Bundesverfassungsgericht: AfD-Klagen auf Aus­schuss­vor­sitze im Bun­destag bleiben erfolglos

von Dr. Markus Sehl

18.09.2024

Der AfD-Fraktion steht im Bundestag kein Recht auf die Besetzung von Ausschussvorsitzposten zu. Das BVerfG sah keine Verletzung des Rechts auf Gleichbehandlung aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG. Es betonte die Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments.

Der AfD-Fraktion steht im Bundestag kein Recht auf die Besetzung von Ausschussvorsitzposten zu. Diese Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am Mittwoch verkündet. Die Besetzung sei Sache der Selbstorganisation des Parlaments, sagte die Vorsitzende des Zweiten Senats Doris König. Der Senat hatte zwei Verfahren verbunden. Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.

Im ersten Verfahren (Az. 2 BvE 10/21) geht es grundsätzlich darum, ob die AfD-Fraktion einen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf hat, über einen der vielen Ausschüsse Vorsitz zu führen. Dann müsste geklärt werden, ob und wann die von der Mehrheit der Ausschussmitglieder verweigerte Wahl einer ihrer Kandidaten die AfD in diesem Recht verletzt. Im zweiten Verfahren (Az. 2 BvE 1/20) wendet sich die Partei konkret gegen die Abwahl von Brandner im Rechtsausschuss 2019.

Spiegelbildliche Besetzung gilt für Ausschüsse, aber nicht für Vorsitzposten

Der Zweite Senat konnte durch die per Mehrheitswahl verweigerten Posten keine Verletzung des Rechts auf Gleichbehandlung der Abgeordneten der Fraktionen aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Grundsatz der fairen und loyalen Auslegung und Anwendung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GO-BT) erkennen. Zwar könne sich die AfD-Fraktion auf das Recht auf Gleichbehandlung bei der Besetzung der Ausschussvorsitze stützen. Dass dafür aber Wahlen durchgeführt und ein einmal gewählter Vorsitzender mit Mehrheit vom Vorsitz des Rechtsausschusses wieder abgewählt wurde, das bewege sich alles noch im Rahmen der dem Bundestag zustehenden Geschäftsordnungsautonomie (Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG). 

Die Prüfung des Gerichts war hierbei eingeschränkt. Da es in dem Rechtsstreit nicht um spezifische Statusrechte der Abgeordneten und Fraktionen ging, sondern allein um die Teilhabe an erst durch die Geschäftsordnung eingeräumten Rechtspositionen, war der alleinige verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab das Willkürverbot.

Zum von der AfD gerügten Recht auf Gleichbehandlung der Abgeordneten und damit Fraktionen im Parlament, führte das BVerfG aus: Die Mitwirkungsbefugnis der Abgeordneten erstreckte sich auch auf die Ausschüsse des Deutschen Bundestages. Grundsätzlich müsse jeder Ausschuss, soweit er Aufgaben des Plenums übernimmt beziehungsweise dessen Entscheidungen vorbereitet, "ein verkleinertes Abbild des Plenums sein und in seiner Zusammensetzung dessen Zusammensetzung widerspiegeln". Das ist gegenwärtig auch gewährleistet, AfD-Abgeordnete sitzen anteilig in den Ausschüssen und können dort an der Gesetzgebung mitwirken. Aber: Der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit gelte nicht für Gremien und Funktionen, die lediglich organisatorischer Art sind, so das BVerfG. Das trifft etwa auf die Ausschussvorsitzpositionen zu. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG begründet nach Auffassung des Zweiten Senats folglich für sich genommen keinen Anspruch auf Zugang zu Leitungsämtern, bei denen es nicht zur inhaltlichen Vorformung der parlamentarischen politischen Willensbildung kommt. 

Wann darf ein Ausschussvorsitzender wieder abgewählt werden?

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Dass es derzeit in der Geschäftsordnung des Bundestag dafür keine Regelung gibt, hat das BVerfG ausdrücklich nicht beanstandet. Die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats konnten in den tatsächlichen Abläufen bei der Abwahl Brandners ein geordnetes Verfahren und eine ausreichende sachliche Begründung erkennen. Die AfD-Mitglieder hätten rechtzeitig von dem Antrag und den Gründen erfahren, im Ausschuss  Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt. Damit sei dem Recht auf ein faires Verfahren als Ausdruck einer fairen und loyalen Anwendung der Geschäftsordnung ausreichend Rechnung getragen worden.

