Dass ihre Sozialversicherungsbeiträge für die Fördermaßnahmen von Langzeitarbeitslosen eingesetzt werden, passt Arbeitgebern und Arbeitnehmern gar nicht. Sie verlangen, dass der Bund das Geld aus Steuermitteln aufbringt. Vor dem BSG mussten sie nun eine Niederlage einstecken. Das letzte Wort im Kampf gegen den Eingliederungsbeitrag aber wird Karlsruhe haben, vermutet Reimund Schmidt-De Caluwe.
Streit bestand von Anfang an um die der Bundesagentur für Arbeit (BA) mit Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs (SGB) II auferlegte Pflicht, Hartz IV-Empfänger finanziell zu unterstützen. Immerhin geht es um eine Summe von ca. 5 Milliarden Euro im Jahresdurchschnitt, was ungefähr 10 Prozent der Ausgaben der BA ausmacht. Arbeitgeber und Arbeitnehmer wehren sich deshalb schon lange gegen die milliardenschwere Subvention. In Ihren Augen ist es nicht die Aufgabe der Sozialversicherung und der Beitragszahler die Fördermaßnahmen zu bezahlen. Vielmehr sei dies eine allgemeine Angelegenheit der sozialen Hilfe vom Staat, die aus Steuermitteln getragen werden müsse.
Ursprünglich sah § 46 Abs. 4 SGB II einen "Aussteuerungsbetrag" vor, der sich nach den durchschnittlichen jährlichen Aufwendungen für diejenigen SGB II-Leistungsempfänger richtete, die zuvor Arbeitslosengeld von der BA erhalten hatten. Es war gewissermaßen eine "Strafzahlung" für die nicht geleistete Integration versicherter Arbeitsloser in den Arbeitsmarkt. Seit 2008 fordert § 46 Abs. 4 SGB II die Zahlung eines "Eingliederungsbeitrags", dessen Höhe sich pauschal auf die Hälfte der jährlichen Aufwendungen des Bundes für Leistungen zur Eingliederung in Arbeit und der Verwaltungskosten beläuft.
Namhafte Rechtswissenschaftler wie auch ein von DGB und BDA in Auftrag gegebenes Gutachten sahen durch eine solche Mischfinanzierung Verfassungsrecht verletzt. Das Grundgesetz (GG), so die Argumentation, verlange eine Trennung der Finanzierungsverantwortung. Dies komme in den Kompetenzvorschriften deutlich zum Ausdruck. Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG erfasse die "öffentliche Fürsorge". Diese sei unbestritten eine allgemeine Staatsaufgabe, die dem Gemeinlastprinzip entsprechend aus allgemeinen Steuermitteln zu finanzieren sei. Auf dieser Grundlage beruhe das Grundsicherungssystem des SGB II. Die Kompetenz für die "Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung" regele dagegen Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG.
Zweckbindung der Beitragsmittel
Die Gegner der Mischfinanzierung konnten dabei auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur gesetzlichen Krankenversicherung verweisen. Karlsruhe geht nicht nur aus kompetenzrechtlichen Gründen, sondern auch aufgrund grundrechtlicher Vorgaben für eine Pflichtversicherung mit Zwangsbeitrag davon aus, dass die Versicherungsbeiträge streng zweckgebunden sind. (Urt. v. 18.07.2005, Az. 2 BvF 2/01). Auch etwa zu anderen Versicherungszweigen findet sich die klare Aussage, dass Beitragsmittel allein zur Finanzierung der Aufgaben der Sozialversicherung eingesetzt werden dürfen und nicht zur Befriedigung des allgemeinen staatlichen Finanzbedarfs (Beschl. v. 08.04.1987, Az. 2 BvR 909, 934, 935, 936, 938, 941, 942, 947/82, 64/83 und 142/84).
