In dem Strafverfahren gegen Jörg Kachelmann ist längst nicht mehr nur der Angeklagte unter Beschuss. Derzeit steht vielmehr die Justiz, insbesondere die Staatsanwaltschaft in der Kritik. Zu Unrecht, wie Johannes Eisenberg befindet, der in seinem Kommentar Versäumnisse der Verteidigung bemängelt. Und meint, nicht nur die Anklageerhebung hätte verhindert werden können – und müssen.
Jörg Kachelmann wurde Ende Juli aus der Untersuchungshaft entlassen, in der er sich aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Mannheim vom 25. Februar 2010 wegen des Vorwurfs der besonders schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung ununterbrochen befunden hatte.
Die Republik diskutiert dabei längst nicht mehr nur über Schuld oder Unschuld des beliebten Wettermoderators, dessen offenbar buntes Privatleben mittlerweile auch die seriösesten Blätter beschäftigte. Vielmehr wird auch das Vorgehen der Justiz, insbesondere der Staatsanwaltschaft in der "Causa Kachelmann" mittlerweile massiv kritisiert.
Dabei reichen die Vorwürfe von vorschnellen Ermittlungen über die angebliche Weitergabe von Informationen aus den Akten bis hin zu allgemeiner Übermotivation und Vorverurteilung wegen der Prominenz des Angeklagten.
Alle Fakten waren bekannt – und eine Haftverteidigung seit dem 20. März möglich
Seit dem 20. März 2010 saß Jörg Kachelmann in Haft, seit dem 20. März lagen die Argumente, die das Oberlandesgericht (OLG) bewogen haben, keinen dringenden Tatverdacht anzunehmen und den Haftbefehl aufzuheben, auch auf dem Tisch der Verteidigung.
Die Lügen der Belastungszeugin, die inneren Widersprüche ihrer Aussage, die Armut der Darstellung von "Realkennzeichen" der eigentlichen behaupteten Tathandlung und die Konstellation "Aussage gegen Aussage" waren bekannt. Seit dem 20. März konnte Kachelmann sich gegen den Haftbefehl beschweren und das Oberlandesgericht anrufen. Das tat er nicht.
Erst am 1. Juli hatte das Landgericht erstmals Anlass, sich mit einem Haftaufhebungsantrag Kachelmanns zu beschäftigen. Das am 29. Juli erstmals angerufene OLG hätte die selben Argumente, die Ende Juli zur sofortigen Freilassung des Wettermoderators führten, bei konsequenter Haftverteidigung bereits Mitte April zur Haftentlassung nutzen können.
Für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage des vermeintlichen Tatopfers brauchte es kein aussagepsycholgisches Gutachten: Die Frau ist dem Vernehmen nach gesund. Die Beurteilung von Zeugenaussagen von gesunden Erwachsenen ist das tägliche Geschäft eines Richters. Dass Aussage gegen Aussage stand, lag auf der Hand. Und dass ein paar blaue Flecken am Oberschenkel keinen Tatnachweis zu führen in der Lage sind, war auch im April bekannt.
Wäre bereits im März mit Rechtsmitteln gegen die Untersuchungshaft verteidigt worden, wäre Anklage vermutlich gar nicht erhoben worden, die massive Welle von Veröffentlichungen über das Privat- und Intimleben von Jörg Kachelmann hätte es vermutlich nicht gegeben. Denn diese erfolgte im Wesentlichen erst seit Ende Mai.
Die Geister, die ich rief: Durchstechereien bei der Staatsanwaltschaft unwahrscheinlich
Auch der Vorwurf an die Staatsanwaltschaft, sie habe die Veröffentlichungen zu verantworten, lässt sich nicht halten.
Die Bestätigung, dass ein namenloser Moderator verhaftet worden sei, musste die Staatsanwaltschaft nach den Bestimmungen der Landespressegesetze geben. Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte darf die Staatsanwaltschaft keine Zensur ausüben. Die Entscheidung, ob eine Information unter persönlichkeitsrechtlichen Gesichtspunkten von den Medien verbreitet werden darf, hat nicht die Staatsanwaltschaft zu treffen (VG Berlin).
Die seit Ende Mai oder Anfang Juni in die Medien gelangten Details über die Intimbeziehung Kachelmanns zum vermeintlichen Tatopfer und zu anderen Frauen waren die Folge von Veröffentlichungen, in denen detailliert aus den Akten und Vernehmungen berichtet wurde. Diese Veröffentlichungen wiesen eine staatsanwaltschaftskritische Tendenz auf; es ist daher unwahrscheinlich, dass sie auf Durchstechereien der Staatsanwaltschaft zurück gingen. Immerhin befanden sich die Aktenbestände auch in den Händen der Verteidigung und der Nebenklage.
Dass die Staatsanwaltschaft in der Folge zur Selbstrechtfertigung zunehmend Details an die Öffentlichkeit gab wie etwa über die Ergebnisse eines weiteren Gutachtens, das es für möglich hielt, dass das Tatopfer unter verletzungsverursachter Vergesslichkeit leiden könnte, dürfte ihr nicht vorzuwerfen sein: Denn ihr Agieren schien zu diesem Zeitpunkt in der medialen Darstellung schon rechtsstaatsfern, es wirkte, als sei sie von massivem, fast rechtsbeugerisch wirkendem Verfolgungseifer getrieben. Angesichts dieser Informationslage hatte die Öffentlichkeit einen Anspruch darauf, zu erfahren, welche Erwägungen die Staatsanwaltschaft umtrieben, wenn sie am Haftbefehl festhielt.
Anders gesagt: Wer meint, den Inhalt von Akten der Öffentlichkeit zugänglich machen zu müssen, darf danach keine Krokodilstränen vergießen über die mediale Verhandlung der Causa aus der Richtung aller Beteiligter.
Der Autor Johannes Eisenberg ist Rechtsanwalt in Berlin und auf die Bearbeitung von strafrechtlichen und medien- beziehungsweise presserechtlichen Mandaten spezialisiert. Er vertritt unter anderem die Tageszeitung "taz", für die er auch als Kolumnist tätig war.
Der Fall Kachelmann: . In: Legal Tribune Online, 05.08.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1143 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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