Der Fall Benaissa: "Zwei Jahre auf Bewährung - ein hartes Urteil"

Nadja Benaissa, Mitglied der Popgruppe "No Angels", hat einen Sex-Partner vorsätzlich mit dem HI-Virus infiziert. Zu diesem Schluss kam das Amtsgericht Darmstadt. Es verurteilte die Sängerin zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. Im LTO-Interview ordnet Dr. Hermann Christoph Kühn, Fachanwalt für Strafrecht und Experte für Medizinrecht, den Schuldspruch ein.

LTO: Herr Kühn, wie schätzen Sie das Urteil gegen Nadja Benaissa ein?

Kühn: Für einen Außenstehenden, der nicht am Verfahren beteiligt war, ist das schwer zu beurteilen. Auf Basis der öffentlich verfügbaren Informationen komme ich aber zu dem Schluss, dass es ein hartes Urteil ist.

LTO: Warum?

Kühn: Das Gericht hat Frau Benaissa auch wegen vollendeter gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Dabei handelt es sich um ein vorsätzliches Erfolgsdelikt. Es geht also erstens von einem Vorsatz aus und hält es zweitens für nachgewiesen, dass es zu einer Ansteckung von Frau Benaissa auf den Nebenkläger gekommen ist.

Frau Benaissa wusste, dass sie HIV übertragen kann. Das allein reicht zum Vorsatznachweis hier nicht aus. Die Frage lautet vielmehr: Wollte Nadja Benaissa den Nebenkläger anstecken? Das muss man bejahen können, damit es zum Vorsatz kommt. Nach Presseberichten soll sie aber gesagt haben, sie habe darauf vertraut, dass es nicht zu einer Ansteckung kommt. Die Ansteckungsrate für den Mann bei Vaginalverkehr liegt bei ca. 0,05 %.

Dann erscheint aber aus meiner Sicht selbst die Annahme eines dolus eventualis schwierig. Diese Vorsatzform läge dann vor, wenn Frau Benaissa bei positiver Gefahrenkenntnis trotzdem gehandelt hätte in dem Bewusstsein, dass es ihr egal sei, ob ihr damaliger Partner erkrankt oder nicht.  Dieses Willenselement braucht es. Ob es vorliegt, das kann nur das Gericht aus der Hauptverhandlung schließen. Bei einer Ansteckungschance von 1 zu 2.000 habe ich da aber meine Zweifel, dass man von Vorsatz sprechen kann. Eine fahrlässige Tatbegehung erscheint mir von außen naheliegender.

LTO: Kommen wir zum Aspekt der Nachweisbarkeit. Im Fall Benaissa ging es um einen sehr seltenen Virenstamm, deshalb war die Ansteckung eindeutig zurückzuverfolgen.

Kühn: In dieser Frage muss sich das Gericht auf den Sachverständigen verlassen. Wenn ein Molekularbiologe sagt, der Nebenkläger habe sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei Frau Benaissa angesteckt, dann reicht das als Nachweis.

Die Beweisführung ist bei einer Ansteckung mit HIV sehr schwierig. Der Gesetzgeber könnte aber diesen Fall zum Anlass nehmen, darüber nachzudenken, ein Gefährdungsdelikt zu schaffen, welches die Schaffung einer konkreten Gesundheitsgefahr für einen anderen unter Strafe stellt. Das mutet zunächst vielleicht wie eine „Lex AIDS“ an. Wenn Sie aber darüber nachdenken, dass auch die Missachtung von Hygieneregelungen in Krankenhäusern darunter fallen könnte, dann hätte man einen sehr großen Anwendungsbereich. Das könnte durchaus zur Bewusstseinsbildung beitragen.

LTO: Das Urteil lautete auf gefährliche Körperverletzung. Wäre auch eine einfache Körperverletzung infrage gekommen?

Kühn: Aus meiner Sicht ist das Urteil insoweit folgerichtig. AIDS ist eine das Leben gefährdende Krankheit. Damit ist dann der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung auch objektiv erfüllt.

LTO: Wie ist das Strafmaß einzuordnen, wenn man es mit anderen Arten der Köperverletzung vergleicht.

Kühn: Das Mindeststrafmaß für gefährliche Körperverletzung beträgt 6 Monate, maximal sind 10 Jahre Freiheitsstrafe möglich. Vergleichbare andere Fälle einer gefährlichen Körperverletzung wären zum Beispiel, wenn Sie jemand mit dem Messer verletzt oder er Ihnen Gift verabreicht.

LTO: Die Deutsche Aidshilfe forderte einen Freispruch für Frau Benaissa, unter anderem mit der Begründung: Der Nebenkläger habe die Ansteckung in Kauf genommen, weil er sich nicht zum Beispiel mit einem Kondom geschützt hätte.

Kühn: Das ist juristisch nicht haltbar und aus meiner Sicht auch ein wenig zynisch. Mit der gleichen Begründung könnte ich auch sagen: In der Disco kommt es außergewöhnlich häufig zu Schlägereien, also darf man da nicht mehr hingehen. Das geht zu weit. Sozial adäquaten, aber riskanten Tätigkeiten dürfte man dann nicht mehr nachgehen, ohne den Schutz des Strafrechts zu verlieren.

LTO: Spielt ein bewegtes Vorleben, wie das von Frau Benaissa, beim Strafmaß eine Rolle?

Kühn: Eine schwierige Kindheit und Jugend, schicksalhafte Situationen – das kann und muss das Gericht berücksichtigen und hat es im Fall Benaissa sicher auch getan.

Dr. Hermann Christoph Kühn ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht und lehrt neben seiner anwaltlichen Tätigkeit als Privatdozent an der Universität Augsburg.

Zitiervorschlag

Hermann Christoph Kühn, Der Fall Benaissa: . In: Legal Tribune Online, 25.08.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1299 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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