Regierungsentwurf zur Geldwäsche im Strafrecht: Inkri­mi­nierte Scho­ko­lade

von Prof. Dr. Björn Gercke und Prof. Dr. Matthias Jahn und Dr. Corinna Reckmann

19.10.2020

Die GroKo plant eine massive Ausweitung des Geldwäsche-Straftatbestandes, die Kriminalisierung von alltäglichem Verhalten droht. Björn Gercke, Matthias Jahn und Corinna Reckmann erläutern, warum das Gesetz weitgehend misslungen ist.

Nach Veröffentlichung des Referentenentwurfs des Gesetzes zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche im August hagelte es herbe Kritik, vor allem an dem Plan der vollständigen Streichung des bisherigen Vortatenkataloges. Seit Mittwoch liegt nun der Regierungsentwurf vor. Er nimmt von dieser Kritik keine Notiz, sondern will sogar wieder an der Strafbarkeit der bloß leichtfertigen Geldwäsche festhalten. Weitere Streichungen entkriminalisierender Entwurfsregelungen zugunsten von Sicherheitsinteressen bis zum Ende der europarechtlichen Umsetzungsfrist in weniger als zwei Monaten scheinen nicht ausgeschlossen.

Man stelle sich folgendes Szenario wie aus einem Abenteuerroman vor: die 13-jährige Schülerin stiehlt beim Händler um die Ecke eine Tafel Schokolade, um das Herz eines 14-jährigen Mitschülers zu gewinnen, der die Tat aus sicherer Entfernung beobachtet. Dass die 13-jährige wegen Strafunmündigkeit den Fängen staatlicher Sanktionierung nach dem Strafgesetzbuch (StGB) noch zu entkommen vermag, ist selbst in ihrer Peergroup wohl bekannt. Was aber würden Jugendliche sagen, erführen sie, dass sich der 14-jährige Angebetete nach den Plänen der Regierungskoalition ab dem 3.12.2020 wegen Geldwäsche strafbar machen könnte, nähme er das Geschenk an?

Denn ab diesem Stichtag, zu dem die insgesamt schon 6. EU-Richtlinie zur Geldwäsche umzusetzen ist, soll der strafrechtliche Geldwäscheparagraph auf einen Vortatenkatalog verzichten, so dass auch Bagatelldelikte wie der Diebstahl geringwertiger Sachen oder Leistungserschleichung nach § 265a StGB ("Schwarzfahren") taugliche Anknüpfungspunkte werden. Und verzichtet man, wie bei den Anschlussdelikten des StGB generell, auf das Erfordernis schuldhafter Begehung der Vortat ("limitierte Akzessorietät"), ist die Ahndung des jugendlichen Delinquenten programmiert (§ 261 Abs. 1 Nr. 3 RegE-StGB in der Variante des "sich-Verschaffens" i.V.m. § 1 Abs. 2 JGG).

Die Norm wurde 1992 geschaffen, um Organisierte Kriminalität (OK) zu bekämpfen, wie es von Anfang an markig hieß. Doch wie geht unser Beispielsfall zusammen mit dem aktuellen Regierungsentwurf, der ja ebenfalls OK- und Terrorismusverfolgung auf die Fahne schreibt? Die Antwort ist: gar nicht.

Legitimität und das "Fischer-Paradoxon"

Die Abschaffung des bisherigen selektiven Vortatenkatalogs zugunsten der Einbeziehung sämtlicher Straftaten (All-Crimes-Ansatz) als tauglicher Geldwäschevortaten führt zu einer enormen Ausdehnung der Strafbarkeitszone weit in den Bereich alltäglicher Kriminalität. "Freuen" dürften sich die ohnehin schon mit den Vortaten überlasteten Strafverfolgungsorgane und auch viele Kleinstkriminelle (z.B. "Finanzagenten"), die sich demnächst dem ganz großen Besteck strafprozessualer Eingriffsinstrumente gegenübergestellt sehen könnten. Von der eigentlichen Stoßrichtung der Geldwäschestrafbarkeit - Bekämpfung der OK und das Verhindern von Terrorismusfinanzierung - ist kaum noch etwas wahrzunehmen.

