vzbv gegen Amazon vor dem EuGH: Call me maybe?

von Marcel Schneider

22.11.2018

Welche Kontaktmöglichkeiten müssen Online-Händler ihren Kunden bieten? Und wie gut müssen die auf ihrer Homepage zu finden sein? Einen Streit um diverse Nummern und ein einzelnes Wort verhandelt am Donnerstag der EuGH mündlich.

Wenn das Wörtchen "gegebenenfalls" nicht wäre, könnte alles viel einfacher sein. So aber machten sich Anfang Oktober 2017 einige Vorlagefragen des Bundesgerichtshofs (BGH) auf den Weg zum Europäischen Gerichtshof (EuGH). Die Karlsruher Richter möchten von den Luxemburger Kollegen im Wesentlichen wissen, was für Kontaktmöglichkeiten Händler, die Fernabsatzverträge mit ihren Kunden abschließen, ihren Vertragspartnern anbieten müssen, und wie übersichtlich und gut sie über diese Kontaktmöglichkeiten informieren müssen (BGH, Beschl. v. 05.10.2017, Az. I ZR 163/16).

Zugrunde liegt dem Streit vor dem BGH eine Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) gegen eine europäische Tochtergesellschaft des Online-Riesen Amazon. Die Verbraucherschützer kritisieren, dass die Telefonnummer des Amazon-Kundenservices auf dem Internetauftritt des Versandhändlers nur schwierig zu finden sei. Tatsächlich müssen sich Kunden durch mehrere ineinander verschachtelte Seiten klicken, bevor sie die entsprechende Nummer finden.

Dass Kunden die Nummer über Suchmaschinen in Sekundenschnelle finden können, ist aus Sicht des vzbv unerheblich, wie dessen Rechtsreferent Heiko Dünkel gegenüber LTO erläutert: "Nach unserer Aufassung ist es gerade ein Zweck der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU, Händler dazu zu verpflichten, klar und verständlich über Kontaktmöglichkeiten zu informieren. Diese Arbeit können ihnen Dritte, wie etwa Suchmaschinen-Betreiber, nicht einfach abnehmen." Bei Amazon wollte man sich auf Anfrage von LTO mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht dazu äußern.

Telefon, Fax, Mail – oder noch etwas anderes?

Damit wären wir auch schon beim Knackpunkt des Falls: Eine der deutschen Normen, mit der die Verbraucherrechterichtlinie (Verbraucherrechte-RL) im nationalen Recht umgesetzt wird – konkret geht es um Art. 246a §1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) – verpflichtet unter anderem Fernabsatz-Händler, eine Telefonnummer und "gegebenenfalls" eine Faxnummer und eine E-Mail-Adresse zur Kontaktaufnahme zur Verfügung zu stellen. In der deutschen Fassung der Verbraucherrechte-RL umfasst das "gegebenenfalls" in deren Art. 6 Abs. 1 Buchst. C aber auch die Angabe einer Telefonnummer. In der englischen und französischen Sprachfassung heißt es indes wörtlich übersetzt "falls vorhanden".

Das führt zur Kernfrage, ob besagte Händler neben ihrer Adresse, die sie unstreitig angeben müssen, auch mindestens eine Telefonnummer angeben müssen oder nicht – und wenn ja, wie schnell und übersichtlich die für den Käufer zu finden sein muss. Das Berufungsgericht war noch davon ausgegangen, dass es nach der Verbraucherrechte-RL vor allem darauf ankomme, dem Kunden eine schnelle und unkomplizierte Möglichkeit zur Kontaktaufnahme zu bieten. Da Amazon mit einem Rückruf-Service, einem Echtzeit-Support-Chat und der Angabe der Mail-Adresse des Kundenservices genug alternative Möglichkeiten zu Verfügung stelle, werde der Versandhändler dieser Anforderung gerecht. Es wies die Klage im Ergebnis ab, ließ aber wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache die Revision zu.

In Karlsruhe mochten sich die Richter hingegen nicht festlegen. Sie kamen stattdessen zu dem Schluss, dass die europarechtskonforme Auslegung der Verbraucherrechte-RL unklar sei, und riefen den EuGH an. Der wird nun zu entscheiden haben, ob die deutsche Regelung aus dem EGBGB mit der Verbraucherrechte-RL konform geht (Az. C649/17).

"Amazon nicht das schwarze Schaf unter den Kontaktverweigerern"

Eine Telefonnummer, die über einen kleinen Umweg schnell zu finden ist, diverse alternative Kontaktmöglichkeiten und die Tatsache, dass heute kaum noch ein Verbraucher ein Faxgerät nutzt – man könnte sich fragen, ob die Klage des vzbv gegen den Online-Riesen nicht ein bisschen zu viel des Guten ist.

Mitnichten, betont Dünkel gegenüber LTO: "Wir wollen mit diesem Verfahren kein Unternehmen an den Pranger stellen, sondern eine strittige Grundsatzfragen klären. Amazon ist nicht das schwarze Schaf unter den Kontaktverweigerern, sondern steht mit seinen angebotenen alternativen Kontakt-Services im Vergleich mit anderen Online-Portalen noch verhältnismäßig gut da." Strategische Prozessführung also.

Bleibt noch zu klären, was passiert, wenn der EuGH, der für seine recht verbraucherfreundliche Rechtsprechung bekannt ist, nach den noch ausstehenden Schlussanträgen der Ansicht ist, dass Fernabsatz-Händler mindestens eine gut auffindbare Telefonnummer oder vielleicht sogar mehr angeben müssen. Führte das zu einer Umwälzung in der Branche? Wird etwa eine Vielzahl dubioser Anbieter aussortiert, die bisher versuchten, sich vor unerwünschten Kundenrückfragen möglichst zu drücken?

Wohl eher nicht, meint Dr. Andreas Brommer von der Stuttgarter Kanzlei Kleiner Rechtsanwälte im Gespräch mit LTO: "Online-Shops treffen bereits weitere Informationspflichten nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Telemediengesetz und – sofern sie neben Waren auch Dienstleistungen anbieten – nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Dienstleistungsinformationspflichten-Verordnung." Danach sollten sie sowieso eine ladungsfähige Anschrift sowie eine Telefonnummer und eine E-Mail-Adresse angeben, sagt Brommer. Er glaubt deshalb: "Verbraucherrechtlich eine spannende Frage – die praktischen Auswirkungen der Entscheidung dürften aber nicht allzu groß sein."

Zitiervorschlag

vzbv gegen Amazon vor dem EuGH: . In: Legal Tribune Online, 22.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32259 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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