Auch bei Friseuren und Dachdeckern hält das BVerwG die Meisterpflicht des deutschen Handwerksrechts weiterhin für verfassungskonform. Selbstverständlich ist das nicht, die EU-Kommission verweist auf die einfachere Ausbildung in den Nachbarländern. Winfried Kluth über stürmische Zeiten, Gefahren beim Friseur und den langen deutschen Weg in die handwerkliche Selbständigkeit.
Wer in Deutschland selbständig ein Handwerk ausüben will, benötigt in den zulassungspflichtigen Handwerken den Meisterbrief oder in Härtefällen eine Ausnahmebewilligung als so genannter Altgeselle, der mehrere Jahre seinen Beruf ausgeübt und entsprechend Erfahrungen erworben hat. Der Weg dorthin ist lang und teuer: Lehre und anschließende Gesellenzeit dauern Jahre; hinzu kommt die Vorbereitung auf die Meisterprüfung durch die oft notwendige Inanspruchnahme teurer Meisterkurse, die sich mit den Gebühren der Prüfung auf tausende Euro addieren.*
So lange wollen viele junge Berufstätige heute nicht mehr warten und verweisen darauf, dass es in den meisten Nachbarländern viel schneller geht. Dort reicht in der Regel eine mehrjährige Ausbildung und Berufspraxis aus. Das sieht auch die Europäische Kommission so und versucht seit Jahren, Deutschland zur Abschaffung der Meisterpflicht zu bewegen – bislang vergeblich. Das deutsche Handwerk ist auch in der Interessenvertretung meisterlich.
Eine Friseurgesellin und ein Dachdeckergeselle haben nun den Versuch unternommen, durch Klagen vor den Verwaltungsgerichten die Abschaffung der Meisterpflicht zu erreichen. Das Bundesverwaltungsgericht wies am Mittwoch die Revision beider Kläger zurück (BVerwG, durch Urt. v., 31.08.2011, Az. 8 C 8.10 und 8 C 9.10). Die Friseurgesellin scheiterte bereits daran, dass sie die Handwerkskammer und nicht die Aufsichtsbehörde als Klagegegner gewählt hatte.* Deshalb musste das Gericht auch nicht näher auf die Frage eingehen, welche Gefahren von der Friseurtätigkeit ausgehen und ob diese es rechtfertigen, einen Meisterbrief für die selbständige Berufsausübung zu fordern.
In Bezug auf den Dachdeckgesellen bestätigten die Leipziger Richter einmal mehr die anspruchsvolle Konzeption des deutschen Handwerksrechts. Dabei folgte der 8. Senat auch der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), dass die Verhältnismäßigkeit der Regelungen vor allem durch die im Gesetz vorgesehenen Ausnahmetatbestände gewahrt wird.
Die neuere Kritik an der Meisterpflicht
Dieses auch von den Vorinstanzen gefundene Ergebnis war nicht selbstverständlich. Vor einigen Jahren hatte Karlsruhe in einem Kammerabschluss angedeutet, dass der Meisterzwang verfassungsrechtlich problematisch sein kann. Die Verfassungsrichter nahmen das jedenfalls dann an, wenn die deutschen Berufsträger durch den meisterlichen Zwang im Binnenmarkt einer ausländischen Konkurrenz ausgesetzt sind, die deutlich geringeren Ausbildungsanforderungen unterliegt und daher billigere Dienstleistungen anbieten kann.
Schon zuvor hatte das BVerfG auch klargestellt, dass der Berufszugang über Ausnahmegenehmigungen auch ohne Meisterbrief möglich sein muss, wenn eine ausreichende Berufserfahrung nachgewiesen wird.
Nach Ansicht der Bundesverwaltungsrichter ist der Bundesgesetzgeber diesen Forderungen durch die große Handwerksnovelle des Jahres 2004 hinreichend nachgekommen. Seinerzeit hatte die Bundesregierung eine größere Zahl von Handwerken von der Zulassungspflicht befreit und zudem die Ausnahmetatbestände erweitert. Die Beibehaltung der Meisterpflicht wurde mit den jeweiligen Gefahren begründet, die von den einzelnen Berufstätigkeiten ausgehen können. Das Handwerksrecht dient also nicht mehr hauptsächlich der Wahrung des Ansehens des Berufsstandes, sondern dem Verbraucherschutz.
Der unionsrechtliche Rahmen und die Zukunft des Meisterbriefs
Nun fällt es nicht leicht, die Tätigkeit eines Friseurs als besonders gefährlich einzustufen, jedenfalls aus der Perspektive eines männlichen Kunden. Sobald man aber die vielfältigen chemischen Prozesse in den Blick nimmt, die für die heutige bunte Haarfarbenwelt verantwortlich sind, sieht es anders aus. Und bei einem Dachdecker liegt es auf der Hand, dass von einem schlecht gedeckten Dach Gefahren ausgehen, zumal in den stürmischen Zeiten, die wir gerade durchleben.
Das Unionsrecht hat mit der EU-Berufsanerkennungsrichtlinie aus dem Jahr 2005 übrigens einen pragmatischen Weg beschritten. Die Richtlinie sieht vor, dass sich in Deutschland als Handwerker nur niederlassen kann, wer eine Ausbildung nachweist, die gleichwertig ist oder im sechsstufigen Ausbildungsniveausystem der Richtlinie nur eine Stufe unterhalb der deutschen Anforderungen liegt. Durch diese Minus-1-Regelung werden Wettbewerbsverzerrungen eingeschränkt.
Anders verhält es sich bei einer vorübergehenden grenzüberschreitenden Tätigkeit. Hier verlang das Unionsrecht nur eine mindestens dreijährige Berufsausübung im Herkunftsland. Bislang hat diese Regelung aber nicht zu einem Verdrängungswettbewerb zu Lasten deutscher Handwerker geführt. Wie zuletzt die vollständige Ost-Öffnung des Binnenmarktes gezeigt hat, erweist sich die Marktöffnung sogar als vorteilhaft für das deutsche Handwerk: Seine hohen Qualitätsstandards werden auch im Ausland zunehmend geschätzt.
Die Zukunft des Meisterbriefs hängt aber nicht nur von den geschilderten Rechtsfragen ab. Gewichtiger dürfte eine Veränderung in einem anderen Bereich sein. Die Handwerksordnung stellt in § 7 ein abgeschlossenen Universitäts- oder Fachhochschulstudium dem Meisterbrief gleich. Vor allem der Berufszugang über ein Fachhochschulstudium hat deshalb in den letzten Jahren in technisch geprägten Handwerken, wie zum Beispiel der Augenoptik, deutlich zugenommen. Dieser Weg ist insgesamt schneller und billiger. Allerdings betrifft das weniger die Friseure und Dachdecker. In diesen Bereichen dürfte uns der Meisterbrief erhalten bleiben.
Der Autor Prof. Dr. Winfried Kluth ist Inhaber eines Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Vorsitzender des dortigen Instituts für Kammerrecht e.V. sowie Richter des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt.
*Anm. d. Red.: Aufgrund einer missverständlichen Formulierung wurde dieser Satz am Tag der Veröffentlichung geändert.
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BVerwG weist Klagen ab: . In: Legal Tribune Online, 01.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4179 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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