Der Euro und die Verfassungsrichter: Das Grund­ge­setz lässt noch mehr Europa zu

von Prof. Dr. Joachim Wieland

27.09.2011

Der Präsident des BVerfG sagte zur FAS, "noch mehr Europa lässt das Grundgesetz kaum zu". Dabei sehen sowohl die Verfassung als auch das höchste deutsche Gericht die EU als eine "in fortschreitender Integration stehende Gemeinschaft". Joachim Wieland appelliert an Karlsruhe, an seiner Tradition festzuhalten und nötige Maßnahmen zur Krisenbewältigung nicht zu blockieren.

Die Krise des Euro droht nicht nur von einer Finanz- zu einer Wirtschaftskrise zu werden. Sie birgt auch Gefahren für die EU. Wenn das Projekt Euro scheitert, kann auch die EU zerbrechen. Deutschland als der stärksten Wirtschaftsmacht in Europa kommt in dieser Situation eine Schlüsselrolle zu.

Diese Rolle hat das Land bisher nicht überzeugend wahrgenommen. Die Reaktionen der Regierung auf die Krise sind zu zögerlich, zu vorsichtig und zu schwach ausgefallen. Zunächst hat man Griechenland aus politischen Gründen in die Währungsgemeinschaft aufgenommen, obwohl jedem kundigen Beobachter klar war, dass das Land die Anforderungen an die Mitgliedschaft nicht erfüllen konnte.

Als 2010 die fatalen Folgen dieser Fehlentscheidung deutlich wurden, wollte man sich vor den Konsequenzen drücken. Die Regierung wollte den Deutschen weiterhin die Illusion erhalten, dass die Entscheidung für die Währungsunion und der Verzicht auf die Mark nicht zu einer Transferunion geführt haben.

Verfehltes Vertrauen auf die Selbstheilungskräfte der Märkte

Mit dem Euro hat Deutschland als Exportwirtschaft aber nicht nur einen kaum zu unterschätzenden wirtschaftlichen Vorteil erhalten, der sich in der beachtlichen Steigerung der Wirtschaftsleistung und des Wohlstands in den vergangenen Jahren niedergeschlagen hat.

Die Bundesrepublik hat auch Solidarpflichten gegenüber anderen Ländern übernommen. Damit diese erfüllbar bleiben, wurde der Stabilitäts- und Wachstumspakt geschlossen. An seiner Abschwächung war Deutschland 2004 durchaus beteiligt.

Zugleich haben die Regierungen in einem verfehlten Vertrauen auf die Selbstheilungskräfte des Marktes die Finanzwirtschaft weithin unreguliert gelassen. Banken müssen Staatsanleihen nicht mit Sicherheiten unterlegen. Auf die Insolvenz von Staaten darf man wetten, obwohl eine Brandversicherung auf das Haus eines Nachbarn nicht abgeschlossen werden darf - aus leicht nachvollziehbaren Gründen.

Die EU ist stark genug – wenn sie integriert und zusammen steht

Was ist zu tun? Die EU insgesamt ist wirtschaftlich stark genug, um den Finanzmärkten Paroli zu bieten. Das setzt aber voraus, dass sie ihre Wirtschafts- und Finanzkraft einheitlich einsetzt. Die Integration der Währung bedingt auch eine gewisse Integration der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Diese aber ist nur um den Preis von stärkerer Integration und von weiterem Souveränitätsverzicht zu haben.

Das europafreundliche Grundgesetz macht beides möglich. Und auch die durchaus integrationskritische, aber nicht integrationsfeindliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht dem nicht entgegen. Entscheidend ist, dass der Bundestag als die Vertretung des deutschen Volkes den weiteren Integrationsschritten zustimmt und sich nicht selbst entmachtet. Nur dann wird auch die Bevölkerung den Weg aus der Krise mitgehen.

Im Gegensatz zur Auffassung von Präsident Voßkuhle ist der Rahmen für eine weitere europäische Integration nicht weitgehend ausgeschöpft. Vielmehr erzwingt die Währungsunion auch eine grundsätzliche Integration der Haushaltsverantwortlichkeit. Nur so kann verhindert werden, dass einzelne Mitglieder der Eurogruppe auf Kosten anderer leben.

Eurobonds brauchen keine Änderung des Grundgesetzes

Die EU kann aber ihre wirtschaftliche und finanzielle Stärke auch nur ausspielen und so das Vertrauen der Märkte zurückgewinnen, wenn sie als Einheit handelt. Dazu gehört auch ein einheitliches Auftreten an den Kreditmärkten.

Richtig konstruierte Eurobonds bedürfen der Zustimmung des Bundestages, nicht jedoch einer Änderung des Grundgesetzes oder gar einer neuen Verfassung. Das Grundgesetz bekennt sich schon in seiner Präambel zu seiner Stellung "als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa". Art. 23 Abs. 1 S. 1 der deutschen Verfassung stellt fest, dass die Bundesrepublik "zur Verwirklichung eines vereinten Europas" bei der Entwicklung der Europäischen Union mitwirkt.

Diese Mitwirkung hat das Bundesverfassungsgericht gebilligt und kritisch begleitet. Die Mitglieder des Gerichts wären schlecht beraten, wenn sie in Krisenzeiten aus einem falsch verstandenen Souveränitätsdenken heraus in Zweifel zögen, dass die Verfassung der Politik die Mittel zur Verfügung stellen muss, welche erforderlich sind, um den Euro und die Währungsunion zu stärken.

Der sechzigste Geburtstag des Bundesverfassungsgerichts bietet Anlass, an dessen verantwortungsvolle Rechtsprechung zur europäischen Integration zu erinnern. Darauf können das Gericht und seine Mitglieder stolz sein. Sie sollten aber nicht versuchen, dem Gesetzgeber und der Regierung in einer kritischen Lage den Weg zur weiteren Integration zu verstellen. 

Prof. Dr. Joachim Wieland, LL.M., ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer.

 

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Zitiervorschlag

Joachim Wieland, Der Euro und die Verfassungsrichter: . In: Legal Tribune Online, 27.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4399 (abgerufen am: 25.11.2024 )

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