Vor diesem Hintergrund argumentierten der klagende Angestellte und der Arbeitgeber, durch den "Aussteuerungs-" bzw. "Eingliederungsbeitrag" komme es zu einem unzulässigen pauschalen Abfluss von Beitragsgeldern in den Bundeshaushalt, die gebotene Trennung der Finanzmassen von Sozialversicherung und Bundeshaushalt werde aufgelöst. Beitragszahler finanzierten auf diese Weise Aufgaben des Fürsorgesystems des SGB II, die allein in die Finanzverantwortung des Bundes fielen. Die damit verbundene Sonderbelastung führe zu einer Verletzung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG. Der mit der Beitragspflicht verbundene Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Handlungsfreiheit sei nur insoweit gerechtfertigt, als ihre sozialversicherungsrechtliche Zweckbindung gewährleistet werde.
Grenzen der Verfassung gerade noch eingehalten
Das Bundessozialgericht (BSG) folgt dieser Argumentation in seiner Entscheidung vom 29. Februar 2012 (Az. B 12 KR 5/10 R, B 12 KR 10/11 R) nur im Ausgangspunkt. Die Kasseler Richter gehen zwar ebenfalls von einer engen Zweckbindung der Sozialversicherungsbeiträge aus. Der 12. Senat unterstellt zudem, der Eingliederungsbeitrag wirke sich auf die konkrete Beitragshöhe aus, erkennt die Klagebefugnis an und öffnet so das Tor zur Prüfung der sachlichen Kernfrage. In dieser ist das BSG allerdings anderer Ansicht als die Gegner der Mischfinanzierung.
Der Gesetzgeber habe die "äußersten Grenzen" des zulässigen Einsatzes der zweckgebundenen Beitragsmittel noch eingehalten. Die Zahlungen der BA an den Bund hätten einen noch ausreichenden Bezug zu den beitragsfinanzierten Aufgaben der Arbeitsförderung nach dem SGB III, so die obersten Sozialrichter.
Teil dieser Arbeitsförderung sei neben der Zahlung von Arbeitslosengeld seit jeher nämlich auch die Eingliederung in Arbeit. Früher sei die BA für die Eingliederung nicht (mehr) versicherter Arbeitsloser für die Empfänger der Arbeitslosenhilfe verantwortlich gewesen. Diese Verantwortung ist nach Ansicht des Senats ist mit der Einführung des SGB II nicht vollständig entfallen, ihre Beschränkung korrespondiere mit der begrenzten Höhe der Zahlungen.
Fortsetzung folgt in Karlsruhe
Einen Zweckbezug sieht das BSG auch darin , dass die Integration von SGB II-Leistungsempfängern in den Arbeitsmarkt, die mit den Mitteln des Eingliederungsbeitrags erreicht werden soll, geeignet sei, die Zahl der Beitragszahler zur Arbeitslosenversicherung zu erhöhen. Sie komme so dem SGB III-Leistungssystem zugute. Das zeige sich auch darin, dass der Eingliederungsbeitrag sich mittlerweile an den Aufwendungen für diese Integration orientiere.
Außerdem profitierten von den mitfinanzierten Eingliederungsleistungen auch die so genannten "Aufstocker“, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichten. Schließlich sieht das BSG Parallelen zur Finanzierung der sozialrechtlichen Folgen der deutschen Einigung aus Beitragsmitteln, die vom BVerfG nicht beanstandet worden sei.
Ob die Argumente des BSG die Kläger überzeugen, bleibt abzuwarten. Sie standen schon einmal vor den Pforten in Karlsruhe. Damals wurden sie nicht eingelassen, weil zunächst die Sozialgerichte zu befassen waren. Nach dem Urteil des BSG ist der Weg zum höchsten deutschen Gericht nun jedenfalls eröffnet.
Der Autor Prof. Dr. Reimund Schmidt-De Caluwe ist Inhaber des Lehrstuhls für öffentliches Recht und Sozialrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Eingliederungsbeitrag für Hartz IV-Empfänger: . In: Legal Tribune Online, 02.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5682 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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