Zudem hat die Vergangenheit gezeigt, dass die kontinuierliche Verschärfung der Geldwäschestrafbarkeit keine empirisch messbaren Erfolge bei der Eindämmung dieses Phänomenbereichs der Kriminalität nach sich gezogen hat. Kritiker wie der Strafrechtskommentator Thomas Fischer hatten aufgezeigt, dass sich die vordergründige Legitimität weiterer Verschärfungen gerade aus der Erfolglosigkeit des gesamten Konzepts speist: "Je erfolgloser die 'Bekämpfung' bleibt, desto größer erscheint zwangsläufig die zu 'bekämpfende' Gefahr. So treibt das Konzept das rechtsstaatliche Strafrechtssystem vor sich her."

Gleichwohl überrascht es nicht, dass – trotz zahlreicher Einwände gegen den All-Crimes-Ansatz – im Regierungsentwurf an der neuen Grundkonzeption festgehalten wird. Das BMJV hatte bereits von Anfang an auch eingeräumt, dass diese Weichenstellung vom Europarecht eigentlich nicht veranlasst ist. Enttäuschend ist jedoch, dass jene Stimmen, die die Beachtung einer verfassungsrechtlichen Balance angemahnt hatten, nicht gehört wurden.

Doch ist die Frage, ob der von der Regierungskoalition geplante § 261 RegE-StGB unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten noch richtig austariert ist, nunmehr drängender denn je. Es geht darum, ob ausreichende Gegengewichte zu der vollständigen Aufgabe des Vortatenkataloges geschaffen wurden, um einer gänzlich ausufernden, in einem dem ultima-ratio-Prinzip verpflichteten Rechtsgebiet nicht mehr gebotenen Strafbarkeit entgegenzuwirken.

Kriminalisierung von Anwälten, die nicht Strafverteidiger sind?

Letzteres ist misslungen. Zwar sieht der Regierungsentwurf einige strafbarkeitseinschränkende "Maßnahmen" vor, etwa den Wegfall der Erweiterungen des Tatobjektbegriffes bei bestimmten Steuerdelikten, die Ausweitung des Ausschlussgrundes des straflosen Vorerwerbs eines Dritten, die Streichung der Mindeststrafe und die symbolträchtige Aufnahme des sogenannten Strafverteidigerprivilegs.

Letzteres aber hat allerdings seit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus 2003 (BVerfGE 110, 226) für diese Berufsgruppe ohnehin nur noch deklaratorischen Charakter. Bei der Aufnahme dieses Privilegs handelt sich ersichtlich um eine Zuckerbrotgabe derer, die die Peitsche eines Straftatbestandes um jeden Preis befürworten. Nach dem Motto: Das "kostet nichts" und sieht gut aus.

Dass die Regelung in § 261 Abs. 1 Satz 3 RegE-StGB jedoch die Frage aufwirft, ob aus ihr nicht der Umkehrschluss für Rechtsanwälte, die im Zivil- und Verwaltungsrecht tätig sind, naheliegt, genauso wie für Insolvenzverwalter, Steuerberater – soweit sie nicht nach § 392 AO zum Verteidiger gewählt sind – und Notare, war bislang noch nicht Thema. Doch mit dem kodifizierten Strafverteidigerprivileg steht eine potentielle Neukriminalisierung der Rechtsberatung jenseits der Strafverteidigung im Raum. Hier wird der Rechtsausschuss des Bundestages Farbe bekennen müssen.

