Die Bild-Zeitung durfte nach den Ausschreitungen beim Hamburger G20-Gipfel mit Fotos von "G20-Verbrechern" nach Zeugen der Vorfälle suchen, entschied der BGH. Eine richtige Entscheidung, wie Martin W. Huff analysiert.
Nach den Plünderungen und Verwüstungen während des G20-Gipfels im Juli 2017 in Hamburg hatte die Bild-Zeitung mit einem "Fahndungsaufruf" Bilder von an den Ausschreitungen beteiligten Personen veröffentlicht und um Unterstützung der Polizei bei der Identifizierung der Betroffenen gebeten. Die Klage einer auf den Bildern zu sehende Frau gegen das Boulevardblatt auf Unterlassung hatte zwar in den Vorinstanzen Erfolg, der Bundesgerichtshof (BGH) aber wies die Klage in einer am Mittwoch veröffentlichten Entscheidung mit deutlichen Worten ab (Urt. v. 23.09.2020, Az. VI ZR 449/19).
Als die Bild-Zeitung am 10. Juli 2017 nach den schweren Krawallen rund um den G20-Gipfel einen großen Beitrag mit der Überschrift auf der Titelseite "Gesucht – wer kennt diese G20-Verbrecher?" und im Innenteil den Beitrag "Zeugen gesucht! Bitte wenden Sie sich an die Polizei" mit insgesamt 13 Bildern mit unterschiedlichen Bildunterschriften veröffentlichte, sorgte dies für erhebliche Aufmerksamkeit, weil solche flächendeckenden Aufrufe neu waren. Die Meinungen, ob dies zulässig sei oder nicht, gingen auch in der juristischen Fachwelt erheblich auseinander. Allerdings konnte die Polizei wohl aufgrund des Aufrufes einige auf den Bildern gezeigte Personen tatsächlich ermitteln.
"Für Frauen und Bekannte erkennbar"
Auf einem der Bilder waren Personen vor einem geplünderten Drogeriemarkt abgebildet. Darunter auch die Klägerin. Auf einem großen Bild ist sie (nicht vermummt) in leicht gebückter Haltung und gesenktem Kopf zu sehen. Auf einem in das Bild eingeblendeten kleineren Bild ist die Klägerin von vorne und schräg oben mit etwa zur Hälfte verdecktem Gesicht abgebildet. Der dazu gehörende Text lautet: "Der Wochenend-ein Klau? Wasser, Süßigkeiten, Kaugummis erbeutet die Frau im pinkfarbenen T-Shirt im geplünderten Drogeriemarkt". Die Klägerin bestreitet nicht, die Gegenstände an sich genommen zu haben, ein Ermittlungsverfahren gegen sie wurde gemäß § 153 Abs. 1 Strafprozessordnung (Absehen von der Verfolgung bei Geringfügigkeit) eingestellt. Sie ist aber der Auffassung, dass die Bild-Zeitung nicht berechtigt war, diese Bilder von ihr, auf der sie für einen bestimmten Personenkreis erkennbar ist, zu veröffentlichen.
Das Landgericht und Oberlandesgericht Frankfurt am Main hatte ihrer Klage zunächst noch stattgegeben. Beide Instanzen hatten argumentiert, dass der private Fahndungsaufruf der Bild-Zeitung unzulässig gewesen sei, weil die gesetzlichen Vorgaben für eine öffentliche Fahndung durch die zuständigen Behörden nicht vorlägen. Auf die Revision der Bild-Zeitung hin hat der BGH nunmehr die Klage abgewiesen.
Der für diese Fragen zuständige VI. Zivilsenat des BGH bewertete die Berichterstattung der Bild-Zeitung grundsätzlich als zulässig. Im Rahmen seines immer wieder herangezogenen abgestuften Schutzkonzeptes bei der Frage, ob es sich um ein Ereignis der Zeitgeschichte handelt oder nicht, prüfte der BGH zunächst, ob es sich überhaupt um ein Bildnis handelt, weil ja die Klägerin nicht eindeutig zu erkennen ist. Diese Frage bejahte das Gericht: Es handele sich um ein Bildnis, das vom Persönlichkeitsrecht der Frau umfasst sei, weil sie für ihre Freunde und Bekannte dennoch anhand ihrer Körperform, Körperhaltung, Frisur und Gesichtsform erkannt werden könnte.
