Kurz vor seinem Tod hatte Cornelius Gurlitt seine spektakuläre Kunstsammlung überraschend dem Kunstmuseum Bern vermacht. Es hat das Erbe nun angenommen. In einer Vereinbarung des Museums mit dem Bund und Bayern verpflichten sich die Parteien zur Rückgabe der im Nachlass enthaltenen NS-Raubkunst. Wenn da nicht die Cousine des Erblassers wäre, die ihren Verwandten für paranoid hält.
Der Stiftungspräsident des Kunstmuseums Bern, Prof. Christoph Schäublin, hat am Montag bekannt gegeben, dass das Museum das Erbe von Cornelius Gurlitt angenommen hat. Er sei "in höchstem Maße überrascht" gewesen, als er erfahren habe, dass sein Museum von Cornelius Gurlitt als Alleinerbe eingesetzt worden war. Erst nach dem Tod des Nachfahren von Hildebrand Gurlitt, dem Kunstsammler aus der Zeit des Nationalsozialismus, wurde das Testament mit diesem Inhalt bekannt.
Die Schweizer hatten sich nach Bekanntwerden der Erbeinsetzung die Frage gestellt, ob und wie sie der vielfältigen, komplexen Verantwortung gerecht werden konnten, die ihnen durch das Vermächtnis auferlegt wurde, so Schäublin. Einer Verantwortung insbesondere gegenüber dem Leid, das in Teilen der Sammlung fortwirke und gegenüber denen, die berechtigte Ansprüche geltend machten.
Der Nachlass enthält wertvolle Bilder mit großer Bedeutung für die Kunstgeschichte. Wie viele von ihnen NS-Raubkunst sind, beschlagnahmt oder zu unangemessen niedrigen Preisen erstandene Kunstwerke ehemaliger jüdischer Eigentümer, die sich aufgrund der Verfolgung in einer absoluten Notsituation befanden, ist bislang nur in Ansätzen geklärt. Die ererbte Sammlung enthält aber auch Stücke aus der diffamierenden Ausstellung "entartete Kunst" der Nationalsozialisten und Bilder, deren Herkunft und Geschichte vermutlich für immer ungeklärt bleiben wird.
Nicht nur die moralische, sondern auch die mögliche rechtliche Verantwortung aus dem "Schwabinger Kunstfund" belastet das Erbe schwer. Ronald Lauder, Präsident des Jüdischen Weltkongresses, hatte noch vor Bekanntwerden der Entscheidung des Schweizer Museums in einem Spiegel-Gespräch mit Kulturstaatsministerin Grütters angekündigt, wenn das Museum das Erbe annähme, würde "eine Lawine von Prozessen auf das Kunsthaus zurollen".
CMS berät Kunstmuseum Bern
Das Museum hatte sechs Monate Zeit, um sich zu entscheiden, ob es das Erbe lieber ausschlägt. Mit der umfassenden Überprüfung des komplexen Sachverhalts in einem dafür relativ kurzen Zeitraum haben die Schweizer Erben die DACH-Büros der internationalen Kanzlei CMS Hasche Sigle beauftragt.
Das Anwaltsteam unter dem Schweizer CMS Partner Beat von Rechenberg und dem Berliner CMS Partner Prof. Dr. Winfried Bullinger war interdisziplinär besetzt. Kunstrechtler, Experten für Fragen der Restitution und des Kulturgüterschutzes waren ebenso vertreten wie Steuer- und Erbrechtsexperten. Sie beleuchteten die Angelegenheit aus vielen Blickwinkeln. Das Team führte gemeinsam mit dem Berner Rechtsanwalt Dr. Marcel Brülhart Gespräche mit Vertretern der Bundesrepublik und Bayerns, die letztlich in der am Montag unterzeichneten Vereinbarung mündeten.
"Es war und ist ein rechtlich und faktisch extrem spannendes Mandat für uns alle", resümiert die auf das Kunst- und Restitutionsrecht spezialisierte Anwältin.
Auch wenn der Stiftungsrat sich am Ende gegen die Ausschlagung des Erbes entschied, ist es "ein schwieriges Erbe", so Präsident des Stiftungsrats Schäublin auf der Pressekonferenz am Montag.
"Die Entscheidung ist dem Stiftungsrat nicht leicht gefallen, und Triumphgefühle löste sie schon gar nicht aus". Er sei aber davon überzeugt, das Bestmögliche erreicht zu haben angesichts der Aufgabe, an deren Dimensionen sie noch vor einem halben Jahr nie gedacht hätten. Auch Kulturstaatsministerin Grütters und der Bayerische Justizminister Bausback zeigten sich insgesamt zufrieden. "Es ist sehr schön nun zu sehen, dass die monatelangen Anstrengungen zu einem fruchtbaren Ergebnis geführt haben" so Garbers von Boehm.
2/2: Losgelöst vom Recht: nach moralischen Gesichtspunkten
Die dreizehn Seiten lange Vereinbarung zwischen dem Museum, dem Bund und dem Land Bayern regelt nun den Umgang mit dem Erbe Gurlitts im Detail. Ziel des Vertrags ist es, die während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmten Kunstwerke der Raubkunst zu identifizieren, deren Vorkriegseigentümer oder Erben ausfindig zu machen und eine "gerechte und faire Lösung" zu finden. Drei der Bilder sind bereits als NS-Raubkunst identifiziert worden und sollen schnellstmöglich an die Erben der Enteigneten zurückgegeben werden.