Viel Schatten, kaum Licht

Wo viel Schatten ist, muss man das Licht suchen. Ein begrüßenswertes Zugeständnis stellt die jetzt geplante (Wieder-)Aufnahme der strafbefreienden Selbstanzeige dar, die im geltenden § 261 StGB in Absatz 9 geregelt ist, im Referentenentwurf jedoch weggefallen war. Die Selbstanzeige mit strafbefreiender Wirkung ist aber offenbar Gegenstand eines Tauschgeschäfts geworden: Während im Referentenentwurf aus Gründen der Verhältnismäßigkeit noch der Wegfall der leichtfertigen Geldwäsche vorgesehen war, ist die Leichtfertigkeit jetzt mit § 261 Abs. 6 StGB-RegE wieder zurück im Spiel. Das ist dann unerklärlich, wenn man bedenkt, dass noch im Referentenentwurf darauf hingewiesen wurde, der Leichtfertigkeitstatbestand sei bei Abschaffung des Vortatenkataloges entbehrlich.

Mit Recht hieß es dort, dass mit dem All-Crimes-Ansatz das "bisher angeführte Bedürfnis für den Leichtfertigkeitstatbestand weitgehend" wegfalle und "gegenüber der künftig sehr weitreichenden Vorsatzstrafbarkeit [...] die Ausweitung der Strafbarkeit auf das leichtfertige Verkennen der rechtswidrigen Herkunft eines Gegenstands [...] eine Kriminalisierung alltäglichen Verhaltens befürchten" lasse. So soll es jetzt kommen. Zudem hatte man im Referentenentwurf noch die Gefahr der Unverhältnismäßigkeit der Regelung richtig erkannt: "Die […] erhebliche Ausweitung der Norm macht es aus Gründen der Eingrenzung und Ausgewogenheit der Strafandrohung notwendig, die weiteren Voraussetzungen der Regelung zu präzisieren und einzuschränken. Insbesondere kann nicht an der Strafbarkeit der bloß leichtfertigen Geldwäsche festgehalten werden."

Bessere Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden wäre sinnvoller

Im Regierungsentwurf wird auf diese nur zwei Monate alten, zutreffenden Überlegungen mit keinem Wort mehr eingegangen. Vielmehr heißt es jetzt schonungslos ehrlich: "Infolge des Verzichts auf einen selektiven Vortatenkatalog wird der Anwendungsbereich der leichtfertigen Geldwäsche jedoch erheblich ausgeweitet." Das wird man beim Bund Deutscher Kriminalbeamter gerne lesen – dieser hatte sich vehement für die Beibehaltung der Leichtfertigkeitsstrafbarkeit eingesetzt. Differenzierter hatte sich der Deutsche Richterbund geäußert. Kein Wunder, dort, in der Justiz, müsste vor allem die Staatsanwaltschaft unter ganz erheblichem Arbeitseinsatz die Überfülle der Spreu über die Opportunitätsvorschriften der §§ 153 ff. der Strafprozessordnung vom raren Weizen trennen.

Weitaus effektiver als die Pönalisierung leichtfertiger Verschleierungshandlungen in Bezug auf bemakelte Schokoladentafeln wäre eine angemessene personelle und finanzielle Ausstattung der beteiligten Behörden wie der Financial Intelligence Unit (FIU) des Zolls, die bekanntlich mit der Bearbeitung der Verdachtsmeldungen derart in Verzug ist, dass deutsche Staatsanwaltschaften bereits wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt ermitteln, sowie der Strafjustiz. Hier aber macht sich der jetzt vorliegende Entwurf aus Berlin einen schlanken Fuß.

Dr. Björn Gercke ist Strafverteidiger in Köln und Honorarprofessor an der dortigen Universität, Dr. Matthias Jahn ist Direktor des Instituts für das Gesamte Wirtschaftsstrafrecht (IGW) der Goethe-Universität Frankfurt und Richter am dortigen Oberlandesgericht; beide haben an der Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum Referentenentwurf mitgewirkt. Dr. Corinna Reckmann ist Strafverteidigerin in Köln.

Zitiervorschlag

Regierungsentwurf zur Geldwäsche im Strafrecht: . In: Legal Tribune Online, 19.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43140 (abgerufen am: 01.11.2024 )

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