BVerwG zu PKK-nahem Flüchtling: Aus­wei­sung ja, Abschie­bung nein

von Dr. Carsten Hörich

24.02.2017

Wer einerseits als Flüchtling anerkannt, andererseits aber Unterstützer einer terroristischen Vereinigung ist, der kann zwar ausgewiesen, aber nicht abgeschoben werden. Ein Urteil des BVerwG verdeutlicht die Trennung der beiden Instrumente.

Eine aktuelle Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) (Urt. v. 22.02.2017, Az. BVerwG 1 C 3.16) macht deutlich, dass Ausweisung und Abschiebung zwei separat zu beantwortende Rechtsfragen sind. "Ausweisung" meint dabei den Entzug eines bestehenden Aufenthaltstitels und die Begründung der Ausreiseplicht, vgl. § 50 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG); "Abschiebung" bezeichnet hingegen die tatsächliche (zwangsweise) Beendigung des Aufenthalts des Betroffenen auf dem Gebiet der Bundesrepublik. Vor dem BVerwG war sämtlichen Beteiligten bewusst, dass Letzteres nicht in Betracht kommen würde, weil dem Betroffenen, der im Verfahren als Kläger auftrat, bei Rückkehr in sein Heimatland Folter drohen würde. Gestritten wurde über die Möglichkeit, ihn gleichwohl auszuweisen.

Der Kläger lebt seit 20 Jahren mit seiner Frau und sieben Kindern in Deutschland. Im Oktober 1997 wurde ihm wegen seines prokurdischen Engagements die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Auch wurde zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Menschenrechte im Heimatland anerkannt (vgl. § 60 Abs. 5 AufenthG). Der Kläger erhielt daraufhin einen Aufenthaltstitel, der mehrfach verlängert wurde. Im Dezember 2009 wurde ihm eine Niederlassungserlaubnis, d.h. ein unbefristetes Aufenthaltsrecht erteilt.

Nach Erteilung der Niederlassungserlaubnis wurde bekannt, dass er in einem PKK-nahen Verein aktiv mitwirkt und auch als Redner zu diesem Thema auf Veranstaltungen auftritt. Aufgrund dieser neuen Tatsachenlage – die PKK wurde als terroristische Vereinigung eingestuft, die Aktivitäten des Klägers als Unterstützung selbiger – wurde er ausgewiesen. Zusammen mit der Ausweisungsentscheidung wurde er verpflichtet, sich zweimal wöchentlich bei der zuständigen Polizeidienststelle zu melden, und sein Aufenthalt in Deutschland wurde auf den Bereich der Stadt, in der er lebte, beschränkt. Weiterhin wurde ihm gegenüber ein unbefristetes Einreiseverbot gem. § 11 AufenthG angeordnet.

Ausweisung auch ohne Abschiebung nicht folgenlos

Auch, wenn eine Abschiebung nicht in Betracht kam, waren mit der Ausweisung für den Kläger also spürbare Folgen verbunden. Seine hiergegen gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen nur insofern Erfolg gehabt, als das Verwaltungsgericht das Einreiseverbot auf eine Dauer von acht Jahren befristet hatte. Auch vor dem Bundesverwaltungsgericht ist er am Mittwoch gescheitert.

Das BVerwG hat in seiner Entscheidung das seit Jahresbeginn 2016 geltende Ausweisungsrecht angewendet, welches – knapp gefasst – besagt, dass ein Ausländer, der eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, ausgewiesen wird, wenn das Ausweisungsinteresse des Staates das Bleibeinteresse des Einzelnen überwiegt. Es handelt sich also um eine gebundene Entscheidung der Verwaltung, wenn die Abwägung ergibt, dass die staatlichen Interessen überwiegen, vgl. § 53 Abs. 1, 2 AufenthG. Dies war hier nach Überzeugung des BVerwG der Fall, da der Kläger weiterhin aktives Mitglied in PKK-nahen Vereinen ist; das daraus folgende Ausweisungsinteresse wiege schwerer als das Bleibeinteresse des Mannes infolge seines 20jährigen Aufenthalts.

