Ein Soldat, der als Anhänger der Gothic-Kultur im Dienst – wie seine Kameradinnen auch – lange Haare tragen möchte, zog bis vor das BVerwG. Recht bekam er dort zwar nicht – Chancen hat er aber trotzdem noch, zeigt Simon Gauseweg.
Der Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) A-2630/1 "Das äußere Erscheinungsbild der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr" fehlt eine ausreichende gesetzliche Grundlage. Für eine Übergangszeit ist diese Dienstvorschrift, die umgangssprachlich auch als "Haar- und Barterlass" bekannt ist, bis zu einer entsprechenden Neuregelung weiterhin anzuwenden. Dies hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) in Leipzig am Donnerstag entschieden (Beschl. v. 31.01.2019, Az. 1 WB 28.17).
Die Entscheidung herbeigeführt hatte ein Stabsfeldwebel der Bundeswehr, der nach eigenen Angaben Anhänger der Gothic-Kultur ist und als Ausdruck seiner Persönlichkeit lange Haare tragen möchte. Er griff die unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen an. Letztere dürfen bei der Bundeswehr der ZDv A-2630/1 nach, die den ursprünglich "echten" Haar- und Barterlass aufhob und ersetzte, der Einfachheit halber aber heute ebenso genannt wird, lange Haare tragen (die sie je nach Einsatz- und Dienstbereich verdecken, binden oder anderweitig handhaben müssen).
Den Vorwurf der Diskriminierung hatte bereits im Jahr 2013 ein Antragsteller vor dem BVerwG im erhoben. Damals hatten die Leipziger Richter noch entschieden, dass die unterschiedliche Regelung eine zulässige Maßnahme zur Förderung von Frauen in der Bundeswehr sei (Beschl. v. 17.12.2013, Az. 1 WRB 2/12, 1 WRB 3/12).
Männer mit langen Haaren – eine ebenso lange Geschichte
Inhaltlich wird die Vorschrift, die Soldaten zum Tragen kurzer Haare verpflichtet, bald fünfzig Jahre alt. Nachdem seit 1971 langhaarige Männer zum Tragen eines Haarnetzes verpflichtet werden konnten, legte das Bundesministerium der Verteidigung 1972 fest, dass das Haar der Soldaten den Hemdkragen nicht berühren darf. Das gilt nach dem Haar- und Barterlass bis heute fort. Änderungen ergaben sich seitdem vor allem in Hinblick auf Frauen in den Streitkräften: Eine bestimmte, "ordentliche" Trageweise im Dienst vorausgesetzt, dürfen sie auch längere Haare haben.
Frauen lange Haare zu gestatten, um für sie die Arbeit bei der Bundeswehr attraktiver zu machen, ist letztlich einer weit verbreiteten gesellschaftlichen Erwartung geschuldet, die lange Haare als typisch für Frauen, nicht aber für Männer ansieht.
In Leipzig wandte der klagende Soldat ein, früher sei Männern mit langen Haaren eine besondere Männlichkeit nachgesagt worden. Sieht man das so wie er, kann das Argument der Frauenförderung in der Bundeswehr nicht mehr tragen: Denn nur, wenn lange Haare "typisch weiblich" sind, ist eine Sonderregelung geeignet, die Bundeswehr gerade für Frauen attraktiver zu machen.
In der Tat war der Zopf am Männerkopf zumindest ab dem 16. Jahrhundert gebräuchlich. Im 18. Jahrhundert war er für preußische Soldaten sogar vorgeschrieben. Als Friedrich II. in einer Neuregelung schließlich die Soldaten anwies, die "alten Zöpfe abzuschneiden", bedeutete dies offenbar einen so großen Einschnitt in die Tradition, dass sich die Redewendung von den "alten Zöpfen" bis heute im deutschen Sprachgebrauch erhalten hat.
Die genauen Urteilsgründe liegen noch nicht vor. Aus der Pressemitteilung der Leipziger Richter ergibt sich aber, dass sie diesem Argument nicht gefolgt sind. Sie verweisen darin auf ihre früheren Entscheidungen wonach das Gleichberechtigungsgebot es nicht ausschließe, für Soldatinnen und Soldaten unterschiedliche Regelungen zur Haartracht zu treffen. Es gebe – im Gegensatz zu den Soldaten – hinsichtlich der Frisuren von Soldatinnen eben keine verfestigte Tradition oder Erwartung in Bundeswehr oder Öffentlichkeit. Auch könne man sich in dieser Frage an den Vorschriften anderer Streitkräfte, etwa der U.S.-Armee, orientieren. Es sei weltweit nicht unüblich, dass Soldaten nur kurze, Soldatinnen aber auch lange Haare tragen dürfen. Norwegen, um ein Gegenbeispiel aus dem NATO-Bündnis zu nennen, scheint damit aber keine Probleme zu haben.
