Durfte CDU-Politikerin Wanka auf der Seite des Bildungsministeriums eine "rote Karte" für die AfD ausrufen? Vorläufig hatte das BVerfG der AfD Recht gegeben. Nun aber wird verhandelt: Hat die Ministerin ihre Neutralitätspflicht verletzt?
Eine kritische Pressemitteilung über die Alternative für Deutschland (AfD) hat für die Bundesbildungsministerin ein Nachspiel. Im Rahmen eines Organstreitverfahrens der Partei wird das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am Mittwoch darüber verhandeln, ob Dr. Johanna Wanka (CDU) im November 2015 auf der Internetseite des Bundesministeriums für Bildung und Forschung eine Pressemitteilung mit dem Titel "Rote Karte für die AfD" veröffentlichen durfte.
Die AfD hatte moniert, dass dieser Kommentar nicht von der CDU als Wankas Partei verbreitet worden war, sondern vom Ministerium. Jedenfalls im Eilverfahren war die Partei mit dieser Argumentation erfolgreich: Im November 2015 erließ das BVerfG eine einstweilige Anordnung, so dass Wanka den Kommentar von der Internetseite entfernen lassen musste (Beschl. v. 07.11.2015, Az. 2 BvQ 39/15). Bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorzunehmenden Folgenabwägung überwögen die Gründe für den Erlass der von der AfD beantragten Anordnung, entschieden die Karlsruher Richter damals. Es sei nicht auszuschließen, dass Wanka durch Nutzung der Ressourcen ihres Ministeriums für den politischen Meinungskampf das Recht der AfD auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb aus Art. 21 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verletzt habe.
Am Mittwoch wird es in Karlsruhe im Hauptsacheverfahren nun um den Maßstab gehen, an dem sich die Veröffentlichung messen lassen muss sowie um die Frage, ob und inwieweit ein eventueller Eingriff in das Recht auf Chancengleichheit gerechtfertigt sein könnte.
Neutralitätspflicht verletzt?
Auslöser war damals eine Demonstration der AfD in Berlin gegen die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Der Protest stand unter dem Motto "Rote Karte für Merkel! - Asyl braucht Grenzen!". Wanka ließ sich in der Mitteilung ihres Ministeriums unter anderem mit den Worten zitieren: "Die Rote Karte sollte der AfD und nicht der Bundeskanzlerin gezeigt werden. Björn Höcke und andere Sprecher der Partei leisten der Radikalisierung in der Gesellschaft Vorschub."
Nach Ansicht der AfD hat Wanka dadurch ihre Pflicht zur Neutralität im politischen Meinungskampf und die AfD damit in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien im politischen Wettbewerb aus Art. 21 Grundgesetz verletzt, weil sie nicht gleichberechtigt an der politischen Willensbildung teilhabe. Zudem geht die Partei von einer Verletzung ihrer Versammlungsfreiheit aus.
Wanka sieht in ihrer Äußerung eine zulässige Verteidigung der Politik der Bundesregierung. Sie sei nicht streng zur Neutralität verpflichtet gewesen, weil sie die Äußerung im Jahr 2015 nicht innerhalb eines Wahlkampfs getätigt habe.
Im Rahmen der einstweiligen Anordnung reichte es den Karlsruher Richtern aus, dass eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit durch Wankas Pressemitteilung nicht ausgeschlossen sei. Dafür spreche schon die Nutzung der Webseite des Ministeriums, ohne dass es einen Bezug zu Wankas ministeriellen Aufgaben gegeben hätte. Fraglich ist nun, ob sie auch in der Hauptsache zu dem Ergebnis kommen, dass die AfD in ihren Rechten verletzt wurde.
Schwesig und Gauck durften gegen die NPD schimpfen
Bislang war das BVerfG mit der Annahme einer Verletzung der Chancengleichheit durch Politiker allerdings eher zurückhaltend. Zuletzt waren die Verfassungsrichter im Fall von Manuela Schwesig im Jahr 2014 zu einem anderen Ergebnis gekommen. Die Bundesfamilienministerin hatte in einem Zeitungsinterview gesagt: "Ziel Nummer 1 muss sein, dass die NPD nicht in den Landtag kommt". Damit habe Schwesig (SPD) nicht gegen das Neutralitätsgebot verstoßen, so die Verfassungsrichter ( Urt. v. 16.12. 2014, Az. 2 BvE 2/14). Die Mitglieder der Bundesregierung seien nur zu strikter Neutralität verpflichtet, soweit sie ihre Amtsautorität in Anspruch nehmen, argumentierten sie. Äußerungen, die dem politischen Meinungskampf zuzuordnen sind, unterlägen hingegen nicht dem Neutralitätsgebot.
Auch Joachim Gauck durfte – noch im Amt des Bundespräsidenten – zum Protest gegen "Spinner" aufrufen, die gegen Asylbewerberheime protestieren, auch wenn er damit NPD-Anhänger meinte (BVerfG, Urt. v. 10.06.2014, Az. 2 BvE 4/1). Zwar hätten seine Äußerungen, obgleich der Bundespräsident nicht im Wettbewerb mit anderen Parteien um politische Macht steht, wegen seiner herausgehobenen Position eine besondere Stellung, auch er könne also die parteipolitische Chancengleichheit verletzen, erkannte Karlsruhe im Jahr 2014 an.
Seine Amtspflichten habe Gauck dennoch mit dem Aufruf nicht verletzt, urteilten die Verfassungsrichter damals. Prinzipiell dürfe er zugunsten des Grundgesetzes – hier des Grundrechts auf Asyl und der dahinter stehenden Wertungen – Stellung beziehen. Aus dem Kontext der Äußerungen ergebe sich, dass der damalige Bundespräsident mit "Spinnern" Menschen gemeint habe, die die Lehren aus der verheerenden Erfahrung des Nationalsozialismus nicht ziehen wollten und weiterhin antidemokratischen Einstellungen anhingen. Eine willkürliche Parteinahme sei dies nicht gewesen.
Mit Materialien von dpa
Pia Lorenz, BVerfG verhandelt über AfD-Schelte: . In: Legal Tribune Online, 23.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23012 (abgerufen am: 06.11.2024 )
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