Auf ihrer Herbstkonferenz in Lübeck haben sich die Innenminister auf ein umfangreiches Maßnahmenpaket geeinigt. Besonders reagieren wollen die Ressortchefs u.a. auf Rechtsextremisten, aber auch auf Gewaltexzesse im Fußball und Kindesmissbrauch.
Der niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius, brachte zum Abschluss die Motivlage zum wohl wichtigsten Tagesordnungpunkt auf der Innenministerkonferenz (IMK) "Rechtsextremismus/Antisemitismus in Deutschland" in Lübeck auf den Punkt: "Im Rechtsextremismus liegt aktuell die größte Gefahr für die Demokratie". Vor dem Hintergrund der Ereignisse im Fall Lübcke und in Halle verständigten sich die Innenminister von Bund- und Ländern nunmehr auf eine ganze Reihe von Maßnahmen, die Rechtsextremismus und Antisemitismus in Deutschland bekämpfen sollen.
Unter anderem sollen die Verfassungsschutzämter in dem Ziel gestärkt werden, ein umfassendes Lagebild zur Früherkennung von extremistischen und rechtsextremen Bestrebungen zu erhalten. Polizei und Verfassungsschutz sollen künftig intensiver zusammenarbeiten. Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz sei kein Kooperationsverbot, heißt es im IMK-Beschluss fast mahnend.
Ferner sollen die Sicherheitsbehörden präsenter im Netz sein, um frühzeitig Gefahren erkennen und Straftaten verfolgen zu können. Dazu müssten die Diensteanbieter verpflichtet werden, Hass- und Gewaltpostings nicht nur zu löschen, sondern in einem abgestuften Verfahren anzuzeigen und vorhandene Daten, die den Urheber identifizieren können, den Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung zu stellen. Das Bundeskriminalamt soll dabei als Zentralstelle fungieren.
Schnellere Prozesse gegen Rechtsextremisten
Wie LTO bereits im Vorfeld berichtet hatte, sprechen sich die Innenminister - jetzt auch final - für beschleunigte Strafverfahren gegen Rechtsextremisten aus. Aus ihrer Sicht besteht an der konsequenten Verfolgung rechtsextremistischer Straftaten ein besonderes öffentliches Interesse. Die IMK bittet daher jetzt die Justizminister der Länder, "alle Möglichkeiten zur Beschleunigung von Strafverfahren wegen rechtsextremistischer Straftaten, im Bereich der Hasskriminalität und insbesondere auch bei der Verbreitung strafbarer Inhalte im Netz auszuschöpfen". Dazu könnte aus Sicht der Innenminister unter anderem die Schaffung spezialisierter Stellen bei den Staatsanwaltschaften gehören.
Die Innenminister wünschen sich von den Landesjustizbehörden auch: Von Opportunitätseinstellungen nach §§ 153, 153a Strafprozessordnung (StPO) und Verweisungen auf den Privatklageweg soll künftig bei von Rechtsextremen begangenen Taten kein Gebrauch mehr gemacht werden. Strafrechtler hatten zuletzt "kurze Prozesse" für Rechtsextreme gegenüber LTO scharf kritisiert: "Das beschleunigte Verfahren der §§ 417 ff. StPO ist rechtsstaatlich defizitär und sollte eher zurückgedrängt als ausgeweitet werden", meinte etwa der Regensburger Hochschullehrer Prof. Dr. Tonio Walter. Auch der Göttinger Strafrechtler Kai Ambos kritisierte im Gespräch mit LTO: "Die Verkürzung des Strafverfahrens, klassisch durch Strafbefehle oder das beschleunigte Verfahren, wirft Bedenken mit Blick auf das Recht auf effektive Verteidigung auf."
Weiter kündigten die Innenminister in Lübeck ein schärferes Vorgehen gegen Pyrotechnik bei Fußballspielen an. Die Innenminister wollen nicht nur den Einsatz von erlaubten bzw. zugelassenen pyrotechnischen Gegenständen in bestimmten Fällen im Sprengstoffgesetz unter Strafe zu stellen. Auch soll in diesem Zusammenhang "eine Verschärfung möglicher weiterer Sanktionen gegen die Verursacher und andere Gewalttäter geprüft werden".
