Auswertung von Datenträgern, verlängerte Abschiebehaft und Anfechtung der Vaterschaft: Das Gesetz zur Ausreisepflicht macht einen Rundumschlag im Asyl- und Aufenthaltsrecht. Der DAV hat verfassungsrechtliche Bedenken, so Marcel Keienborg.
Der Bundestag hat am vergangen Freitag das Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht verabschiedet. Wohlfahrtsverbände und Menschenrechtsorganisationen haben das Vorhaben scharf kritisiert, darunter Pro Asyl, Amnesty International der Paritätischen Wohlfahrtsverband.
Doch auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) hatte schon vor der Verabschiedung klare Worte gegen die nun mögliche Auswertung der Datenträger gefunden. Die Mitglieder des Ausschuss Gefahrenabwehrrecht hatten "tiefgreifende verfassungsrechtliche Bedenken" an dem Vorhaben geäußert. Sie seien in der vorgesehenen Form abzulehnen, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei nicht mehr gewahrt.
Pflicht zur Herausgabe von Datenträgern
Die Kritik richtet sich vor allem gegen die Erweiterung des Katalogs der Mitwirkungspflichten. Mit der dem Gesetz sind Flüchtlinge im Asylverfahren künftig nach § 15 Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) verpflichtet, Datenträger herauszugeben. Kommt der Ausländer dieser Pflicht nicht nach, so darf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ihn durchsuchen, § 15 Abs. 4 AsylG.
Neu eingeführt wird auch § 15a AsylG, der hinsichtlich der Auswertung der Datenträger auf §§ 48 Abs. 3a S. 2 bis 8, 48a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) verweist. Dort war bereits, von der Öffentlichkeit kaum beachtet, im August 2015 eine ähnliche Regelung aufgenommen worden. Seitdem ist es den Ausländerbehörden möglich, zur Vorbereitung einer Abschiebung Datenträger von Ausländern zu durchsuchen.
Da das Gesetz von "Datenträgern" spricht, sind die entsprechenden Befugnisse des BAMF also nicht etwa auf Mobiltelefone beschränkt. Ausgewertet werden dürfen ebenso etwa Festplatten, USB-Sticks oder Speicherkarten. Nach Einschätzung des DAV sei der Begriff des "Auswertens" dahin zu verstehen, dass es dem BAMF erlaubt werde, die Daten auf diesen Medien vollständig auf eigenen Server zu kopieren. Ein Richtervorbehalt ist gerade nicht vorgesehen, das Gesetz verlangt für die Auswertung der Daten lediglich die Befähigung zum Richteramt. Sie darf also durch jeden Volljuristen durchgeführt werden.
Auswertung als Standardmaßnahme
Die Neuregelung im Asylgesetz lässt befürchten, dass die Auswertung der Datenträger zur Standardmaßnahme im Asylverfahren wird. Es könnte gut die Hälfte der Flüchtlinge betroffen sein, also nahezu alle, die nicht etwa durch Vorlage eines Passes alle Zweifel an ihrer Identität ausräumen können.
Dies könnte praktisch darauf hinauslaufen, dass höchstpersönliche Daten zehntausender Menschen auf Servern des BAMF gespeichert werden. Diese Menschen stehen nicht etwa unter dem Verdacht, eine Straftat begangen zu haben, sondern haben lediglich einen Asylantrag gestellt. So wird verständlich, dass der DAV insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Neuregelungen anmeldet. Dies auch, da § 8 Abs. 3 AsylG auch die Befugnis zur Übermittlung von Daten an andere Behörden enthält. Diese Regelung wird durch die Neufassung dahingehend erweitert, dass eine solche Übermittlung zukünftig auch „zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib oder Leben des Asylbewerbers oder von Dritten“ möglich sein soll.
Abschiebehaft für Gefährder
Ein weiterer Schwerpunkt des Gesetzes liegt in der Einführung gefahrenabwehrrechtlicher Kompetenzen in das Aufenthaltsrecht. Dazu gehören etwa neue Meldepflichten der Geduldeten und die "elektronische Fußfessel" für Gefährder. Auch insoweit gibt es Kritik in Hinblick auf die Frage der Verhältnismäßigkeit, nicht nur, weil das Gesetz eine Definition des Begriffs des Gefährders gänzlich vermissen lässt.
Schon bisher gibt es die Möglichkeit, nach § 62 Abs. 3 AufenthG Abschiebungshaft anzuordnen, die Voraussetzungen sind allerdings eng. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat bereits entschieden, dass eine derartige Sicherungshaft lediglich der Sicherung der Abschiebung dienen dürfte (BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 2007, Az. 2 BvR 2106/05). Nun kann Haft zur Sicherung der Abschiebung nach dem neuen § 2 Abs. 14 Nr. 5a AufenthG auch verhängt werden, wenn von dem Betroffenen "eine erheblich Gefahr für Leib oder Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit" ausgeht. Dabei geht es nach dem Wortlaut indes eher um Gefahrenabwehr als um die Sicherung der Abschiebung, zumal durch Änderungen des § 62 AufenthG in diesen Fällen auch eine längere Inhaftierung möglich werden soll. Ob diese Ausweitung noch den Vorgaben des BVerfG entsprechen kann, ist mehr als zweifelhaft.
Das Gesetz sieht ferner eine Erhöhung der zulässigen Dauer eines Ausreisegewahrsams von vier auf zehn Tagen vor. Diese Erhöhung ist willkürlich, da ein sachlicher Grund nicht erkennbar ist.
BT verabschiedet "Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht": . In: Legal Tribune Online, 25.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23024 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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