Auf dem 74. Juristentag geht es u.a. um den Umgang mit Smartphones im Strafverfahren. Mayeul Hiéramente kritisiert, dass beim Zugriff auf Datenträger Persönlichkeitsrechte nicht angemessen geschützt seien. Der Gesetzgeber müsse handeln.
Smartphones und Laptops sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Sie dienen dem sozialen Austausch im Freundes- und Bekanntenkreis und gewährleisten berufliche Erreichbarkeit. Sie sind das Tor zum Internet und erlauben Nutzer:innen den Zugriff auf Websites, Applikationen und dezentral gespeicherte Daten – von Urlaubsfotos bis zu vertraulichen Geschäftsunterlagen. Die Vielfalt der auf Smartphones und Laptops gespeicherten oder über diese im Zugriff befindliche Daten ist immens. Selbst äußerst private und intime Informationen lassen sich in den Datenspuren finden, wenn Gesundheitsapps, Browserverläufe, Standortdaten, Fotos und Videos oder die Kommunikation in Chatprogrammen und Emails durchforstet werden können. Eine Masse an Puzzlestücken, die zusammengesetzt ein erstaunlich genaues Abbild der Persönlichkeit ergeben können.
Für viele sicherlich überraschend: Die Strafprozessordnung (StPO) sieht für den Zugriff auf Smartphones, Laptops & Co. keine klaren gesetzlichen Hürden vor. Der Anfangsverdacht (irgend-) einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit reicht grundsätzlich aus. Zwar gilt auch hier: Verhältnismäßig müssen Durchsuchung und Beschlagnahme schon sein. Zuverlässigen Schutz bietet der für alle Ermittlungsmaßnahmen geltende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Praxis jedoch nicht. Dies zeigt sich nicht nur bei publik gewordenen Extremfällen.
Handy als "Daten-Eldorado"
Klare gesetzliche Vorgaben können einen Beitrag zum effektiven Grundrechtsschutz im hektischen Polizei- und Justizalltag leisten. Sie konkretisieren den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und liefern klare Richtlinien für Rechtsanwender: innen und rechtsuchende Bürger: innen. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wiederholt betont und bei eingriffsintensiven Maßnahmen klare gesetzliche Vorgaben eingefordert. Selbst beim Zugriff auf dynamische IP-Adressen haben die Karlsruher Richter ein Tätigwerden angemahnt. Der Gesetzgeber hat auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung reagiert und in den §§ 100a ff. StPO für ausgewählte Ermittlungsmaßnahmen ausdifferenzierte materielle Hürden und Verfahrensvorgaben eingeführt.
Eine vergleichbare Regelung für den offenen Zugriff auf Smartphones, Laptops & Co. fehlt bislang. Diese legislative Untätigkeit mag auch an einem Richterspruch aus Karlsruhe von 2006 liegen. Damals hatte das BVerfG noch konstatiert, die Regelungen zur Beschlagnahme und Durchsuchung seien ausreichend, um auf Mobiltelefone zuzugreifen.
Allerdings: Das Smartphone war da noch nicht geboren. Erst ein Jahr später brachte Apple das erste iPhone auf den Markt und revolutionierte den Markt der Mobiltelefone. Die Nutzungsmöglichkeiten nahmen in der Folge rapide zu und damit auch die Art und Anzahl der Daten. Durch die Einführung und ständige Ausweitung von Clouddiensten wurde die Speicherkapazität erhöht und die Synchronisierung von Endgeräten ermöglicht. Das moderne Smartphone wurde, wie nun ein Gutachten für den Deutschen Juristentag (djt) Ende September in Stuttgart treffend formuliert, zum Daten-Eldorado.
Diskussion über Reform auf dem djt in Stuttgart
In seiner für den djt vorgenommenen Analyse schlägt der Trierer Strafrechtler Prof. Dr. Mohamad El-Ghazi zahlreiche Reformideen vor, um den technischen Entwicklungen und den daraus resultierenden Risiken für die Grundrechte der BürgerInnen Rechnung zu tragen. Es plädiert für einen Straftatenkatalog, um den Zugriff auf Smartphones, etc. bei Bagatelltaten und Ordnungswidrigkeiten auszuschließen. Zwar müsse der Gesetzgeber auch dem Interesse an effektiver Strafverfolgung Rechnung tragen. Schließlich werde das Smartphone auch zur Begehung von Straftaten genutzt. Dennoch sei es nicht geboten, dass die Ermittlungsbehörden bei jeder Beleidigung, Sachbeschädigung oder beim Verdacht des "Schwarzfahrens" der Zugriff auf Smartphones, Laptops & Co. ermöglicht werde.