Dazu bekennen sich die Parteien in der Vereinbarung zu den sogenannten Washingtoner Prinzipien von 1998. Das heißt insbesondere, dass im Nachlass enthaltene Werke, die sich als Raubkunst erweisen oder mit hoher Wahrscheinlichkeit als solche einzustufen sind, nach diesen Prinzipien an die Berechtigten restituiert werden.
Die Washingtoner Erklärung sieht vor, dass die 44 unterzeichnenden Staaten Restitutionsfälle losgelöst von nationalen Regelungen nach moralischen Gesichtspunkten lösen sollen.
Wurden Kunstwerke damals nachweislich im Zuge der Judenverfolgung enteignet, dann ist auch ein etwaig zu Grunde liegendes Gesetz der NS-Diktatur ein Akt legislativen Unrechts, was sich nach der "Radbruch'schen Formel" bestimme, erklärt CMS-Anwältin Garbers von Boehm. Diese Entziehungen seien unwirksam gewesen, die damaligen Eigentümer hätten ihr Eigentum also eigentlich nie verloren. Allerdings sind die Herausgabeansprüche inzwischen höchstwahrscheinlich verjährt, da seit Besitzverlust 30 Jahre vergangen sind. Auf die Verjährung sollen sich staatliche Institutionen nach der Washingtoner Erklärung aber gerade nicht berufen.
Raub- und entartete Kunst: Wie geht es weiter mit den Werken?
Die rund 500 Werke, die im Verdacht stehen, NS-Raubkunst zu sein, verbleiben nach der Vereinbarung vom 24.11.2014 weiterhin in Deutschland, wo ihr historischer und rechtlicher Hintergrund weiterhin von der "Taskforce Schwabinger Kunstfund" untersucht wird. Doch auch die Schweizer möchten sich bei der Provenienzforschung engagieren.
Verantwortlich für sie bleibt bis auf weiteres die Bundesrepublik, welche zugesichert hat, alle Kosten für die Restitution und mögliche Streitfälle zu übernehmen. Wenn die Rückgabe einzelner Kunstwerke nicht möglich ist, sollen diese in Ausstellungen in Deutschland mit einer entsprechenden Beschreibung als Raubkunst gezeigt werden, damit mögliche Anspruchsteller sich doch noch melden können.
Sollte ihre Erwerbsgeschichte aber nicht eindeutig geklärt werden und kein Berechtigter identifiziert werden können, obliegt es dem Berner Kunstmuseum, zu entscheiden, ob es die alleinige Verantwortung für das Bild übernehmen will. Andernfalls bleibt das Werk in Deutschland.
Die zahlreichen Werke, welche die Nazis vermutlich 1937 in der diffamierenden Ausstellung "entartete Kunst" zeigten, und die nicht gleichzeitig NS-Raubkunst sind, übernimmt das Berner Museum. Der Unterschied zur Raubkunst: Diese Bilder wurden nicht privaten Eigentümern entwendet, sondern zumeist staatlichen Museen entzogen.
Grundlage hierfür war das 1938 verabschiedete "Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst", das bis heute wirkt. Hier hat "das Unrechtsregime sich selbst beraubt", wie es die Kunstrechtlerin von CMS nennt. Die Rechtslage sei hier eindeutig, das Gesetz von damals, so kulturbarbarisch es auch sei, entfaltete rechtlich immer noch Wirkung, so Garbers-von Boehm. Man habe sich bewusst gegen dessen Aufhebung entschieden, um einen endloses Hin und Her zu verhindern. Die Radbruch'sche Formel gelte hier gerade nicht. Daher stünden die Bilder nun nach geltendem Recht dem Kunstmuseum Bern als Erbe zu. Die Institution erklärt sich in der mit Bund und Bayern getroffenen Vereinbarung aber bereit, sie den Museen, denen sie ursprünglich gehörten, leihweise zur Verfügung zu stellen, wenn kein eigener Bedarf besteht und es konservatorisch verantwortbar ist.
Die Cousine ficht die Erbschaft an
Die 86-jährige Cousine Gurlitts, Uta Werner, hat bereits vor Annahme der Erbschaft durch das Berner Museum einen Antrag auf Erteilung eines Teilerbscheins als hälftige Miterbin nach der gesetzlichen Erbfolge gestellt, wie das Amtsgericht München am Montag bestätigte. Sie hatte zuvor ein Gutachten vorgelegt, das bei dem verstorbenen Kunstbesitzer posthum eine "schizoide Persönlichkeitsstörung" und "paranoide Wahnvorstellungen" diagnostiziert.
Doch seitens der testamentarisch eingesetzten Alleinerbin herrscht angesichts dieses Vorstoßes Gelassenheit: Man sei sicher, dass Gurlitt die Stiftung "aufgrund klarer Überlegungen und aus wohl bedachten Motiven als Erbin eingesetzt habe", so der Stiftungsratspräsident am Montag. Möglicherweise wird nun doch das Nachlassgericht entscheiden müssen.
Anne-Christine Herr, Trotz Annahme der Erbschaft: NS-Raubkunst kommt nicht ins Kunstmuseum Bern . In: Legal Tribune Online, 26.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13923/ (abgerufen am: 01.07.2024 )
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