Schlussanträge vor dem EuGH: Dublin-III-VO gewährt Asyl­be­wer­bern Rechte

von Dr. Timo Tohidipur

21.06.2017

2/2: Wie Zuständigkeiten und Fristen geregelt sind

Grundsätzlich bleiben dem Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird, gemäß Art. 21 Dublin-III-VO drei Monate Zeit, um die Zuständigkeit zu klären. Liegt gar – wie im hiesigen Fall – eine Eurodac-Treffermeldung vor, muss die Zuständigkeit innerhalb von zwei Monaten geklärt werden. Diese Fristen können nicht addiert oder aufgerechnet werden, wie die Generalanwältin klarstellt. Verstreichen diese Fristen ohne Aktion, bleibt der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Schutzsuchende sich nach Antragstellung gerade befindet. Für den Beginn der Zweimonatsfrist ist damit der gemeldete Eurodac-Treffer am 19. August 2016 maßgeblich.

Die möglichst schnelle Klärung der Zuständigkeit ist aus der Sicht des Flüchtlingsrechts zur hinreichenden Gewährung von Schutz sehr wichtig. So war das Dublin System ursprünglich etabliert worden, um sogenannte "refugees in orbit" zu verhindern, also Schutzsuchende, für die sich kein Staat zuständig fühlt. Ein mehrjähriger Streit darüber, welcher Staat denn nun für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, sollte durch das Dublin-System gerade vermieden werden. Daher verlangen die Erwägungsgründe 4 und 5 der Dublin-III-VO ausdrücklich, dass es klare und praktikable Regelungen geben muss, die eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats anhand gerechter Kriterien ermöglichen.

Sharpston betont in ihren Schlussanträgen die zentrale Bedeutung der in der Dublin-III-VO vorgesehenen Fristen für die Rechte der Schutzsuchenden. Die Verordnung sei kein rein zwischenstaatlicher Mechanismus mehr und die Anwendung von Fristen habe erhebliche Auswirkungen für die Antragsteller und die betreffenden Mitgliedstaaten, so die Generalanwältin weiter. Die Überstellung beziehungsweise Abschiebung eines Antragstellers von einem Mitgliedstaat in den anderen per Überstellungsentscheidung müsse daher von nationalen Gerichten kontrolliert werden können.

EuGH hat Rechten Einzelner schon früher Rechnung getragen

Denn auch wenn Art. 21 Dublin-III-VO "nur" Zuständigkeitsfragen beziehungsweise Aufnahmepflichten der Mitgliedstaaten behandele und einer schutzsuchenden Person in dieser Norm nicht ausdrücklich Rechte zugestanden würden, seien dessen Rechte gleichwohl betroffen, so die Generalanwältin.

Dies entspricht dem schon sehr früh geäußerten Verständnis des Gerichtshofs zur Frage der Rechte Einzelner, die sich im Europarecht nicht nur aus ausdrücklich zugestandenen subjektiven Rechten ergeben, sondern daraus, inwieweit sie von den Handlungen der europäischen Akteure betroffen sind.  In diesem Sinne hatte der EuGH schon sehr früh festgestellt, dass die europäischen Verträge durchaus Rechte für Einzelne etablieren und nicht nur Rechtsbeziehungen zwischen Staaten schaffen.

Hinsichtlich der weiteren Vorlagefrage, wann ein Antrag auf internationalen Schutz als gestellt gilt, stellt Sharpston fest, dass ein solcher Antrag im Sinne der Verordnung zu dem Zeitpunkt als gestellt anzusehen sei, zu dem den zuständigen Behörden ein Formblatt oder ein Protokoll zugehe. Die genaue Gestalt des Formblatts oder Protokolls sei Sache der Mitgliedstaaten, da es kein Standardformblatt dazu gebe. Ein informelles Gesuch bei Einreise oder eine bestätigende Bescheinigung durch den Mitgliedstaat reicht nach Ansicht der Generalanwältin hingegen nicht aus. Daher sei der hier maßgeblich Zeitpunkt der Antragstellung der 22. Juli 2016 und das Aufnahmegesuch vom BAMF in Richtung Italien habe die in der Verordnung festgelegten Fristen gewahrt.

Folgt der EuGH der Auffassung der Generalanwältin, stärkt dies die allgemeinen Rechte der Antragsteller auf internationalen Schutz immens. Dem klagenden Eritreer im vorliegenden Fall würde es allerdings nichts nützen: Die angefochtene Entscheidung bleibe voraussichtlich unberührt, weil die Fristen danach nicht versäumt wurden.

Dr. Timo Tohidipur ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent am Institut für Öffentliches Recht der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Zitiervorschlag

Timo Tohidipur, Schlussanträge vor dem EuGH: . In: Legal Tribune Online, 21.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23238 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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