Verhandlung vor dem EuGH: DUH-Anwalt schlägt Alter­na­tive zur Zwangs­haft für Markus Söder vor

von Dr. Felix W. Zimmermann

03.09.2019

Der Freistaat setzt seit 2014 ein rechtskräftiges Urteil zur Vorbereitung von Fahrverboten nicht um. Die Richter am EuGH zeigten am Dienstag großes Interesse an einem Vorschlag von DUH-Anwalt Remo Klinger, um das zu ändern. 

Verhandlungen vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) wegen Missachtung des Rechtsstaatsprinzips – da erwartet man Polen oder Ungarn auf der "Anklagebank", nicht aber den vermeintlichen Musterknaben in Sachen Law and Order, den Freistaat Bayern. Doch das Rechtsstaatsprinzip fällt in Deutschland nicht zum ersten Mal aus, sobald Belange der Automobilindustrie berührt sind.

So missachtet der Freistaat Bayern ein seit 2014 rechtkräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts München (Urt. v. 9.10.2012, Az. M 1 K 12.1046), das die Vorbereitung von Fahrverboten für schmutzige Diesel-PkW verlangt. Die Verwaltungsgerichte verhängten deswegen Zwangsgelder, die aber zahlt das Umweltministerium an das Innenministerium, es wandert also von einer Staatskasse des Staates an die andere. Da wundert es nicht, dass das verhängte Zwangsgeld die Landesregierung nicht zur Einhaltung von Recht und Gesetz bewegte. Die klagende Deutsche Umwelthilfe (DUH) beantragte daraufhin Zwangshaft gegen die verantwortlichen Amtsträger, zu denen auch der bayerische Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) sowie Regierungschef Markus Söder (CSU) gehört. 

Doch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) vertritt die Auffassung, dass deutsches Recht eine Zwangshaft für Amtsträger nicht hergebe. Zwar gebe es eine Norm, die die Zwangshaft regele, § 888 Zivilprozessordnung, doch genügen diese in Bezug auf Amtsträger den verfassungsrechtlichen Anforderungen für eine Freiheitsentziehung nicht. Das Gericht wollte daraufhin vom EuGH wissen, ob Gerichte nach dem Europarecht zur Verhängung einer Zwangshaft ermöglicht oder hierzu sogar verpflichtet sind (Beschl. v. 09.11.2018, Az. 22 C 18.1718). 

Trägt der Amtsträger den Zellenschlüssel stets bei sich?

In der mündlichen Verhandlung sprach zunächst der Rechtsanwalt der DUH Remo Klinger und führte aus, dass die Zwangshaft – anders als in Österreich, wo die Missachtung von Gerichtsurteilen eine Straftat sei – gar keine wirkliche Haft darstelle. Denn der inhaftierte Amtsträger habe quasi den Zellenschlüssel stets bei sich, da er nur die gerichtlich erforderliche Handlung vornehmen müsse und sodann sofort entlassen werden. Auch habe der Gerichtshof bereits im Jahre 2014 entschieden (EuGH, Urt. v. 19.11.2014, Az. C-404/13), dass es dem Gericht obliege, in der Vollstreckung jede Maßnahme zu erlassen, die für die Durchsetzung von Unionsrecht erforderlich ist.

Für den Freistaat entgegnete Bayerns Ministerialdirigent Winfried Brechmann. Er verwies ausführlich darauf, dass Bayern alles dafür tue, um Emissionsgrenzwerte einzuhalten. Auf mehreren Nachfragen des Gerichts, warum dies nicht auch die Beachtung des Urteils beinhalte, also die Planung von Fahrverboten, antwortete Brechmann nicht. 

Er verwies stattdessen darauf, dass bei fast allen Hauptverkehrsstraßen die Grenzwerte eingehalten würden. Fahrverbote seien, so Brechmann, im Übrigen unverhältnismäßig, da 140.000 Autofahrer betroffen seien. Was die Zwangshaft angehe, dürfe diese nur auf Grundlage eines Gesetzes entzogen werden. Hieran fehle es. 