"Nur" Fahrverbote gegen störende Fußballfans?
Konkret gemeint sind damit auch Fahrverbote gegen Störer im Stadion: Wie es im finalen Beschluss heißt, wollen die Innenminister prüfen, ob nicht bereits heute durch Anwendung des § 44 Strafgesetzbuch (StGB) eine ausreichende Grundlage zur Einwirkung auf Gewalttäter Sport durch Nebenstrafen (Fahrverbote) besteht oder "ob darüber hinaus auch eine Änderung des § 69 StGB erforderlich ist". Eine solche Entziehung der Fahrerlaubnis bei sogenannten "Störern Sport" nach § 69 StGB sorgt bei Strafrechtlern für erhebliche Kritik. Der Hannoveraner Strafverteidiger Andreas Hüttl wies gegenüber LTO darauf hin, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis allein präventiv der Verkehrssicherheit diene. Zweck der Maßregel sei nicht die Bekämpfung der allgemeinen Kriminalität. Eine weitergehende, großzügigere Auslegung sei auch nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs von 2005 nicht mehr zulässig, so Hüttl.
Besorgt zeigten sich die Innenminister über die zunehmenden Gewaltexzesse im Amateur-Fußball: "Die Angriffe gegen Schiedsrichter auf unseren Sportplätzen, die anderenorts zu Strafanzeigen führen würden und die Basis der Gewaltexzesse sind, treffen auf unseren entschiedensten Widerstand. Fußball ist ein Fest und es soll gefeiert werden. Wer das nicht begreift, muss die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen. Null-Toleranz gegenüber gewaltbereiten Fußballanhängern – einen anderen Grundsatz kann es nicht geben", sagte Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier.
Um das Ausmaß von Gewalt im Amateurbereich zu verifizieren, soll voraussichtlich bereits in der Rückrunde der Saison 2019/20 eine Rechtstatsachensammlung zu Straftaten im Zusammenhang mit Fußball unterhalb der 4. Liga (Regionalliga) erstellt werden. Auf einer ihrer nächsten Konferenzen werde die IMK dann entscheiden, "ob im bundesweiten Maßstab Handlungsbedarf besteht".
Abschiebestopp nach Syrien bis Ende Juni 2020 – mit Ausnahmen
Weiter einigten sich die Innen-Ressortchefs - auf Antrag Schleswig-Holsteins - entgegen bestimmter Vorbehalte aus einigen Bundesländern auf eine weitere Verlängerung des Abschiebungsstopps nach Syrien: "Der Abschiebungsstopp soll bis zum 30.6.2020 ohne Einschränkung verlängert werden."
Allerdings wollen sich die Minister dabei wohl ein Hintertürchen offenhalten. Denn in ihrem Beschluss wird die Bundesregierung nicht nur gebeten, bis zur nächsten Frühjahrssitzung der IMK eine Fortschreibung der Lagebewertung in Syrien vorzunehmen. Darüber hinaus wird sie aufgefordert, die Voraussetzungen für die Rückführung von bestimmten Personengruppen – beispielsweise Gefährdern und Tätern, die sich schwerer Straftaten schuldig gemacht haben – nach Syrien oder in Drittstaaten unter Beachtung der Menschenrechte und bei differenzierter Betrachtung im Einzelfall möglich zu machen.
Schließlich forderten die Innenminister auch eine Erhöhung der Strafrahmen beim Missbrauch von Kindern. Zudem sollen Einträge ins Bundeszentralregister im Falle einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs oder im Zusammenhang mit Kinderpornografie dort deutlich länger abrufbar sein müssen, bevor sie getilgt werden. Um entsprechende rechtliche Anpassungen gebeten würden die Kollegen in den Justizministerien gebeten.
Beschlüsse der Herbst-IMK 2019: . In: Legal Tribune Online, 06.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39123 (abgerufen am: 05.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag