Der Grundrechte-Report 2014: Das globale Grundgesetz

von Annelie Kaufmann

03.06.2014

2/2: (Kein) einheitliches Grundrecht auf Existenzminimum

Der Europäische Gerichtshof hatte im vorigen Jahr beschlossen, dass minderjährige Flüchtlinge besser geschützt werden müssen. So sollte das Asylverfahren möglichst schnell und in dem Mitgliedstaat stattfinden, in dem sich der Minderjährige aufhält. Seit Anfang dieses Jahres gilt jedoch eine neue Fassung der Dublin-Verordnung, die zahlreiche Kinder und Jugendliche aus der Regelung ausnimmt. Anders als es das EuGH-Urteil vorsah, können diese damit wieder in den Mitgliedstaat abgeschoben werden, in dem sie zuerst europäischen Boden betreten haben. Ein Fall, der nur auf EU-Ebene sinnvoll gelöst werden kann. Steven betont aber: "Natürlich ist das Problem, dass auf europäischer Ebene gemeinsam die Flüchtlingsabwehr beschlossen wird. Es ist aber auch so, dass Deutschland großen Druck ausübt, damit die Abwehr funktioniert."

Abgewehrt werden sollen auch bestimmte Gruppen von innereuropäischen Migranten, kritisiert Steven. "Flüchtlinge aus Rumänien und Bulgarien landen hier auf der Straße, sie bekommen noch nicht mal eine Unterkunft. Ihnen wird jede Form der Unterstützung versagt, dabei haben sie als EU-Bürger durchaus bestimmte Rechte", so Steven. Ob EU-Ausländern Hartz IV-Leistungen zustehen, ist umstritten. Das Bundessozialgericht hat den Europäischen Gerichtshof eingeschaltet, ein Urteil steht noch aus. Katharina Stamm, Referentin für Migrationsrecht bei der Diakonie Deutschland, betont im Grundrechte-Report, ein menschenwürdiges Existenzminimum müsse für jeden Menschen gelten, der in Deutschland lebt, für EU-Bürger ebenso wie für Asylsuchende. Im Moment gilt es aber eher als wahrscheinlich, dass der EuGH keine entsprechenden Ansprüche gewährt. Ein einheitliches Grundrecht auf ein Existenzminimum kennt das EU-Recht nicht.

BVerfG und EuGH: Wo verlaufen die Kompetenzen?

Brisant ist für die Frage nach einer wirksamen Durchsetzung der Grundrechte auch die Abgrenzung der Kompetenzen von Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof. Letzterer hatte in einem Fall um Steuerhinterziehung, den ein schwedisches Strafgericht vorgelegt hatte, die Bedeutung der EU-Grundrechtecharta gestärkt – und damit auch seine eigenen Kompetenzen ausgeweitet. Die Entscheidung hatte in Deutschland für Diskussionen gesorgt und die Frage angeheizt, wo die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts endet und die des EuGH beginnt. Nimmt die Bedeutung des Grundgesetzes ab, wenn die EU-Grundrechtecharta an Bedeutung gewinnt? Steven sieht den Machtkampf zwischen den Gerichten auch als Chance: "Die Perspektive sind doch die Menschenrechte. Und eine Diskussion zwischen dem höchsten deutschen Gericht und dem höchsten europäischen Gericht könnte vielleicht dazu führen, dass sowohl das Grundgesetz wie auch die Grundrechtecharta menschenrechtsgemäßer interpretiert werden – wenn durch Bürgerrechtsorganisationen entsprechend Druck erzeugt wird."

Das ist der Druck, den der Grundrechte-Report aufrechterhalten will: "In diesem Jahr ist schon so viel passiert, was wir in den nächsten Bericht reinschreiben werden", sagt Steven. "Zum Beispiel der Versuch, Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, um Flüchtlinge leichter abschieben zu können. Oder die Polizeigewalt auf einer Versammlung in Demmin am 8. Mai. Oder die Diskriminierung von Kopftuchträgerinnen im Arbeitsleben." Nach der Präsentation ist also vor dem nächsten Grundrechte-Report.

Zitiervorschlag

Annelie Kaufmann, Der Grundrechte-Report 2014: . In: Legal Tribune Online, 03.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12159 (abgerufen am: 02.11.2024 )

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