Gewalt in der Partnerschaft und Notwehr: Sind Kör­per­ver­let­zungen durch den Partner zu erdulden?

von Jonas Koschmieder

08.02.2024

Der BGH und die herrschende Literatur schränken das Notwehrrecht bei Angriffen durch den eigenen Partner ein. Davon sind vor allem Frauen als Opfer häuslicher Gewalt betroffen. Eine unhaltbare Rechtsauffassung meint Jonas Koschmieder.

Statistiken zur Partnerschaftsgewalt zeigen deren Ausmaß deutlich: 16,6 Prozent aller 2022 in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfassten Opfer bei strafbaren Handlungen gegen höchstpersönliche Rechtsgüter sind Opfer von Gewalt in Partnerschaften. Überwiegend geht es dabei um Körperverletzungsdelikte und in mehr als 80 Prozent der registrierten Fälle ist das Opfer der Partnerschaftsgewalt weiblich. Die PKS bildet zwar nur das sogenannte Hellfeld der von der Polizei registrierten Straftaten ab. Die Dunkelfeldforschung zeigt aber, dass das tatsächliche Vorkommen von Partnerschaftsgewalt noch deutlich höher ist.

Vor diesem Hintergrund hinterlässt es ein Störgefühl, wenn der Bundesgerichtshof (BGH) und die herrschende Literatur für den "typischen" Fall der sich gegen Angriffe ihres männlichen Partners wehrenden Frau das Selbstverteidigungsrecht einschränken. Der BGH hat dies in Urteilen aus den Jahren 1968 und 1974 grundlegend so entschieden (Urt. v. 20.03.1968, Az. 3 StR 64/68; Urt. v. 25.09.1974, Az. 3 StR 159/74). Etwa im Jahre 2016 wurde diese Rechtsprechung bestätigt (BGH, Beschl. v. 12.04.2016 – 2 StR 523/15 Rn. 18).

Zur rechtlichen Einordnung: Es geht um das Tatbestandsmerkmal der Gebotenheit der Notwehr nach § 32 Strafgesetzbuch (StGB), die bei der Fallgruppe der "engen persönlichen Nähebeziehungen" eingeschränkt wird. In Betracht kommen soll dies allerdings ausschließlich für ein- und erstmalige Angriffe in Form einer leichten Körperverletzung; ferner nur, wenn es sich um eine intakte Ehe oder Beziehung vergleichbarer Intensität handelt. Rechtsfolge ist entweder eine Duldungspflicht für den Angriff des Partners oder zumindest die Verpflichtung, ein weniger effektives, aber schonenderes Verteidigungsmittel zu wählen.

Man könnte jetzt meinen, mit den genannten Kriterien – intakte Beziehung, erstmaliger Angriff, nur bei leichten Körperverletzungen – gehe es ja lediglich um eine zurückhaltende Einschränkung des Notwehrrechts. Dabei liegen genau hierin schon die ersten Probleme.

Einschränkung nur für "leichte" Körperverletzung?

Unklar bleibt, was unter der maßgeblichen "leichten Körperverletzung" zu verstehen ist. Das Strafgesetzbuch kennt nur die "einfache" Körperverletzung i.S.d. § 223 StGB. Deren Vorliegen wird aber stets vorausgesetzt. Was genau nun also eine "leichte" Körperverletzung sein soll, wird vom BGH (insbesondere im Urt. v. 25.09.1974, Az. 3 StR 159/74) und oft auch in der Literatur, z.B. im BeckOK-StGB von Carsten Momsen und Iva Savić, offengelassen.

Manche Autoren, wie etwa Claus Roxin und Luís Greco in ihrem berühmten Lehrbuch, sehen die Grenze bei der Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung oder bei schwereren Verletzungen überschritten. Das bedeutet aber, dass hiernach etwa Schläge, die zwar zu schmerzenden Hämatomen oder Prellungen führen, welche aber von selbst nach einiger Zeit abheilen, hinnehmbar wären. Die Behauptung, dass erst bei regelmäßigen Misshandlungen von "Gewalt in der Ehe" zu sprechen sei oder mit dieser Lösung einem "Freibrief für Misshandlungen" vorgebeugt werde, ist vor diesem Hintergrund nicht haltbar.

Im Strafrechts-Lehrbuch von Kristian Kühl wird erklärt, dass bei Lebensgefahr, versuchter Tötung, Vergewaltigung oder gefährlicher Körperverletzung i.S.d. § 224 StGB nicht mehr von einer leichten Körperverletzung gesprochen werden könne. Nutzt man solche Beispiele als Abgrenzung, verschiebt dies die Grenze der zunächst vorsichtig klingenden Einschränkung für "leichte Körperverletzungen" bis an die Schwelle gravierender Übergriffe.

Natürlich agieren einige Strafrechtler hier auch zurückhaltender. Thomas Rönnau und Kristian Hohn sprechen im Leipziger Kommentar etwa von einer "heiklen Fallgruppe" oder "äußerst behutsamen" Einschränkung. Anschließend werden die Voraussetzungen dafür dann aber soweit eingeengt, dass kaum noch eine praktische Relevanz bleibt. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund der sonstigen Notwehrvoraussetzungen, durch die der verteidigungsbedingt tödlichen Eskalation eines partnerschaftlichen Streits bereits ausreichend vorgebeugt wird.

So muss z.B. vor einem tödlichem Waffeneinsatz die Verwendung der Waffe grundsätzlich erst angedroht werden. Und handelt es sich um eine Auseinandersetzung, die Beleidigungen des späteren Angriffsopfers beinhaltet, kann ohnehin schon eine Einschränkung wegen "vorwerfbarer Notwehrprovokation" erfolgen.

