Strafvorschriften im neuen Konsum-Cannabisgesetz: Her mit der zweiten Säule!

Gastbeitrag von Dr. Sebastian Sobota

24.06.2024

Seit April dürfen Erwachsene Cannabis in gewissen Grenzen legal anbauen und besitzen. Doch die "Wende in der Drogenpolitik" hat auch ihre hässlichen strafrechtlichen Seiten. Der Gesetzgeber sollte hier nachbessern, meint Sebastian Sobota.

Deutschland im Frühsommer 2024. Wenige Monate nach Inkrafttreten des Cannabisgesetzes (CanG) liegt eine Glocke süßlichen Dunsts über der Bundesrepublik. Das gesellschaftliche Leben ist zum Stillstand gekommen, im Supermarkt gähnende Leere in den Snackregalen. Mit geröteten Augen bahnt sich der Autor den Weg zum Schreibtisch, vorbei an Pizzaschachteln und Aschenbechern, im Mundwinkel einen angebrannten Joint von letzter Nacht.

So hat sich das manch einer wohl ausgemalt. Zwar riecht man jetzt nicht mehr nur im Park den einen oder anderen Feierabend-Joint, aber vom vielbeschworenen Dammbruch ist nichts zu sehen – für Experten wenig überraschend, wie der Blick nach Nordamerika zeigt, wo die Reformen wesentlich weiter gegangen sind.

Im Gegensatz zur ursprünglich geplanten "kontrollierten Abgabe in Geschäften" ist das Konsumcannabisgesetz (KCanG) nicht der große Wurf. Nach langem Ziehen und Zerren im Gesetzgebungsverfahren stellt die erste Säule einen Minimalkompromiss dar, der eine hässliche strafrechtliche Seite aufweist. Das beginnt schon bei der Strafbegründung.

Jugend- und Gesundheitsschutz oder Bekämpfung der organisierten Kriminalität?

Langfassung im StV 7/24

Der Gesetzgeber geht wie selbstverständlich davon aus, dass Verstöße gegen das allgemeine Umgangsverbot strafrechtlich verfolgt werden müssen. Doch das Abstinenzparadigma des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG), wo selbst der Besitz geringer Mengen unter Strafe steht, gilt nicht mehr. Das KCanG akzeptiert den Konsum ausdrücklich und ermöglicht erstmals eine legale Versorgung mit Cannabis. Vor diesem Hintergrund bleibt unklar, welches Rechtsgut der Grundtatbestand noch schützen soll.

Der Schutz junger Menschen wird in den Materialien oft betont, ist allerdings nur bei erschwerten Begehungsweisen einschlägig wie der Abgabe an Minderjährige (§ 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 KCanG). Dagegen leuchtet nicht ein, Erwachsenen den Besitz größerer Mengen Cannabis zum Eigenkonsum zu verbieten, damit Jugendliche geschützt werden.

Das gilt auch für den Rekurs auf den Gesundheitsschutz. Als allgemeiner Strafgrund taugt er nicht, weil der eigenverantwortliche Konsum vom Gesetz selbst dann gebilligt wird, wenn er im Übermaß praktiziert wird. Präventiver Bedarf wäre nur bei darüberhinausgehenden Gefahren ersichtlich wie zum Beispiel durch verunreinigtes Cannabis. Darauf stellt allein § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 KCanG ab.

Schließich trägt die Zurückdrängung des Schwarzmarkts allenfalls einzelne Tatvarianten, womöglich das bandenmäßige Handeltreiben (dazu sogleich). Demgegenüber ist kein Bezug zur Organisierten Kriminalität erkennbar, wenn A dem B etwas Cannabis aus seiner Ernte unentgeltlich "zum unmittelbaren Verbrauch überlässt" (§ 34 Abs. 1 Nr. 8 KCanG). Durch das Verbot jeglichen Verkaufs schafft das KCanG im Übrigen gerade den Schwarzmarkt, den es zugleich bekämpfen will.

