Deutsche Autohersteller unter Kartellverdacht: Zwi­schen Frei­fahrt­schein und Total­schaden

von Prof. Dr. Rupprecht Podszun

27.07.2017

Nachdem sich die erste Aufregung um die Fünfer-Runde der deutschen Autohersteller gelegt hat, ist noch nichts von einem Totalschaden für die Branche zu sehen. Das bleibt auch erst einmal so, erläutert Rupprecht Podszun die Hintergründe.

Wenn Kartellrechtler zu ihren berüchtigten Compliance-Schulungen in Unternehmen antreten, arbeiten sie gern mit dem Ampelmodell, wenn es etwa darum geht, die Zusammenarbeit mit Wettbewerbern zu bewerten. Sobald es über Small Talk hinaus ins Kommerzielle geht, sollen die Unternehmensvertreter, die die Kollegen der Konkurrenz bei Verbandssitzungen, auf Messen oder in einem Sterne-Restaurant treffen, an die Ampel denken. Grün: Weiterfahren. Gelb: Vorsicht! Rot: Sofort aussteigen und so rasch wie möglich das Weite suchen!

Ob Deutschlands Autokonzerne nun bei Rot über die Ampel gebrettert sind oder ob es eher eine lange Gelbphase war, ist für den Autofall, der vor knapp einer Woche für helle Aufregung sorgte, noch nicht ausgemacht. Bislang ist in der Öffentlichkeit vor allem bekannt geworden, dass Daimler nach Aufdeckung des LKW-Kartells (Geldbuße von 1,09 Milliarden Euro) umfassende kartellrechtliche Compliance-Maßnahmen unternommen hat und einen sog. Kronzeugen-Antrag bei der Europäischen Kommission als Wettbewerbsbehörde gestellt hat, möglicherweise auch beim Bundeskartellamt. VW scheint einige Zeit später das Gleiche getan zu haben. BMW tat offenbar nichts und die anderen beiden verrieten den Münchnern offenbar auch nicht, dass sie angehalten hatten. Damit kamen sie einer Auflage aus der Kronzeugenregelung nach.

Die Kronzeugenregelung ist das erfolgreichste Instrument der jüngeren Kartellrechtsgeschichte: Ein Unternehmen, das wettbewerbsbeschränkende Absprachen verpfeift, bleibt ohne Geldbuße. Dabei gilt ein strenges zeitliches Vorrangprinzip. Wer sich zuerst meldet, erhält den vollen Geldbußenerlass. Wer auch nur ein paar Minuten später dran ist (ein Phänomen, das häufig vorkommt, wenn Unternehmen anlässlich von Durchsuchungen ihre Bereitschaft zur Mitarbeit signalisieren), kann zwar noch profitieren, aber nur noch in deutlich geringerem Maße.

Die Kronzeugenregelung hat das Vertrauen in Kartelle nachhaltig untergraben, da der heimliche Ausstieg eines Mittäters strategisch eingesetzt werden kann. Das Kartell geht dann möglicherweise in einem für den Antragsteller wirtschaftlich günstigen Moment krachen – und die Wettbewerber werden mit hohen Geldbußen belegt, die Investitionen erschweren. Kein Wunder, dass Kartellbehörden, die früher in aufwändiger Puzzlearbeit Kartelle selbst ermitteln mussten, das Instrument lieben. So sehr übrigens, dass die EU-Kommission viel Wert darauf legte, in der Richtlinie zum Kartellschadensersatz den Kronzeugen vor Inanspruchnahme durch Geschädigte etwas zu schützen.

Besonderheiten der Kronzeugenanträge im Autofall

Im Fall der deutschen Autohersteller sind zwei Aspekte interessant, die die bisherige Berichterstattung noch nicht in den Blick genommen hat: Erstens werden solche Kronzeugenanträge in der Regel mündlich gestellt. Den Beamten der Generaldirektion Wettbewerb wird auf Band gesprochen, was man auf dem Herzen hat. Es wäre erstaunlich, wenn Daimler und VW dies anders gehandhabt hätten. Durch die mündliche Abgabe des Antrags entstehen erst gar keine Dokumente, die geleakt werden könnten. Die Brüsseler Beamten beginnen ihren Leitfaden zur Abgabe mündlicher Anträge übrigens mit dem Hinweis auf die Mittagspause von 13 bis 14 Uhr – first things first.

Zweitens ist es möglich, solche Kronzeugenanträge hilfsweise zu stellen, quasi für den Fall, dass unklar ist, ob überhaupt ein Kartell vorliegt. Mancher Konjunktiv in der Berichterstattung deutet darauf hin. Haben die Autokonzerne sicherheitshalber Verhaltensweisen gemeldet, bei denen noch Gelb auf der Ampel gezeigt wurde?

Demgegenüber steht allerdings das Risiko eines Kronzeugenantrags: Es droht allemal ein Reputationsverlust, die Reaktion der Wettbewerbsbehörde, die im Kartellrecht mit Aufgreifermessen und vielen unbestimmten Rechtsbegriffen hantiert, ist unberechenbar. Zudem haben dem Vernehmen nach einige der besten Kartellrechtsanwälte in dieser Sache beraten. Eine grundlos überzogene Selbstbezichtigung dürfte insofern auch bei einem Unternehmen nicht vorliegen, das durch eine Milliardengeldbuße aufgescheucht wurde.

Im Verfahren folgt einem Kronzeugenantrag oft ein "dawn raid" bei den angezeigten Mittätern, also extrem kurzfristige Durchsuchungen. Von einem solchen war in den Medien aber bislang nichts zu lesen. Berichtet wurde lediglich von einer Durchsuchung bei VW. Die soll aber einem Stahlkartell gegolten haben, bei dessen Prüfung es einen Zufallsfund gab, der wiederum zu den Arbeitskreisen der Automobilisten geführt haben soll.

Zitiervorschlag

Deutsche Autohersteller unter Kartellverdacht: . In: Legal Tribune Online, 27.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23665 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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