Langversion mit Fundstellen in StV 02/2024

Keine Begründung über § 13 StGB

Wendet man sich den für die Notwehreinschränkung vorgetragenen rechtlichen Argumenten zu, wird oft an die in intakten Beziehungen regelmäßig bestehende Garantenstellung der Partner i.S.d. § 13 StGB angeknüpft. Danach sind diese grundsätzlich wechselseitig verpflichtet, Schädigungen wichtiger Rechtsgüter voneinander abzuwehren.

Aber passt es dogmatisch, von der Garantenstellung auf eine Notwehreinschränkung zu schließen? Entscheidend dagegen spricht, dass zwischen einer generellen Garantenstellung und der situationsabhängigen Garantenpflicht unterschieden werden muss. Letztere meint die erst in der konkreten Gefahrensituation entstehende Pflicht zur Erfolgsabwendung. Voraussetzung der Garantenpflicht ist wiederum eine konkret bestehende Hilfs- oder Schutzbedürftigkeit des Schutzbefohlenen.

Der Schutzbefohlene der Garantenstellung ist in der Notwehrkonstellation aber der Angreifer – und diesem fehlt es an der für die Begründung einer Garantepflicht des Angriffsopfers notwendigen Schutzbedürftigkeit. Denn der angreifende Partner kann seinen Angriff jederzeit eigenständig beenden und so selbst die durch die Verteidigung drohende Rechtsgutsbeeinträchtigung verhindern. Im Falle des vollverantwortlichen Angriffs von Schutzbedürftigkeit zu sprechen ist also verfehlt. In dieser Situation besteht keine Garantenpflicht. Und damit hat § 13 StGB auf die Notwehr keine Auswirkung.

Pflicht zur Hinnahme leichter Körperverletzungen?

Vielfach wird zudem auf gesteigerte Solidaritätspflichten abgestellt. Aufgrund derer seien die Partner zur gegenseitigen Schonung und Rücksichtnahme verpflichtet, die Solidaritätspflichten des einen Partners würden nicht bereits bei jeder Verfehlung des anderen entfallen. Sofern nur leichte Körperverletzungen drohen, sei daher vom angegriffenen Partner Zurückhaltung bei der Verteidigung zu verlangen.

Lässt man die Schutzpflicht jedoch erst entfallen, wenn es entweder schon vorangegangene Misshandlungen gab oder eine erstmalige schwerere Körperverletzung droht, stellt dies letztlich eine Normalisierung leichter Körperverletzungen in der Partnerschaft dar. So wird in der Literatur, wiederum bei Claus Roxin, verständnisvoll konnotiert von Entgleisungen gesprochen, wie sie auch und gerade bei engen persönlichen Beziehungen vorkommen könnten.

Auch die erstmalige und noch so leichte tatbestandliche Körperverletzung ist jedoch eine Misshandlung des Partners. Versteht man Partnerschaft als ein die Integrität und die Rechtsgüter ihrer Mitglieder wahrendes Verhältnis, ist der Weg der herrschenden Meinung abzulehnen. Indem der eine Partner unter Berufung auf in der Partnerschaft geltende Schutzpflichten bei gleichzeitiger Verletzung ebendieser Pflichten durch den Angreifer zur teilweisen Aufopferung der körperlichen Integrität gezwungen wird, wird der Gedanke der Solidarität ad absurdum geführt.

Vermindertes "Rechtsbewährungsinteresse"?

Der zweite Grundgedanke des Notwehrrechts ist neben dem Selbstschutzprinzip das sogenannte Rechtsbewährungsinteresse. Mit anderen Worten: In der Verteidigung gegen den rechtswidrigen Angriff liegt auch eine Verteidigung der Rechtsordnung. Oft wird zur Begründung der Notwehreinschränkung vertreten, das Rechtsbewährungsinteresse sei bei Angriffen innerhalb enger persönlicher Beziehungen vermindert.

Die deutlichen statistischen Befunde zeigen aber: Gewalt in Partnerschaften ist kein privater Einzelfall, sie ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Das kann aus kriminalpolitischer Sicht nur einen Schluss zulassen: Hier muss sich das Recht zur konsequenten Delegitimierung von Partnerschaftsgewalt umso mehr bewähren.

Eine tatbestandliche Körperverletzung ist eine Misshandlung – ob das Opfer eine fremde Person oder der eigene Partner ist, ändert daran nichts. Deshalb ist eine zusätzliche Einschränkung des Notwehrrechts in "engen persönlichen Nähebeziehungen" abzulehnen.

Jonas Koschmieder ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Strafrecht (einschl. Wirtschafts- und Medizinstrafrecht), Strafprozessrecht und Strafrechtsvergleichung (Prof. Dr. Lutz Eidam, LL.M.) an der Universität Bielefeld.

Bei dem Text handelt es sich um eine Zusammenfassung eines wissenschaftlichen Beitrags mit Literatur- und Rechtsprechungsbelegen, der in der Zeitschrift "StV - Strafverteidiger", Heft 2, 2024, erscheinen wird. Die Zeitschrift wird wie LTO von Wolters Kluwer herausgegeben. Sie ist als Einzelausgabe hier und als Abo hier erhältlich.

* Fassung vom 12.02.24 mit klarstellender Ergänzung zum weiteren BGH-Urteil.

Zitiervorschlag

Gewalt in der Partnerschaft und Notwehr: . In: Legal Tribune Online, 08.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53808 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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