"Volksgesundheit light"

Um einen legitimen Zweck für die Strafbarkeit zu finden, muss daher wie schon im BtMG auf ein vages Sammelrechtsgut zurückgegriffen werden. Wenn es in der Gesetzesbegründung heißt, "Anreize zur Ausweitung des Cannabiskonsums sollen nicht geschaffen werden", lässt sich dieses am ehesten als "Volksgesundheit light" beschreiben. Gemeint ist das allgemeine Interesse, den Konsum trotz grundsätzlicher Akzeptanz nicht zu befördern. Der Umgang wird durch die erste Säule nicht vollständig legalisiert, sondern bloß ein bisschen.

Anders der Bundesgerichtshof (BGH). In seiner ersten Entscheidung zum neuen Recht behauptet der 1. Senat, am Regelungszweck der Strafvorschriften habe sich gegenüber dem BtMG "nichts geändert" (Beschl. v. 18.04.2024, Az. 1 StR 106/24). Der Konsum solle "möglichst unterbunden" werden. Das widerspricht sowohl den Motiven ("verantwortungsvoller Umgang wird erleichtert") als auch den zentralen Regelungen. Nach §§ 3, 9 KCanG dürfen Erwachsene bestimmte Mengen Cannabis zum Eigenkonsum anbauen und besitzen – unabhängig vom Wirkstoffgehalt!

Überhöhte Strafrahmen und (verdeckte) Verschärfungen

Weitere unschöne Seiten offenbaren sich beim Blick auf die Rechtsfolgen. Der Strafrahmen des Grundtatbestands ist immer noch identisch mit § 4 Abs. 1 Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG), was angesichts der unterschiedlichen Risiken unstimmig ist. Verstärkt wird der Widerspruch, wenn man berücksichtigt, dass das NpSG keine Besitzstrafbarkeit vorsieht. Wer ein Kilogramm synthetische Cannabinoide besitzt, bleibt also straflos, während bei 31 Gramm Cannabis Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren droht.

So paradox es klingt, hat selbst die Herausnahme aus dem BtMG strafschärfende Konsequenzen. Denn der Vergleich mit gefährlicheren Stoffen fällt weg und die "geänderte Risikobewertung" hat sich bereits im Strafrahmen niedergeschlagen. Wie der BGH inzwischen bestätigt hat, entfaltet das geringe Gefährdungspotential von Cannabis keine strafmildernde Wirkung mehr (Beschl. v. 29.04.2024, Az. 6 StR 132/24).

"Nicht geringe Menge" und "organisierte Kiffer-WG"

Darüber hinaus wurde die bereits im BtMG umstrittene "nicht geringe Menge" übernommen. Die Ausfüllung des Merkmals an die Judikative zu delegieren, hat sich bereits gerächt: Als ob es die Reform nicht gegeben hätte, verkündete der 1. Senat übereilt, dass die im Jahr 1984 festgelegten 7,5 Gramm Tetrahydrocannabinol (THC) fort gelten. In den Gründen machen die Richter keinen Hehl daraus, dass sie die "geänderte Risikobewertung" der Legislative nicht akzeptieren. Die Materialien, wonach der neue Wert "deutlich höher liegen müsse", erklären sie für unverbindlich. Andere Senate haben sich bereits angeschlossen.

Erneut enthalten die Verbrechensqualifikationen das "bandenmäßige Handeltreiben", um schwere Formen organisierter Kriminalität zu sanktionieren. Diese Gleichsetzung verkennt jedoch die geringen Anforderungen an den Bandenbegriff. Darunter fällt nach der Rechtsprechung beispielsweise schon eine (Wohn-)Gemeinschaft aus drei oder mehr Konsumenten, die gemeinsam Cannabis anbauen und Teile davon zur Kostendeckung weiterverkaufen. Hier droht eine Überkriminalisierung von Delikten, die mit organisierter Kriminalität nicht das Geringste zu tun haben.