Keine näheren Aussagen machten die Richterinnen und Richter zu der Frage, ab wann ein Abwahlvorhaben begründet ist. Das war Konsequenz des in dieser Frage zurückgenommenen Prüfungsmaßstabs. Dass BVerfG greift hier nicht in das Kerngeschäft der Parlamentarier ein, macht dort keine Vorgaben. Es beschränkt sich auf eine Willkürkontrolle. Damit reichten aber um der Prüfung stand zu halten, sachliche Gründe aus. Das BVerfG kommt auf die Irritationen zurück, die Aussagen Brandners in der (Fach-)Öffentlichkeit ausgelöst hatten und das Vertrauen der übrigen Ausschussmitglieder in Wahrnehmung seiner Vorsitzendenrolle erschütterte. "Die Ausschussmehrheit hatte erkennbar das Vertrauen in den Ausschussvorsitzenden und seine Fähigkeit zur amtsangemessenen Amtsführung verloren", heißt es in dem Urteil. "Eine gedeihliche und effektive Zusammenarbeit im Ausschuss war damit aus ihrer Sicht nicht mehr möglich."

Wie es zu dem Rechtsstreit kam

Im Herbst 2017 sicherte sich die AfD zum ersten Mal den Einzug in den Bundestag. Danach konnte die Fraktion den Vorsitzenden für drei der zahlreichen Ausschüsse im Parlament stellen. Im Haushalts-, Tourismus- und Rechtsausschuss. Der Rechtsanwalt und AfD-Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner war keine zwei Jahre Vorsitzender des Rechtsausschusses. Dann wurde er Ende 2019 mit den Stimmen aller Nicht-AfD-Ausschussmitglieder geschlossen wieder abgewählt. Ein bislang einmaliger Vorgang in der Bundestagsgeschichte.

Die Ausschüsse sind die Werkstätten der parlamentarischen Arbeit. Hier wird die Sacharbeit des Bundestags im Detail erledigt. Die Abgeordneten diskutieren und arbeiten an Gesetzesentwürfen, führen Anhörungen mit Expertinnen und Experten durch. Schließlich bereiten sie dadurch die Beschlussfassung des Parlaments vor. Derzeit gibt es 27 Ausschüsse zu diversen politischen Themengebieten.

Die Ausschussvorsitzenden haben eine wichtige Position: Sie bereiten die Sitzungen vor und leiten sie. Außerdem sind sie das Gesicht des Ausschusses nach außen. Ihre Rolle hat also etwas Überparteiliches – sie repräsentieren. Gesetze oder Beschlüsse im Alleingang beeinflussen können sie allerdings nicht; auch sie sind auf entsprechende Mehrheiten im Ausschuss angewiesen. Ihre Stimme zählt nicht mehr als die der anderen. Sie haben keine besonderen Kontrollrechte im Ausschuss. 

Ausschüsse ohne Vorsitz

Wer in den Ausschüssen Vorsitzender und Stellvertreter wird, handeln die Fraktionen untereinander aus. Schließlich fallen diese Fragen in das Selbstorganisationsrecht des Parlaments (Art. 40 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz). Das Grundgesetz enthält dazu keine näheren Vorgaben. Rahmenbedingungen sind in der Geschäftsordnung festgehalten. Bisher konnten die Fraktionen dabei auf Konsens vertrauen, auf einen echten "Wahlvorgang" in den Ausschüssen kam es nicht an.

Die AfD wollte in der laufenden Legislaturperiode die Vorsitzposten in den Ausschüssen für Inneres und Heimat, für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und des Gesundheitsausschusses besetzen. Die anderen Fraktionen und ihre Mitglieder ließen die AfD-Kandidaten aber ein ums andere Mal durchfallen. Die Ausschüsse haben derzeit keinen Vorsitzenden, die Aufgabe nehmen Stellvertreter aus anderen Fraktionen wahr.

 

*Beitrag in der Version vom 18.09.2024, 12:43 Uhr; korrigiert wurde, dass die AfD-Fraktion in der 19. Wahlperiode zunächst drei und nicht nur einen Ausschussvorsitzenden stellte.

Zitiervorschlag

Bundesverfassungsgericht: . In: Legal Tribune Online, 18.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55436 (abgerufen am: 18.09.2024 )

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