2/2: Losgelöst vom Recht: nach moralischen Gesichtspunkten
Die dreizehn Seiten lange Vereinbarung zwischen dem Museum, dem Bund und dem Land Bayern regelt nun den Umgang mit dem Erbe Gurlitts im Detail. Ziel des Vertrags ist es, die während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmten Kunstwerke der Raubkunst zu identifizieren, deren Vorkriegseigentümer oder Erben ausfindig zu machen und eine "gerechte und faire Lösung" zu finden. Drei der Bilder sind bereits als NS-Raubkunst identifiziert worden und sollen schnellstmöglich an die Erben der Enteigneten zurückgegeben werden.
Dazu bekennen sich die Parteien in der Vereinbarung zu den sogenannten Washingtoner Prinzipien von 1998. Das heißt insbesondere, dass im Nachlass enthaltene Werke, die sich als Raubkunst erweisen oder mit hoher Wahrscheinlichkeit als solche einzustufen sind, nach diesen Prinzipien an die Berechtigten restituiert werden.
Die Washingtoner Erklärung sieht vor, dass die 44 unterzeichnenden Staaten Restitutionsfälle losgelöst von nationalen Regelungen nach moralischen Gesichtspunkten lösen sollen.
Wurden Kunstwerke damals nachweislich im Zuge der Judenverfolgung enteignet, dann ist auch ein etwaig zu Grunde liegendes Gesetz der NS-Diktatur ein Akt legislativen Unrechts, was sich nach der "Radbruch'schen Formel" bestimme, erklärt CMS-Anwältin Garbers von Boehm. Diese Entziehungen seien unwirksam gewesen, die damaligen Eigentümer hätten ihr Eigentum also eigentlich nie verloren. Allerdings sind die Herausgabeansprüche inzwischen höchstwahrscheinlich verjährt, da seit Besitzverlust 30 Jahre vergangen sind. Auf die Verjährung sollen sich staatliche Institutionen nach der Washingtoner Erklärung aber gerade nicht berufen.
Raub- und entartete Kunst: Wie geht es weiter mit den Werken?
Die rund 500 Werke, die im Verdacht stehen, NS-Raubkunst zu sein, verbleiben nach der Vereinbarung vom 24.11.2014 weiterhin in Deutschland, wo ihr historischer und rechtlicher Hintergrund weiterhin von der "Taskforce Schwabinger Kunstfund" untersucht wird. Doch auch die Schweizer möchten sich bei der Provenienzforschung engagieren.
Verantwortlich für sie bleibt bis auf weiteres die Bundesrepublik, welche zugesichert hat, alle Kosten für die Restitution und mögliche Streitfälle zu übernehmen. Wenn die Rückgabe einzelner Kunstwerke nicht möglich ist, sollen diese in Ausstellungen in Deutschland mit einer entsprechenden Beschreibung als Raubkunst gezeigt werden, damit mögliche Anspruchsteller sich doch noch melden können.
Sollte ihre Erwerbsgeschichte aber nicht eindeutig geklärt werden und kein Berechtigter identifiziert werden können, obliegt es dem Berner Kunstmuseum, zu entscheiden, ob es die alleinige Verantwortung für das Bild übernehmen will. Andernfalls bleibt das Werk in Deutschland.
Die zahlreichen Werke, welche die Nazis vermutlich 1937 in der diffamierenden Ausstellung "entartete Kunst" zeigten, und die nicht gleichzeitig NS-Raubkunst sind, übernimmt das Berner Museum. Der Unterschied zur Raubkunst: Diese Bilder wurden nicht privaten Eigentümern entwendet, sondern zumeist staatlichen Museen entzogen.
Grundlage hierfür war das 1938 verabschiedete "Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst", das bis heute wirkt. Hier hat "das Unrechtsregime sich selbst beraubt", wie es die Kunstrechtlerin von CMS nennt. Die Rechtslage sei hier eindeutig, das Gesetz von damals, so kulturbarbarisch es auch sei, entfaltete rechtlich immer noch Wirkung, so Garbers-von Boehm. Man habe sich bewusst gegen dessen Aufhebung entschieden, um einen endloses Hin und Her zu verhindern. Die Radbruch'sche Formel gelte hier gerade nicht. Daher stünden die Bilder nun nach geltendem Recht dem Kunstmuseum Bern als Erbe zu. Die Institution erklärt sich in der mit Bund und Bayern getroffenen Vereinbarung aber bereit, sie den Museen, denen sie ursprünglich gehörten, leihweise zur Verfügung zu stellen, wenn kein eigener Bedarf besteht und es konservatorisch verantwortbar ist.
Die Cousine ficht die Erbschaft an
Die 86-jährige Cousine Gurlitts, Uta Werner, hat bereits vor Annahme der Erbschaft durch das Berner Museum einen Antrag auf Erteilung eines Teilerbscheins als hälftige Miterbin nach der gesetzlichen Erbfolge gestellt, wie das Amtsgericht München am Montag bestätigte. Sie hatte zuvor ein Gutachten vorgelegt, das bei dem verstorbenen Kunstbesitzer posthum eine "schizoide Persönlichkeitsstörung" und "paranoide Wahnvorstellungen" diagnostiziert.
Doch seitens der testamentarisch eingesetzten Alleinerbin herrscht angesichts dieses Vorstoßes Gelassenheit: Man sei sicher, dass Gurlitt die Stiftung "aufgrund klarer Überlegungen und aus wohl bedachten Motiven als Erbin eingesetzt habe", so der Stiftungsratspräsident am Montag. Möglicherweise wird nun doch das Nachlassgericht entscheiden müssen.
Anne-Christine Herr, Trotz Annahme der Erbschaft: . In: Legal Tribune Online, 26.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13923 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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