Ambivalente Zeitenwende im Drogenrecht

Auch wenn sich dieser Beitrag auf die "hässliche Seite"“ konzentriert, dürfte das CanG immerhin die gröbsten Auswüchse der Konsumentenverfolgung beenden. Die Bedeutung der Reform sollte angesichts des hartnäckigen politischen Widerstands keinesfalls unterschätzt werden. Gleichwohl steht der restriktive Ansatz in einem inneren Widerspruch zur "geänderten Risikobewertung".

Er birgt verschiedene Gefahren: Weil Cannabis nirgendwo legal gekauft werden kann, wird ein beträchtlicher Schwarzmarkt verbleiben – mit all seinen negativen Begleiterscheinungen. Zudem lassen die vielen und strengen Strafvorschriften eine unverhältnismäßige Bestrafung von konsumbezogenen Verstößen besorgen.

Eine weitere Gefahr hat sich bereits realisiert. Wie befürchtet hat die enge Anlehnung an das BtMG dazu geführt, dass die Rechtsprechung das KCanG zu einem Ableger des BtMG deformiert. Statt die "geänderte Risikobewertung" in der Praxis mit Leben zu füllen, wird die überkommene Dogmatik transferiert – notfalls gegen den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers. Was also ist zu tun?

Schönheitsoperation vonnöten

Die Lösung ist erstaunlich einfach und führt zurück zum Titel: "Her mit der zweiten Säule!" Ohne sie handelt es sich bei der vollmundigen "Wende in der Drogenpolitik" (Gesundheitsminister Karl Lauterbach) bloß um eine unvollkommene Entkriminalisierung, die viele Probleme der Prohibition unnötig verlängert. Aus kriminologischer Perspektive sollte alsbald mit den lange angekündigten Modellprojekten begonnen werden. Ohne einen niedrigschwelligen legalen Zugang wird der Schwarzmarkt nicht nennenswert geschmälert.

Mittelfristig ist aus strafrechtsdogmatischer Sicht eine Reform des KCanG zu wünschen. Nachdem entsprechende Vorschläge im Gesundheitssauschuss leider ignoriert wurden, erwägt die Koalition dem Vernehmen nach, die "nicht geringe Menge" gesetzlich festzulegen und damit der restriktiven Rechtsprechung die Grundlage zu entziehen. Bei dieser Gelegenheit könnten weitere Überkriminalisierungen abgebaut und handwerkliche Fehler behoben werden.

Langfristig ist auf eine Globalreform des BtMG zu hoffen. Zur ganzen Wahrheit gehört nämlich, dass sich die meisten Motive für das CanG unschwer auf alle anderen Betäubungsmittel übertragen lassen. Mögen sich tiefgreifende politische Veränderungen wie der Abschied vom "Krieg gegen die Drogen" in kleinen Schritten vollziehen, verengt sich die Diskussion bisher zu Unrecht auf Cannabis.

Aber immerhin: Nach Jahrzehnten bewegt sich etwas – und die Richtung stimmt!

Dr. Sebastian Sobota ist Habilitand an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, daneben Rechtsanwalt in Wiesbaden und Mitherausgeber des geplanten Kommentars Geschwandtner/Graf/Sobota, Cannabisrecht, 2025.

Bei dem Text handelt es sich um eine Zusammenfassung eines wissenschaftlichen Beitrags mit Literatur- und Rechtsprechungsbelegen sowie eines Editorials. Beide sind in der Zeitschrift "StV – Strafverteidiger", Heft 7, 2024 erschienen sind. Die Zeitschrift wird wie LTO von Wolters Kluwer herausgegeben. Sie ist als Einzelausgabe hier und als Abo hier erhältlich.

Zitiervorschlag

Strafvorschriften im neuen Konsum-Cannabisgesetz: . In: Legal Tribune Online, 24.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54837 (abgerufen am: 29.09.2024 )

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