Eine ausschlaggebende Änderung des Soldatengesetzes
Dass der 1. Wehrdienstsenat die ZDv A-2630/1, in der die Regelung aktuell enthalten ist, in Frisurfragen dennoch für rechtswidrig hält, liegt an einem ganz anderen Grund: Das Soldatengesetz wurde geändert.
Als Eingriff in die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) bedarf der Haar- und Barterlass einer gesetzlichen Grundlage. Bis jetzt wurde diese Grundlage in § 4 Abs. 3 S. 2 Soldatengesetz (SG) gesehen. Allerdings ermächtige die Norm "jedenfalls in der seit 2017 geltenden Fassung nur zu Bestimmungen über die Uniform und die Kleidungsstücke, die mit der Uniform getragen werden", so das BVerwG in einer Pressemitteilung.
Damit ändert der Senat seine Rechtsprechung zwar nicht. Er legt aber eine neue Bestimmung aus - und zwar restriktiver als die alte Vorschrift. Das ist aber nur auf den ersten Blick verwunderlich.
Des Rätsels Lösung: Zwar ist der Wortlaut des alten Soldatengesetzes vollständig in die neue Fassung übernommen worden, die Bestimmung wurde lediglich erweitert. So gestattet sie nicht nur, wie es bis 2017 der Fall war, "Bestimmungen über die Uniform" zu erlassen, sondern seit 2017 auch über "die Kleidungsstücke, die mit der Uniform getragen werden dürfen, ohne Uniformteile zu sein", zu entscheiden. Deshalb sind mittlerweile auch Bestimmungen über Accessoires, Kopf- und Ohrhörer oder Regenschirme Teil des Haar- und Barterlasses.
Wenn aber die Kompetenz zum Erlass der "Bestimmungen über die Uniform" nach alter SG-Fassung das Verbot privater Utensilien ermöglicht hat, dann ist es auch nach alter Rechtslage ebenso gestattet gewesen, ihre Verwendung zu erlauben.
Die Erweiterung des Wortlautes bedeutet daher nach Auffassung der Leipziger Richter wohl eine Beschränkung des Normgehalts: Wörtlich bedeutet "Uniform" zunächst soviel wie "einheitliches Erscheinungsbild". War es aufgrund von § 4 Abs. 3 S. 2 SG alter Fassung noch möglich, in den "Bestimmungen über die Uniform" auch Regelungen über die Gestaltung von Körperbestandteilen von Soldatinnen und Soldaten zu treffen, gilt das nun eingeschränkt, denn:
Durch den ausdrücklichen Zusatz über die Bestimmungen zu Kleidungsstücken, die kein Teil der Uniform sind, wird deutlich, dass der Begriff der Uniform enger zu fassen ist. Er bezieht sich nach aktueller Fassung des SG lediglich auf die Dienstkleidung. Eine Ermächtigung zur Regelung der Gestaltung von Körperbestandteilen enthalte er damit nicht, so das BVerwG.
Nun ist der Bundestag gefragt
Das bedeutet: Wenn die Bundeswehr ihren Soldaten künftig kurze Haare vorschreiben will, benötigt sie dafür eine konkrete Rechtsgrundlage – und damit letztlich die Zustimmung des Bundestages. Denn nur durch eine Gesetzesänderung lässt sich die fehlende Ermächtigungsgrundlage für eine solche Vorschrift herbeiführen.
Nachteile für die Bundeswehr ergeben sich daraus wie oben angedeutet aber nicht: Laut BVerwG liegt ein einheitliches Auftreten der Bundeswehr nämlich im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit. Das und die Tatsache, dass die früher geltende Vorschrift weiter ausgelegt wurde, hat den Wehrdienstsenat bewogen, den aktuellen Haar- und Barterlass für eine Übergangszeit für weiter anwendbar zu erklären. Im Ergebnis hat das Gericht den Antrag des Soldaten daher zurückgewiesen.
Endgültig verloren hat der Stabsfeldwebel damit aber noch nicht: Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass der Bundestag sich im Falle der Gesetzesänderung mit der Frage befassen wird, ob die "alten Zöpfe" an die Soldatenköpfe zurückkehren dürfen. Maßgeblich ist dann nicht mehr, ob Truppe und Ministerium lange Haare als einen vertretbaren Ausdruck von Individualität sehen, sondern ob die politischen Vertreter, die die öffentliche Meinung abbilden (sollten), dies tun. Welches Bild sich im Spiegel der Gesellschaft für die Bundeswehr zukünftig ergibt, entscheidet also bald das Parlament. Vielleicht befriedet das den noch immer andauernden Streit über ein "korrektes militärisches Erscheinungsbild" etwas.
Der Autor Simon Gauseweg ist akademischer Mitarbeiter an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) am Lehrstuhl für Öffentliches Recht insbesondere Völkerrecht, Europarecht und ausländisches Verfassungsrecht. Als Reserveoffizier unterliegt auch er während seines Dienstes der ZDv A-2630/1.
BVerwG zu Frisurvorschriften der Bundeswehr: . In: Legal Tribune Online, 01.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33625 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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