Zudem solle sichergestellt werden, dass der Zugriff auf derartige Endgeräte nur dann erfolgt, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass der Zugriff verfahrensrelevante Erkenntnisse erbringen wird. Darüber hinaus schlägt das El-Ghazi einige verfahrensrechtliche Absicherungen vor: Sonderregelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung, Ausbau der Rechtsschutzmöglichkeiten, Fristen, Anspruch von Betroffenen auf Datenkopien und Dokumentations- und Schutzvorschriften, um die Integrität der Geräte zu gewährleisten.
Straftatenkatalog und Verfahrensregeln erforderlich
El-Ghazis Befund ist richtig: Die §§ 98 ff., 102 ff. StPO sind reformbedürftig. Es ist unverständlich, warum in den §§ 100a ff. StPO ein ausdifferenziertes Regelwerk zur Verfügung steht, welches der Eingriffstiefe der verschiedenen Maßnahmen Rechnung trägt, die Polizei jedoch selbst bei Bagatellen mit einem Durchsuchungsbeschluss in die Privatwohnung einmarschieren und die privatesten Daten durchsehen kann. Ein Straftatenkatalog und Verfahrensregeln wären daher ein sinnvoller Schritt.
Eine Reform der §§ 98 ff., 102 ff. StPO ist auch aus ganz praktischen Gründen sinnvoll. Denn selbsterklärend sind die derzeitigen Vorschriften keinesfalls. Erst bei Lektüre der (verfassungsgerichtlichen) Rechtsprechung offenbart sich das Regelungsgefüge. Nur informierten Rechtsanwender: innen erschließt sich beispielsweise das Institut der sogenannten "vorläufigen Sicherstellung".
Diese Kreation der Rechtsprechung soll sicherstellen, dass nur verfahrensrelevante Daten gespeichert werden und Eingang in das Verfahren finden. Die Urlaubsfotos, der Chat mit Familie und Freunden oder der Browserverlauf sollen außen vor bleiben, wenn sie für den Tatvorwurf nicht relevant sind. Fehlvorstellungen über Grund und Grenzen der Durchsicht sind in der Praxis jedoch häufig zu beobachten. Bereits dies sollte Anlass für eine Novellierung sein.
Durchsicht von Rohdaten wird zur Blackbox
Die derzeitige Rechtslage ist auch deshalb unbefriedigend, weil sie keinen angemessenen Interessenausgleich gewährleistet. Sie hat nur das Verhältnis zwischen den staatlichen Ermittlungsbehörden auf der einen und der von der konkreten Maßnahme betroffenen Person auf der anderen Seite im Blick. Deren Grundrechte sollen durch die Durchsicht geschont werden. Ungefilterte Rohdaten sollen daher nicht als Beweismittel zur Akte genommen werden. Dementsprechend ist die Verteidigung von der Durchsicht dieser (fremden) Daten ausgeschlossen.
Dieser im Grundsatz nachvollziehbare Regelungsansatz stößt im Zeitalter der Digitalisierung an Grenzen. Monate- oder gar jahrelange Sichtungsphasen führen dazu, dass der Verteidigung, ob nun bewusst oder unbewusst, möglicherweise verfahrensrelevante Daten vorenthalten werden. Hinzukommt, dass eine wirkliche (händische) Durchsicht sämtlicher "vorläufig sichergestellter" Daten praktisch kaum mehr möglich ist. Die Daten können zwar mittels technischer Hilfsmittel – vielleicht zukünftig auch mittels KI – "gesichtet" werden. Grundlage dieser technischen „Durchsicht“ ist aber stets die staatsanwaltschaftliche oder polizeiliche Ermittlungshypothese. Ob das Destillat repräsentativ ist, ist für die Verteidigung oft nur schwer zu kontrollieren. Die Durchsicht von Rohdaten wird so zur Blackbox für die Verteidigung.
Eine Reform der §§ 98 ff., 102 ff. StPO sollte sich daher (auch) dieser Problematik annehmen.
Dr. Mayeul Hiéramente ist Fachanwalt für Strafrecht in Hamburg.
Bei dem Text handelt es sich um eine Zusammenfassung eines wissenschaftlichen Beitrags mit Literatur- und Rechtsprechungsbelegen, der in der Zeitschrift "StV – Strafverteidiger", Heft 9, 2024, erschienen ist. Die Zeitschrift wird wie LTO von Wolters Kluwer herausgegeben. Sie ist als Einzelausgabe hier und als Abo hier erhältlich.
Durchsuchung und Beschlagnahme von Smartphones & Laptops: . In: Legal Tribune Online, 30.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55304 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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