erfasst wird, denen gegenüber sich die Bundesrepublik in besonderem Maße verpflichtet habe, wie z.B. den Mitgliedsstaaten der EU.

Neuer § 103 StGB

Dass es dazu kommen wird, ist eher unwahrscheinlich. Allerdings gibt es nun hinsichtlich des Bedürfnisses, den Aufruf zu Israels Vernichtung (zum Beispiel die Parole "Tod Israel") unter Strafe zu stellen, eine andere Idee. Der Straftatbestand der Volksverhetzung bliebe dabei außen vor. "Bei einer Reform von § 130 StGB steht der Schutz von Juden und Jüdinnen als Personen und als Gruppe im Vordergrund. Soll hingegen der Staat Israel als solcher strafrechtlichen Schutz genießen, so müsste eine allgemeine Regelung getroffen werden, die sich sinnvoll nicht in den Kontext von § 130 StGB, sondern in den 3. Abschnitt des StGB (§§ 102 ff. StGB) – Straftaten gegen ausländische Staaten – einordnet", erläutert Hoven.

Konkret ausformuliert hat diese Regelung bereits Monate zuvor das Berliner Tikvah-Institut. Der 2020 von der Journalistin Deidre Berger und dem ehemaligen Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck gegründete Thinktank widmet sich der Bekämpfung von Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen. Beck, aktuell auch Vorsitzender der Deutsch-israelischen Gesellschaft, ist der Geschäftsführer.

Das Institut regt an, unter der Überschrift "Aufruf zur Vernichtung eines Staates" einen neuen § 103 in das StGB zu schreiben. Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe soll bestraft werden, wer zur Vernichtung eines Staates, der Mitglied der Vereinten Nationen ist, aufruft oder diese billigt. In der Vergangenheit hatte zum Beispiel die Staatsanwaltschaft Mainz Ermittlungen im Zusammenhang mit der Parole "Tod Israel" abgelehnt.

"Der Vorschlag eröffnet eine verfassungskonforme Möglichkeit der Strafbarkeit der Vernichtungsdrohung gegen Israel", erklärt Beck. "Da es ein allgemeines Gesetz ist, wären auch andere Staaten, wie beispielsweise die Ukraine, vor solchen Vernichtungsforderungen geschützt." Bei Israel komme zudem "sicher" der dahinterstehende antisemitisch motivierte Vernichtungswillen hinzu. Es reiche aber aus, so Beck, wenn man das beim Urteil strafschärfend berücksichtige.

Vernichtung Palästinas wäre nicht geschützt

Ähnlich wie Beck plädiert auch Strafrechtlerin Hoven dafür, die Aufforderung zur gewaltsamen Beseitigung eines Staates, "zu dem Deutschland diplomatische Beziehungen unterhält", in einer Sondernorm unter Strafe zu stellen. "Eine solche Regelung wäre auch systematisch schlüssig; wenn etwa das verunglimpfende Zerstören einer Flagge in § 104 StGB unter Strafe steht, ist es kriminalpolitisch gut vertretbar, vergleichbare verbale Äußerungen ebenfalls zu sanktionieren. Schutzzweck wäre hier sowohl der Schutz des ausländischen Staates mit seinen Organen und Einrichtungen als auch das Interesse der Bundesregierung an ungestörten Beziehungen zu dem Staat."

Der Aufruf, Palästina gewaltsam zu beseitigen, würde nicht unter die Strafvorschrift fallen, obwohl der Staat von 138 der 193 UN-Mitgliedsstaaten anerkannt wird. Deutschland erkennt Palästina diplomatisch nicht an. Und Beck sagt: "Eine entsprechende palästinensische Entität ist nicht Vollmitglied der Vereinten Nationen und fällt somit auch nicht unter den entsprechenden Schutz der UN-Charta."

