BVerwG zum Beitritt in Religionsgemeinschaft: Gemein­de­mit­g­lied wider Willen

2/2: BVerwG lehnt Klage zähneknirschend ab

Das überzeugt das BVerwG offenkundig nicht. In seiner Entscheidung von Mittwoch heißt es, das BVerfG habe zwar auf den objektiven Erklärungsgehalt abgestellt, sei jedoch darüber hinweg gegangen, dass das Meldeformular die Kläger nach ihrer "Religion" und nicht (wie meldegesetzlich eigentlich vorgesehen) nach ihrer "Religionsgemeinschaft" gefragt habe. Aus ihrer Erklärung, der mosaischen (jüdischen) Religion anzugehören, lasse sich aber nicht der Wunsch entnehmen, der örtlichen jüdischen Gemeinde anzugehören, unabhängig davon, ob diese die einzige in der Stadt sei und ob sie selbst sich als Einheitsgemeinde verstehe. Durch die gegenteilige Auffassung würden die Kläger in ihrer (negativen) Religionsfreiheit verletzt, die neben dem Grundgesetz auch durch Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) garantiert sei.

Nach Auffassung des BVerwG würden die Kläger durch die Zuordnung zur jüdischen Gemeinde Frankfurt in diesem Menschenrecht verletzt. Trotzdem müsse es ihre Klage ablehnen und feststellen, dass sie Mitglieder jener Gemeinde geworden seien, da die Entscheidung des BVerfG keine andere Lösung zulasse und nach § 31 Absatz 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) Bindungswirkung entfalte.

Kläger könnten EGMR anrufen

Die Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 BVerfGG erstreckt sich auf "die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden". Gemeint sind damit allerdings naturgemäß nur deutsche Gerichte, nicht hingegen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der für Verstöße gegen die EMRK zuständig ist.

Ob die Kläger diesen anrufen werden, und ob der sich den Bedenken des BVerwG anschließen wird, ist offen. Allerdings genießt die EMRK in Deutschland "nur" den Rang eines einfachen Gesetzes. Behörden und Gerichte müssen sie zwar in ihren Entscheidungen beachten und den Urteilen des EGMR zur Geltung verhelfen. Kann eine Entscheidung jedoch nur auf die eine oder auf die andere Art getroffen werden, wobei sie sich im einen Fall in Widerspruch zur Rechtsprechung des EGMR, im anderen zu der des BVerfG setzt, so geht letztere vor.

Zu einer entfernt vergleichbaren Konfliktlage war es bereits 2012 gekommen: Damals stufte die Große Kammer des EGMR eine deutsche Bestimmung zum Jagdrecht als menschenrechtswidrig ein (Urt. v. 26.06.2012, Az. 9300/07), nachdem das BVerfG eine gegen diese Bestimmung gerichtete Verfassungsbeschwerde zuvor nicht zur Entscheidung angenommen hatte (Urt. v. 13.12.2006, Az. 1 BvR 2084/05). Eine zweite, spätere Verfassungsbeschwerde musste das BVerfG in der Sache nicht mehr entscheiden, da der deutsche Gesetzgeber die Bestimmung nach dem Urteil des EGMR anpasste (BVerfG Erledigungsbeschluss v. 23.11.2015, Az. 1 BvR 1795/08). Auch damals ging es übrigens um eine Mitgliedschaft wider Willen – in einem gemeinsamen Jagdbezirk.

Zitiervorschlag

Constantin Baron van Lijnden, BVerwG zum Beitritt in Religionsgemeinschaft: . In: Legal Tribune Online, 22.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20660 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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