Außerdem setze eine Zwangshaft voraus, dass die zu erzwingende Handlung ausschließlich von Willen der inhaftierten Person abhänge. Dies sei bei demokratischen Entscheidungen aber nicht der Fall, da bei diesen eine Vielzahl unterschiedlicher Stellen mit eigenen Verantwortlichkeiten und Befugnissen zusammenwirke. Entscheidungen seien einzelnen Amtsträgern nicht zurechenbar. Ob die Weisungsbefugnis oder Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten aber zumindest dessen Verantwortlichkeit beinhalten könnte, thematisierte Brechmann nicht.  

Bundesregierung: EuGH darf keine konkrete Zwangsmaßnahme anordnen

Auch die Bundesregierung schickte eine Vertreterin. Sonja Eisenberg aus dem Wirtschaftsministerium erklärte, die bindende Wirkung rechtskräftiger Entscheidungen sei unbestrittener Kernbestandteil des Rechtsstaatsprinzips. Für die Bundesregierung stehe außer Frage, dass die Exekutive verpflichtet sei, Urteile zu beachten. Doch eine Zwangshaft scheide aus, da es hier um Freiheitsentziehung gehe, die eine gesetzlichen Regelung verlange. Der Gerichtshof dürfe auch die Auswahl einer konkreten Zwangsmaßnahme nicht festlegen, dies bleibe der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie überlassen.

Friedrich Erlbacher von der EU-Kommission verurteilte zunächst das Handeln der bayerischen Landesregierung scharf. Es handele sich ohne Zweifel um eine offensichtliche Missachtung des Unionsrechts mit schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung. Doch eine Verhängung von Zwangshaft sei nicht möglich. Denn auch das Unionsrecht fordere, dass eine freiheitsentziehende Maßnahme gesetzlich geregelt sein müsste.

Nach den Vorträgen stellten die Richter fast zwei Stunden lang eine Vielzahl von Fragen. Vom Kommissionsvertreter wollten sie etwa wissen, ob es nicht eine Angleichung von Straftatbeständen in Europa brauche – in Anspielung darauf, dass in Österreich die Missachtung von Urteilen durch Amtsträger eine Straftat darstellt. Die Richter widersprachen auch der Vertreterin der Bundesregierung, die behauptet hatte, es hätte in Deutschland noch keine Anordnung einer Zwangshaft gegeben. Der Gerichtshof habe recherchiert und drei Fälle in Deutschland gefunden.

Saftiges Zwangsgeld statt Zwangshaft?

Ihr besonderes Interesse aber widmeten die Richter einer Idee des DUH-Anwalts Klinger. Der brachte, wie auch schon im Interview mit LTO, als milderes Mittel zur Zwangshaft die Zwangsgeldverhängung anders und zwar effektiver auszugestalten. 

Statt einer Zahlung des Staates an sich selbst könnten Gerichte doch festlegen, dass die Summe an Dritte, etwa betroffene Anwohner, den klagenden Verband oder die Allgemeinheit zu zahlen ist. Zudem könnte das Zwangsgeld tageweise verhängt werden und nicht nur jeweils auf einen gerichtlichen Antrag hin, der ein Verfahren von 6 Monaten nach sich ziehe. So wäre ein Zwangsgeld von 3,65 Millionen Euro jährlich möglich. Auch Kommissionsvertreter Erlbacher zeigte sich gegenüber der Idee nicht abgeneigt. Der Vertreter des Freistaats Bayern Brechmann wollte sich hiermit aber nicht anfreunden; auch für solche Maßnahmen fehle es an einer gesetzlichen Regelung.
 
Dass der EuGH selbst eine Zwangshaft für die verantwortlichen Personen des Freistaats Bayerns fordern wird, dürfte eher unwahrscheinlich sein, zumal das Instrument der Freiheitsentziehung dem EuGH fremd ist. Wenn dessen Urteile nicht beachtet werden, folgen finanzielle Sanktionen. So ist dann auch eher zu vermuten, dass der Gerichtshof dem BayVGH mit auf den Weg geben wird, mit künftigen Zwangsgeldverhängungen kreativer und effektiver umzugehen, diese also dritten Personen zuzusprechen und in der Summe deutlich zu erhöhen. Erst einmal hat aber der Generalanwalt das Wort. Er wird am 14. November 2019 mit den Schlussanträgen seine Empfehlung abgeben. 

Zitiervorschlag

Verhandlung vor dem EuGH: . In: Legal Tribune Online, 03.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37417 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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