BMJ: Mit geltendem Strafrecht gut aufgestellt  

Ob die Bundesregierung bzw. das Bundesministerium der Justiz (BMJ) den Vorschlag von Hoven und Beck aufgreifen wird, ist fraglich. Ganz verschließen möchte sich das Haus von Marco Buschmann (FDP) dem zwar nicht, aber: "Das StGB bringt heute schon gut zum Ausdruck, dass das Existenzrecht und die Sicherheit des Staates Israel deutsche Staatsräson sei, sagt eine BMJ-Sprecherin gegenüber LTO. Sollte sich in der Gerichtspraxis herausstellen, dass es doch Strafbarkeitslücken gebe, werde man "unverzüglich prüfen, wie man sie schließt".

Derzeit geht das Ministerium somit davon aus, dass es keine Strafbarkeitslücke gibt und geltende Straftatbestände das Unrecht eines Vernichtungsaufrufs bereits erfassen: "Die öffentliche Aufforderung zu Straftaten ist bereits strafbar nach § 111 StGB. Ebenso steht die Anstiftung (§ 26 StGB) sowie die versuchte Anstiftung zu einem Verbrechen (§ 30 Absatz 1 StGB) unter Strafe. Wenn jemand nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 Terroranschläge öffentlich bejubelt, dann ist das je nach Lage des Falls eine strafbare Billigung von Straftaten. Diese ist nach § 140 StGB strafbar", erläutert die BMJ-Sprecherin.
 
Auch Strafrechtsprofessoren reagieren auf den Beck/Hoven-Vorschlag zurückhaltend. Etwa Prof. Helmut Frister, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Uni Düsseldorf. Auch er meint, dass die strafwürdigen Fälle bereits von bestehenden Tatbeständen erfasst würden. "Zu nennen ist hier in erster Linie § 80a StGB, der das Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression (§ 13 Völkerstrafgesetzbuch), das mit einer völkerrechtswidrigen Vernichtung eines Staates begangen würde, mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren bedroht", so Frister. Er verweist ebenfalls auf § 140 Nr. 2 StGB und ergänzt. "Wenn der Aufruf zur Vernichtung eines Staates eine rassistische, insbesondere antisemitische Gesinnung erkennen lässt, wird darüber hinaus in vielen Fällen der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt sein."

Zentralrat-Präsident Schuster: "Strafrecht muss noch schärfer werden"

Auch Strafrechtler Kubiciel steht einem neuen § 103 StGB ablehnend gegenüber: Dieser berge die Gefahr, dass auch Terrorstaaten unter den Schutz der Vorschrift fielen. Zudem könne man die Existenz fremder Staaten kaum mit einer solchen Strafnorm in Deutschland sichern. Insofern verfolge der Tatbestand keinen realistischen Zweck. Er wäre reine Symbolik, so Kubiciel. Wenn man doch im Kern Antisemitismus unter dem Deckmantel der Leugnung des Existenzrechts Israels entgegentreten wolle, sei § 130 StGB immer noch der geeignetere Standort.

Nicht zielführend findet einen neuen § 103 StGB auch Strafverteidiger Conen vom DAV: "Er hat ersichtlich antisemitische Leugnungen des Existenzrechts Israels im Blick. Derartige Äußerungen kann man aber kaum erfassen, wenn man tatbestandlich einen Aufruf gar zur Vernichtung des Staates fordert", meint er. Überhaupt sei das Strafrecht, in dem von Verfassung wegen Tatbestände grundsätzlich eng auszulegen seien, ein eher stumpfes Schwert, um antisemitische Äußerungen zu bekämpfen. Es sei zuvörderst Aufgabe der Zivilgesellschaft, den Kampf gegen Antisemitismus wirklich anzunehmen, so der Anwalt zu LTO.

Nicht nur auf zivilgesellschaftliches Engagement setzt unterdessen der Zentralrat der Juden in Deutschland. Präsident Josef Schuster hielt am Donnerstag beim Neujahrsempfang des BMJ eine emotionale Eröffnungsrede. Zum Ausdruck brachte er darin auch eine unmissverständliche Erwartung: "Das Strafrecht muss gegen Antisemitismus noch schärfer werden."

Zitiervorschlag

Verbot im StGB gefordert: . In: Legal Tribune Online, 22.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53685 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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