BGH sieht "Bildnis der Zeitgeschichte"
Im nächsten Prüfungsschritt kommt der BGH dann zum Ergebnis, dass es sich um ein Bildnis aus dem "Bereich der Zeitgeschichte" handelt. Einer ergänzenden Prüfung, ob eine Bebilderung eines Beitrags in den Medien überhaupt veranlasst sei, bedürfe es dabei nicht. Die Berichterstattung über ein Fehlverhalten, unter anderem der Klägerin, sei ein zuverlässiger Gegenstand der Berichterstattung. Es komme dabei auch nicht darauf an, ob es sich um Straftaten handelt.
Die Bild-Zeitung sei nach Auffassung des BGH auch berechtigt gewesen, ihren Text mit den entsprechenden Bildern zu versehen, auch wenn dort die Klägerin zu sehen ist. Die Bilder zeigten den von außen fotografierten Eingangsbereich eines Drogeriemarkts, dessen Glastüren und Schaufenster eingeschlagen waren. Vor dem Drogeriemarkt liegen dessen Waren auf dem Boden verstreut, zwischen denen sich verschiedene Personen befinden.
Der BGH stellt klar, dass der gesamten Berichterstattung ein erheblicher Informationswert zukomme. Die massiven Ausschreitungen anlässlich des Gipfels in Hamburg sowie deren Begleitumstände seien unter verschiedenen Gesichtspunkten von sehr hohem gesellschaftlichem Interesse und Gegenstand öffentlicher Diskussionen gewesen. Nach Meinung des Gericht betrifft auch die von der Bild-Zeitung thematisierten Aspekte, welche Personen sich an den Ausschreitungen beteiligten, wie sie sich verhielten, welche Auswirkungen dies hatte und dass die Polizei bei der Aufklärung des Geschehens um die Unterstützung der Öffentlichkeit bat.
BGH setzt seine medienfreundliche Rechtsprechung fort
Die von dem Boulevard-Blatt verwendeten Fotografien leisteten einen kontextgerechten Beitrag, den die Klägerin auch hinnehmen müsse, obwohl sie unter Umständen auch auf dem Bild von einem kleinen Personenkreis hätte erkannt werden können. Eine Stigmatisierung, so stellt der Senat fest, sei mit der Bildveröffentlichung nicht verbunden gewesen, denn das Bild sei nicht geeignet gewesen, die Klägerin einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen.
Darüber hinaus, so der BGH, sei aus den Vorschriften des Kunsturhebergesetzes nicht herauszulesen, dass eine solche Veröffentlichung von Bildern nur dann erfolgen darf, wenn die Voraussetzungen für ein Fahndungsaufruf durch öffentliche Stellen erlaubt gewesen sei. Die Medien hätten hier eine andere Stellung und durften anders agieren im Bereich des Ereignisses der Zeitgeschichte, als dies bei öffentlichen Einrichtungen der Fall sei.
Der BGH setzt mit diesem Urteil seine medienfreundliche Rechtsprechung fort. Bereits im Februar hatte das Gericht eine Bildberichterstattung von einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht München ("Münchner Miethaie") zugelassen (Urt. v. 17.12.2019, Az. VI ZR 504/18). Und auch in vorliegenden Fall liegt der BGH richtig: Es handelte sich tatsächlich bei der gesamten Berichterstattung über den G20-Gipfel um ein Ereignis der Zeitgeschichte, bei dem auch die Wort Berichterstattung mit Bildern versehen werden durfte. Dass die Klägerin unter Umständen von einem engen Personenkreis hätte identifiziert werden können, muss hier, so der BGH zu Recht, hinter dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit zurückstehen. Wer in seiner Sozialsphäre in Gefahr begibt - wie hier durch die Mitnahme von Waren aus einem geplünderten Drogeriemarkt geschehen - muss damit rechnen, dass dieses Verhalten auch entsprechende Konsequenzen haben kann.
Der Autor ist Rechtsanwalt in der Kanzlei LLR in Köln und Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln.
BGH zur Bildberichterstattung: . In: Legal Tribune Online, 14.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43104 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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