Ausweisung trotz Flüchtlingseigenschaft möglich

Hiergegen spricht auch nicht, dass der Kläger anerkannter Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und evtl. türkischer Assoziationsberechtigter gem. Art 1/80 ARB ist. Für beide Personengruppen normiert § 53 Abs. 3 AufenthG zwar einen besonderen Schutz vor Ausweisungen, nämlich das eine solche Ausweisung nur spezialpräventiv und zur Abwehr von zwingenden Gefahren möglich ist. Diese Voraussetzungen lagen hier aber vor.

Die rechtliche Folge dieser Ausweisungsentscheidung ist nach dem Vorgesagten allerdings nicht, dass der Aufenthalt des Klägers automatisch beendet würde, sondern "nur" das Erlöschen des Aufenthaltstitels. Auch sein Flüchtlingsstatus bleibt von der Ausweisung unberührt.

Dieses Ergebnis ist auch mit den europarechtlichen Vorgaben vereinbar. Die sog. Anerkennungsrichtlinie sieht in Art. 24 Abs. 2 gerade Fallgestaltungen vor, in denen der Aufenthaltstitel bei anerkannter Flüchtlingseigenschaft entzogen werden kann. Allerdings stehen den Betroffenen in diesen Fällen die aus der Anerkennung des Flüchtlingsstatus folgenden sozialen Rechte (etwa auf Arbeit und Bildung, vgl. Art. 25 ff. Anerkennungsrichtlinie) weiterhin zu. Die Anordnung räumlicher Beschränkungen und Meldeauflagen ist nach Art. 33 der Richtlinie hingegen ausdrücklich möglich. Diese Folgeanordnungen gem. § 56 AufenthG sind daher rechtmäßig und bestehen weiterhin.

Dauer des Einreiseverbots muss durch Verwaltung bestimmt werden

Allerdings ist das Verfahren noch nicht endgültig beendet. Gegenüber dem Kläger wurde (als zwingende Folge der Ausweisung, vgl. § 11 Abs. 1 AufenthG) auch ein sog. Einreiseverbot erlassen. Dieses Einreiseverbot muss gem. § 11 Abs. 2 S. 1 AufenthG von Amts wegen befristet werden. Allerdings liegt gem. § 11 Abs. 3 S. 1 AufenthG die Entscheidung über die Befristungsdauer im Ermessen der Behörde. Daher konnte das BVerwG "nur" die vom erstinstanzlichen Verwaltungsgericht getroffene Befristungsentscheidung bzgl. des Einreiseverbotes aufheben und die Beklagte zur Neubescheidung der Befristung – unter Beachtung der Rechtsauffassung des BVerwG – verpflichten. Wie sinnvoll und unionsrechtskonform die gesetzgeberische Trennung in gebundene Ausweisungsentscheidung und in das Ermessen gestellte Befristungsentscheidung ist, mag hier dahingestellt bleiben.

Das Urteil des BVerwG zeigt, dass auch gegenüber Ausländern, deren Aufenthalt nicht beendet werden kann, Ausweisungen und die mit diesen verbunden Beschränkungen der Bewegungsfreiheit und Meldeauflagen zur Gefahrenabwehr möglich sind. Das Urteil zeigt aber auch die Notwendigkeit, Fragen der Ausweisung und der Abschiebung jeweils für sich zu betrachten. Die Trennschärfe des Bundesverwaltungsgerichts lässt die gesellschaftliche Debatte in diesem Punkt leider oft vermissen.

Dr. Carsten Hörich ist selbstständiger Dozent für Migrationsrecht und Lehrbeauftragter an der Universität Halle-Wittenberg. Er hat im Bereich des Rechts der Aufenthaltsbeendigung promoviert und verschiedene Beiträge zum Ausweisungsrecht veröffentlicht.

Zitiervorschlag

BVerwG zu PKK-nahem Flüchtling: . In: Legal Tribune Online, 24.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22202 (abgerufen am: 07.11.2024 )

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